Einschulung: Sanfte Radieschen und Gottes Segen

Foto: epd-bild/Jens Schulze
Schulanfängergottesdienst am 10.08.2013 in der evangelischen Kirche Bennigsen in Springe bei Hannover. Pastor Harald Lemke spricht zu den Kindern.
Einschulung: Sanfte Radieschen und Gottes Segen
In diesen Wochen beginnt die Schule - für viele Kinder zum ersten Mal. Dieser Übergang in eine neue Lebensphase spielt für Familien eine große Rolle. Genauso wie für die Kirchen, die diese alte Aufgabe neu entdecken und sie hier und da zur Kasualie erheben.

Die Raupe Nimmersatt kriecht durch den Garten, ein kantiger Kohlkopf und ein stacheliger Strauch begegnen ihr herausfordernd, ein sanftes Radieschen hingegen stellt ihr einfühlsame Fragen. In der kleinen Raupe steckt ein Geheimnis, das die drei Gartenbewohner noch nicht kennen: sie wird einmal ein Schmetterling sein.

"In jedem von Euch steckt ein Geheimnis", sagt Harald Kopp, evangelischer Pfarrer der Stadtkirchen-Gemeinde in Langen. Die vorderen drei Kirchenbänke sind auf beiden Seiten besetzt mit Fünf- bis Siebenjährigen, die heute eingeschult werden. Kopps katholischer Kollege Lutz Siemes ergänzt: "Wir sind darauf gespannt, was Euer Geheimnis ist." Und: "Lasst Euch nicht von Kohlköpfen und stacheligen Sträuchern vom Weg abbringen, sondern hört auf sanfte Radieschen." Den beiden sechjährigen Mädchen Leni und Mika gefällt die Geschichte und auch die Lieder, 'Danke, für diesen guten Morgen' und 'Laudato Si', finden sie gut.

Die Einschulung ist ein Passageritus

Die Langener Stadtkirche ist gefüllt wie sonst nur an Weihnachten. Der Einschulungsgottesdienst 2013 - er ist ein Familienereignis. "Weil uns wichtig ist, dass der kirchliche oder göttliche Segen über die Kinder kommt und dass die Kinder so einen guten Start haben und wissen, dass Gott da ist und seine schützende Hand über sie hält, auch wenn es in der Schule mal schwierig ist", sagt eine Mutter, die begleitet von Ehemann, Großeltern, Geschwisterkindern und Freunden ihren zweitältesten Sohn an seinem ersten Tag in die Schule begleitet.

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"Die Einschulung ist der erste Passageritus", sagt Stephan Goldschmidt, Vorsitzender der Liturgischen Konferenz der EKD, die schon im Jahr 2006 eine Zeitschrift zum Thema "Einschulung als neue Kasualie?" herausgegeben hat. Für die Eltern bedeute die Einschulung, ihr Kind zum ersten Mal ein Stück weit loslassen zu müssen, sagt Stephan Goldschmidt.

Die Einschulung: ein Passageritus, ein neuer Weg, den die Kinder in ihrem Leben einschlagen. Ein Weg, der nach der meist heilen Welt des Kindergartens in den Ernst des Lebens führt: vom freiwilligen Kindergartenbesuch zum Schulzwang.

Sich der Liebe Gottes vergewissern

"Ein Stück weit treten die Kinder mit der Einschulung in die Erwachsenenwelt über", sagt Stephan Goldschmidt. Deswegen sei die Segnung im Einschulungsgottesdienst fast ebenso wichtig wie die Segnung bei der Konfirmation. Erlangt der Einschulungsgottesdienst damit den Stellenwert einer Kasualie?

Der evangelische Pfarrer Harald Kopp und der katholische Kaplan Lutz Siemes segnen Grundschüler an ihrem ersten Schultag in der Stadtkirche in Langen (Hessen) am 20. August 2013.
Zumindest erfüllt er, laut der Zeitschrift "Einschulung als neue Kasualie?" einige der maßgeblichen Kriterien: Pfarrerinnen und Pfarrer leiten den Gottesdienst, sprechen einen Einzelsegen für die neuen Erstklässler und begleiten damit Kinder und Eltern in einen neuen Lebensabschnitt, indem sie ihnen die Liebe Gottes versichern.

Zahlen für den Anstieg der Einschulungsgottesdienste hat die EKD leider nicht, auch wenn er das sichere Gefühl habe, dass die Bedeutung und die Zahl der Einschulungsgottesdienste gewachsen sei, sagt Stephan Goldschmidt.

Wie gestaltet man Übergänge im Lebenslauf?

Das gestiegene Interesse am christlichen Segen im Bezugsraum Schule zeigen vielleicht auch diese Zahlen der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau: 1999 wurden auf dem Gebiet der EKHN noch weniger als 2.000 Gottesdienste für Schüler gefeiert. 2012 waren es schon fast 6.000. 

Stephan Da Re, Landesschülerpfarrer der EKHN, erklärt den Boom so: "Seit den 1968ern waren Rituale, Kirche und Religionen eher verdächtig. Nun fragen die Gemeinden und Städte bei den Kirchen aber wieder nach: Wie gestaltet man Übergänge im Lebenslauf?"

In manchen Städten und Gemeinden gestalten auch Muslime den Gottesdienst mit. Meistens werden die Einschulungsgottesdienste jedoch ökumenisch gefeiert. So auch in der Stadtkirche in Langen.

"Gott ist noch bei den Menschen im Hinterkopf"

###mehr-links###Pfarrer Harald Kopp und Kaplan Lutz Siemes bitten die Kinder zum Einzelsegen nach vorne. Aufgeregte Eltern rennen hinterher, um nichts zu verpassen. Da viele der Anwesenden der Kirche als Institution die meiste Zeit des Jahres eher fern stehen, wie Lutz Siemes und Harald Kopp vermuten, ist die Aufregung in der Kirche an diesem Tag bemerkenswert.

"An der Einzelsegnung hat man gesehen, dass Gott noch bei den Menschen in den Gedanken oder im Hinterkopf ist", sagt Kaplan Lutz Siemes. Für die Menschen sei es ein wichtiges Zeichen, dass sie an diesem Übergang im Leben begleitet werden, sagt Harald Kopp, "dass jemand für sie betet, den Segen erbittet und sie den Segen Gottes konkret erfahren können, zumindest in einem Zuspruch."