Das Leben als Leistungsschau

Foto: action press/Michael Deines/Promediafoto
Selbstoptimierung ist alles - wie hier beim diesjährigen Finale der ProSieben-Castingshow "Germany's Next Topmodel".
Das Leben als Leistungsschau
Wie Castingshows das Bild unserer Gesellschaft prägen
Das Prinzip Castingshow hat längst den Weg vom Fernsehen in den Alltag gefunden. Inzwischen rufen sogar Kirchengemeinden zur öffentlichen Leistungsschau auf. Dabei sind die Werte, die Castingshows vermitteln, fragwürdig.
17.08.2013
epd
Nils Glück

Der Vertrag zur Teilnahme an dem Casting ließ keine Missverständnisse zu: "Mit der Anmeldung erkenne ich die Entscheidungen der Jury an. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen." Ungewöhnlich harte Worte für eine Veranstaltung, mit der eine Kirchengemeinde in Eschweiler im vergangenen November nach geeigneten Kinderkandidaten für ein Adventskonzert suchte. "Wir wünschen uns von Euch Musikvorträge von drei bis fünf Minuten Dauer. Die besten jungen Interpreten werden von einer kompetenten Jury ausgewählt", ließ die katholische Pfarrei St. Peter und Paul mitteilen. Sowohl Kinder als auch ihre Erziehungsberechtigten mussten per Unterschrift den Bedingungen zustimmen.

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Das Fernsehen hat es vorgemacht. Nur wer vor der Jury besteht, ist gut genug. Die moderne Form des Leistungsvergleichs namens Casting ist inzwischen auch im Alltag selbstverständlich. Daran ändert auch die Kritik des katholischen Erzbischofs Robert Zollitsch nichts, der Ende Juli in einer Predigt sagte, er verfolge die steigende Zahl an Casting-Shows "mit großer Sorge". Zollitsch erkannte darin einen gefährlichen Trend: "Statt in Stille für andere da zu sein, geht es allzu vielen darum, sich selbst zu produzieren und sich hervorzutun." Für viele Teilnehmer stünden aber nicht Ruhm und Bekanntheit am Ende einer solchen Show, sondern "Enttäuschung, Depression und Burnout".

Teilnehmer dienen als Staffage

Diesen Befund kann die Medienwissenschaftlerin Maya Götz vom Internationalen Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) zumindest teilweise bestätigen. In einer groß angelegten Studie hat sie die Gefühlslagen ehemaliger Castingshow-Teilnehmer untersucht. Demnach fühlt sich eine Minderheit von den Juroren vorgeführt, gedemütigt oder in eine bestimmte Rolle gedrängt - auch wenn die Mehrheit die Teilnahme als überwiegend positiv wahrgenommen habe. Die Jugendlichen seien unterm Strich allenfalls Staffage, sagt Götz: "Es geht in diesen Sendungen nicht um die Kandidaten. Es geht vor allem um eine gute Show." Die Jury dagegen stehe permanent im Mittelpunkt. Offene Kritik der Kandidaten an der Jury werde zwar vereinzelt zugelassen, aber nie wirklich ernstgenommen.

Lernziel Selbstoptimierung

So ist das Bild, das Castingshows vermitteln, zutiefst autoritär und leistungszentriert. Darin sieht Medienwissenschaftlerin Götz eine Gefahr: "Es wird ein Bild des Gegeneinanders von unserer Gesellschaft gezeigt. Es geht also nicht darum zu zeigen, wie ein gesellschaftliches Zusammenleben auch miteinander funktionieren kann." So werden die Kandidaten angehalten, auf sich selbst zu achten und weniger auf die Mitmenschen: "Im Zentrum steht immer wieder die Selbstoptimierung, wie man am Beispiel von Heidi Klums Topmodel-Show sehen kann." Anpassung scheint so der einzige Weg für junge Menschen, ihre Ziele zu erreichen. Das Prinzip der Auswahl übertragen insbesondere jugendliche Zuschauer auf ihren Alltag, sagt Götz: "Die Castingshow erscheint wie ein Lehrprogramm, wie man einen statushohen Beruf finden kann."

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Dass die Veranstalter von Castingshows dabei zu weit gehen, hat inzwischen auch die Medienaufsicht alarmiert. Der Direktor der Landesanstalt für Medien NRW, Jürgen Brautmeier, forderte angesichts der Studienergebnisse, den Sendern genauer auf die Finger zu schauen: "Die momentan gängigen Knebelverträge müssen durch faire, deutliche und zeitlich begrenzte Produktions- und Verwertungsbedingungen ersetzt werden, so dass ein Vergessen möglich wird."

Medienaufsicht kommt nur langsam voran

Brautmeier stört vor allem, dass die peinlichen Einlagen einzelner Teilnehmer über Jahre noch im Internet abrufbar sind - mit schlimmen Folgen für die Betroffenen. Man sei derzeit "mit den beiden großen Senderfamilien im Gespräch", sagt dazu der Sprecher der Landesmedienanstalten, Peter Widlok. Im September wolle man sich erstmals treffen, um über Selbstverpflichtungen der Sender und Produzenten zu beraten. Die Casting-Maschinerie läuft derweil weiter: Ab dem 20. August können sich Kandidaten für die elfte Staffel der RTL-Show "Deutschland sucht den Superstar" bewerben.