Ihr Kongress trägt den Titel: "Seelsorge mit Grenzen". Was hat Seelsorge mit Grenzen zu tun?
###mehr-personen### Heike Komma: Alle Seelsorge findet an Grenzen statt. Für die einzelnen Menschen sind es immer Grenzsituationen, egal ob Sie an Krankenhausseelsorge denken oder an Altenheimseelsorge. Auch wenn ein Pfarrer zu jemandem gerufen wird, dann geht es meistens um Krisensituationen, in denen man selbst an die eigene Grenze der Belastungsfähigkeit oder der Leidensfähigkeit kommt. Das ist eine grundspezifische Sache.
Man kann "Grenze" ja auch geographisch und politisch verstehen: "Grenzen" sind besonders für Flüchtlinge ein Thema. Aktuell haben wir Flüchtlingsströme aus Afrika nach Europa und aus Osteuropa nach Westeuropa. Was bedeutet es für einen Menschen, die Grenze seines Heimatlandes zu überschreiten?
Komma: Das ist für die Menschen etwas ganz Schwieriges. Viele, die hierher kommen, haben schon eine Geschichte hinter sich, sonst würden sie nämlich nicht kommen. Man weiß nicht, wie schwer traumatisiert sie sind von dem, was sie erlebt haben. Ich kenne zum Beispiel einen Mann, der in Dunkelhaft gehalten wurde. Er ist jetzt hier, hat eine Arbeit gefunden, ist ganz gut integriert, arbeitet unter anderem als Platzanweiser im Kino. Aber er kann nie einen Film anschauen, denn dann kommen seine Ängste wieder. Es sind einfach immer noch Reste da, und damit muss man umgehen können, auch als Seelsorger oder Seelsorgerin. Man muss einfach wissen, dass die Leute etwas hinter sich haben und das mit ihnen zusammen aushalten. Das heißt, man braucht eine gute psychosoziale Begleitung, man braucht auch migrationsspezifisches Wissen.
"Wenn denen das Schicksal der Menschen absolut gleichgültig ist, das macht mich sprachlos"
Flüchtlinge – wenn sie es geschafft haben, aus ihrem Heimatland zu fliehen – stoßen dann oft wieder an Grenzen, dürfen zum Beispiel nicht arbeiten oder müssen umkehren. Wie kann man in der Seelsorge angesichts von so gravierenden Grenzerfahrungen Hoffnung vermitteln?
Komma: Wenn Flüchtlinge die Nachricht bekommen, dass sie wieder abgeschoben werden, dann ist das für einen Menschen oder eine Familie echt eine Katastrophe, die zum Beispiel der Nachricht einer todbringenden Diagnose im Krankenhaus gleichkommt. Das hat von der Emotionalität her eine ganz ähnliche Qualität. Ich denke, da ist es wichtig, zunächst mal einfach da zu sein als Seelsorger. Mit Worten Hoffnung zu vermitteln, das ist, glaube ich, erst ein weiterer Schritt. Der erste Schritt ist, dass man es mit ihnen gemeinsam aushält. Das zweite ist, denke ich, ein gewisses politisches Wissen zu haben, und sich auch festzulegen auf eine politische Position. Das kann eventuell so weit gehen, dass man gefragt ist, ein Kirchenasyl anzubieten. Es macht mir Hoffnung, wenn ich merke: Es gibt auch heute noch Leute, die es wagen würden, ein Kirchenasyl zu organisieren.
An welche persönlichen Grenzen stoßen Sie selbst als Seelsorgerin, wenn Sie Menschen begleiten?
###mehr-info###Komma: Meine persönliche Grenze ist erreicht, wenn andere Menschen – zum Beispiel Regierungsleute oder diejenigen, die die Flüchtlinge in Heimen unterbringen – wenn die so kaltschnäuzig sind. Wenn denen das Schicksal der Menschen absolut gleichgültig ist. Das macht mich sprachlos, damit kann ich ganz schlecht umgehen. Oder wenn ich von Ungerechtigkeiten höre. Eine Frau hat mir zum Beispiel erzählt, dass im Asylbewerberheim plötzlich um Mitternacht die Polizei neben dem Bett stand und fragte, ob sie irgendwelche Leute verstecken, die untergetaucht sind. Da kommen männliche Polizisten nachts in ein Mehrbettzimmer von Frauen, wecken sie auf und fragen solche Fragen! Die Asylantinnen wissen nicht, dass sie das Recht auf ihrer Seite haben, dass Polizisten nicht einfach in einen privaten Raum eindringen dürfen ohne Durchsuchungsbeschluss. Da bin ich an einer Grenze – aber an einer, die ich überwinden kann und muss, damit ich für die Leute Gutes tue.
Wie überwinden Sie diese Grenze?
Komma: Ich bin ja Pädagogin, und meine Aufgabe ist, mit den Leuten zu lernen, was hier ihr gutes Recht ist und wie sie sich wehren können. Das heißt, dass diese Frauen gelernt haben, zu sagen: "Wie ist Ihr Name? Was ist Ihr Dienstgrad? Wer ist Ihr Vorgesetzter?" Sie müssen sich wehren und auch sagen: Die vom Asylantenheim haben die Polizisten reingelassen.
Gibt es in Deutschland in ausreichendem Maße seelsorgliche Begleitung für Flüchtlinge?
Komma: Ich habe nachgeschaut, was es alles in Bayern gibt. Da gibt es Migrationsberatungsstellen, die beim Diakonischen Werk angeordnet sind, und Jugendmigrationsdienste, die sich auch sehr gut auskennen. Aber vor Ort sind es ganz oft Ehrenamtliche, und zwar meistens keine Leute von der Kirche, sondern andere gutwillige Menschen, die sich in der Seelsorge für Flüchtlinge engagieren. Die Kirche ist da sehr zurückhaltend, ob mir das gefällt oder nicht…
Was wünschen Sie sich für die Seelsorge an Flüchtlingen?
###mehr-artikel### Komma: Dass es wirklich Flüchtlingsseelsorger gäbe, die genau diese Aufgabe haben. Es gibt natürlich Pfarrer an Flughäfen, die zum Beispiel in die Abschiebehaft in Frankfurt gehen und die Menschen dort betreuen. Ich wünsche mir aber, dass es flächendeckend Menschen gibt, die sich mit Migrationssachen auskennen, die vor Ort sind, die Mitglied der Pfarrkonferenz sind, also auch institutionell eingebunden sind. Dann könnten sie auch mal sagen: "Mensch Leute, seid doch nicht so gleichgültig! Schaut mal, wir können die Angebote regional vernetzen." Das wäre eine ganz tolle Idee, wenn Kirche so etwas machen und auch bezahlen würde. Davon träume ich.
Sie arbeiten ja für eine Gesamtkirchengemeinde, und Seelsorge ist ein Fachgebiet der Praktischen Theologie. Hilft ein Blick in die Bibel? Steht dort auch etwas zum Thema "Grenzen"?
Komma: Wenn ich an die Flüchtlinge denke, dann ist mir das Jesuswort aus Matthäus 25 wichtig: "Ich war krank und ihr habt mich nicht besucht, ich war obdachlos und ihr habt mir kein Obdach gegeben, ich war hungrig und ihr habt mir nichts zu essen gegeben, ich war durstig und ihr habt mir nichts zu Trinken gegeben." In diesem Gleichnis vom Weltgericht zeigt Jesus solche Grenzsituationen auf. Er teilt dann ein und sagt: "Ihr kommt auf die rechte Seite und ihr kommt auf die linke Seite." Ich möchte nicht bei denen sein, denen Jesus sagt: "Ihr habt nicht geholfen." Das ist mir ein ethisches und praktisches Leitbild in dem, was ich tue. Das trage ich immer im Herzen.