"Man hat wieder das Gefühl, ein Hirte zu sein"

Foto: Michael Lenz
Als Tochter eines bayerischen Missionars in Brasilien geboren kennt Pfarrerin Lidia Rabenstein die evangelische Welt von Kindesbeinen an.
"Man hat wieder das Gefühl, ein Hirte zu sein"
Deutsche Pfarrer und Pfarrerinnen berichten von ihrer Arbeit in evangelischen Gemeinden in Südostasien
"Wo immer Sie hingehen, ob Sie die Stelle wechseln oder zurück nach Deutschland gehen, überall wird sich eine christliche Gemeinschaft finden", sagt Michael Press. Der Theologe hält derzeit Predigten vor der deutschsprachigen evangelischen Gemeinde in Singapur und ist somit ein "Expat". So nennt man Leute, die auf Zeit in fremden Ländern arbeiten und leben, ob als Tourist, Auswanderer oder eben als Pfarrer. In über 100 Ländern sind sie in deutschsprachigen evangelischen Gemeinden aktiv.

Wegen der anbrechenden Ferien ist der Gottesdienst nur spärlich besucht. Gerade mal acht der über 300 eingeschriebenen Gemeindemitglieder haben den Weg in die kleine Kapelle der strahlend weißen Bukit Batok Presbyterian Kirche gefunden. Das Gotteshaus am Anfang von Singapurs Vorzeigeboulevard Orchard Road mit ihren glitzernden Konsumtempeln ist ein Ausdruck der kulturellen Vielfalt Singapurs. Neben der evangelischen deutschen Gemeinde sind dort zudem eine englischsprachige, eine Mandarin sprechende chinesische und eine indonesische Gemeinden zu Hause.

Press ist gar nicht der Gemeindepfarrer, sondern "nur“ der Ehemann der eigentlichen Pfarrerin Lidia Rabenstein. Doch der hauptberufliche Dozent am Theologischen Seminar im malaysischen Sabah auf Borneo vertritt die Gattin, wenn die 50-jährige - wie an diesem Sonntag - in Kuala Lumpur einen Gottesdienst hält. Rabenstein, die vor der Übernahme der Gemeinde in Singapur vor vier Jahren zusammen mit Press sieben Jahre lang als Theologie in Fidschis Hauptstadt Suva lehrte, ist viel unterwegs. Die in Brasilien geborene Tochter eines deutschen Missionars betreut auch die kleinen deutschsprachigen evangelischen Gemeinden im malaysischen Penang sowie in der philippinischen Hauptstadt Manila.

Singapur: Argwohn gegenüber Christen

Eine gemeinsame Herausforderung an die Pfarrer und Gemeinden in Südostasien ist die hohe Fluktuation. "Es gibt keine Kontinuität in der Gemeinde, die Expats sind hier für drei Jahre, dann geht es zurück nach Deutschland oder sie werden woanders hin versetzt“, beschreibt Rabenstein die Situation und fügt hinzu: "Im Laufe der Jahre muss man die Gemeinde immer wieder neu aufbauen. In diesem August zum Beispiel gehen fünf Familien weg, darunter sind vier Gemeinderäte. Jetzt muss ich neue Leute suchen.“

Die Bukit Batok Presbyterian Kirche im Zentrum Singapurs

Eine weitere Gemeinsamkeit deutschsprachiger evangelischer Gemeinden in Südostasien: In ihren Gastländern sind Christen eine Minderheit, die oftmals mit Argwohn betrachtet werden. Sie stehen unter dem Generalverdacht, die heimischen Religionen unterwandern und die Buddhisten und Muslime konvertieren zu wollen. Rabenstein kann davon ein Lied singen: "Ich werde bei der Einreise nach Malaysia immer aufgehalten und durchsucht, obwohl ich als Pfarrerin der deutschen Gemeinde registriert bin. Sie verdächtigen mich der Konvertierung von Muslimen. Die Durchsuchungen dauern, immer wieder muss ich erklären, warum ich Bibeln dabei habe oder zu Ostern was die Osterkerze soll.“

Eigeninitiativen, ehrenamtliches Engagement und aktive Mitarbeit sind das A und O für ein lebendiges Gemeindeleben. Den wesentlichen Unterschied zu Deutschland bringt Rabenstein auf den Punkt: "Wer hier Gemeinde will, der gibt was.“ Das ist die charmante Formulierung. Sie könnte auch sagen: der muss was geben. Die Kosten vom Gehalt der Pfarrer bis zu Miete von Gemeindezentren müssen von den Gemeindemitgliedern durch Mitgliedsbeiträge, Spenden, Sponsoren und Anzeigen in den regelmäßigen Rundbriefen aufgebracht werden. Die Höhe der Zuschüsse der EKD für die deutschsprachigen Gemeinden erfolgt nach bestimmten Kriterien, die an den individuellen Gegebenheiten der Gemeinden ausgerichtet sind. Hinzu bestreitet die EKD "Hintergrundkosten“ für Umzug und Fortbildung der Pfarrer.

Seelsorge in Thailand

In der thailändischen Stadt Pattaya, wo im deutschen Viertel Naklua in den Kneipen Bundesligaspiele live zu sehen sind und die Damen in den Massagesalons etwas Deutsch sprechen, ist das direkt neben einem Saunazentrum gelegenen Begegnungszentrums der deutschsprachigen evangelischen Gemeinde ein Anlaufpunkt. Bei Kaffee und selbstgebackenem Kuchen oder Kotelett mit Bratkartoffeln tauschen sich die Deutschen im Café des Zentrums über Gott und die Welt, die Probleme des thailändischen Alltags und auch schon mal darüber aus, in welcher Bar die besten Mädels zu finden sind. Glauben und Rotlicht schließen sich in Pattaya nicht aus.

Singapur: Ökumenische Brücke zur Heimat

Dorothee Adams und ihr Gatte Stefan, Materialwissenschaftler an der National University of Singapore, sind das lebendige Beispiel für die Ökumene, ohne die die deutschsprachigen evangelischen als auch katholischen Auslandsgemeinden nicht existieren könnten. Sie ist evangelisch, er katholisch, und zusammen bilden sie die Seele des Posaunenchors der evangelischen Gemeinde in Singapur, in dem aber auch Trompeter ihren Platz haben. "Bei voller Besetzung gibt es auch noch eine Tuba“, freut sich Adams und bedauert, dass an diesem Abend im Juni nur ein "Rumpfchor“ der gewöhnlich 16 Musiker zu der Probe im Musikraum der German European School in Singapur erschienen ist. "Durch berufliche Termine im Ausland können viele nicht regelmäßig teilnehmen.“

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Bei der Probe wird weltliches wie das kultige Lummerlandlied "Eine Insel mit zwei Bergen“ oder auch Whitney Houstons "One Moment in Time“ geübt. "Posaunenchöre sind heute nicht mehr nur auf Kirchenmusik festgelegt, obwohl Posaunenpuristen das nicht gut finden“, lacht Adams. Entsprechend spielen die christlichen Musikanten nicht nur bei evangelischen, katholischen oder ökumenischen Gottesdiensten und Gemeindefesten auf, sondern auch zu ganz und gar säkularen Anlässen wie dem Tanz in den Mai oder dem Oktoberfest. Die Gemeinden bilden eben über den gemeinsamen Glauben hinaus eine Brücke zur Heimat.

Aktivitäten wie der Posaunenchor sind aber auch immer wieder das Tor zur Gemeinde. "Früher haben wir nur Gottesdienste in lokalen Kirchen besucht. Jetzt kommen wird auch zum deutschen Gottesdienst“, sagt Daniel Bien, der zusammen mit seinem vierzehnjährigen Sohn Robert als Trompeter im Chor spielt. Dann fügt der Manager von Exxon Mobile hinzu: "Meiner Frau und mir ist es wichtig, dass Kinder die Bibel kennenlernen. Deshalb organisieren wir jeden Sonntag bei uns Zuhause Bibelstunden für Kinder.“

Indonesien: "Gemeinde auf kleiner Flamme"

Auf der indonesischen Insel Bali muss schon mal ein Gottesdienst ausfallen, wenn sich nicht genügend Gläubige anmelden. Die Gemeindeaktivität in der indonesischen Stadt Bandung hingegen halte sich, obwohl die Leute älter werden, erzählt Pfarrer Schaal, der vor einigen Jahren mit Frau und den drei Kindern seine 3000-Seelen-Gemeinde Hülben auf der Schwäbischen Alb mit dem 12-Millionen-Einwohner-Moloch Jakarta auf Java vertauscht hat. "In Bandung gibt es jemanden, der Einladungen rumschickt, den Raum organisiert und den Altar schmückt.“

In Jakarta, wo die Wurzeln der evangelischen Gemeinde deutscher Sprache bis in die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts reichen, spiegeln die rund 1.500 Deutschen die Eindrittelgesellschaft der Heimat wieder, sagt Schaal. Etwa ein Drittel sei katholisch, ein weiteres evangelisch und das letzte Drittel gehöre zur Kategorie "andere“. Schaal weiß: "Viele kommen nicht zu den deutschen Gemeinden. Binationale Paare gehen in indonesische Kirchen und Verletzungen durch die Kirchen zu Hause werden auch ins Ausland mitgenommen.“ Von den rund 500 Protestanten sind nur noch etwa 50 Familien Gemeindemitglieder. Deshalb, so Schaal, laute die große Frage: "Wie lange kann man es verantworten, eine Gemeinde auf so kleiner Flamme halten?“

Die vielfältigen Herausforderungen werden aber nicht als Last, sondern als Lust empfunden. Helmer spricht ihren Kollegen in Singapur und Jakarta aus dem Herzen, wenn sie bei Kaffee und Kuchen im tropischen Garten ihres im lupenreinen 60iger-Jahrestil erbauten Wohn- und Gemeindehauses in Bangkok sagt: "So macht Gemeindearbeit wieder theologischen Sinn. Man kann den Gemeindemitgliedern vermitteln, dass sie Teil eines größeren Ganzen sind. Man hat wieder das Gefühl, ein Hirte zu sein.“