Wohnberater: "Ich stelle gerne Dinge in Frage"

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Wohnberater: "Ich stelle gerne Dinge in Frage"
Die Funktionen von Wohnräumen verändern sich mit den Bedürfnissen der Bewohner
"Wir haben hier keine bleibende Stadt..." heißt es in der Jahreslosung für 2013. Und doch verbringen wir eine Menge Zeit in der Stadt oder dem Dorf, wo wir leben - in unserer Wohnung. Uwe Linke hilft Menschen, ihre Wohnung so einzurichten, dass sie zu ihnen passt. Er hat beobachtet, dass sich die Funktionen von Räumen im Laufe der Zeit verändern. Neuerdings zieht wieder mehr Religion in die Wohnungen ein. Das Interview mit Uwe Linke ist der Auftakt zum dritten Teil unseres Schwerpunktes zur Jahreslosung: Darin geht es um das individuelle Wohnen.

Bei Martin Luther und Katharina von Bora in Wittenberg gab es die große Familienstube, in der die Familie gemeinsam Lieder sang. Hat diese Form "Stube" mittlerweile ausgedient?

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Uwe Linke: Nicht wirklich. Das Wohnen entwickelt sich grundsätzlich weiter. Wohnungen mit vielen Zimmern, die alle einen unterschiedlichen Verwendungszweck haben, sind erst im Lauf der letzten 100 bis 150 Jahren entstanden. Davor gab es - auch aus Kostengründen - einfach nur eine gute Stube, das war eigentlich eine erweiterte und beheizte Küche. Auf einer Burg war das die Kemnate. In diesen Zeiten hatte man einfach nicht die technischen Möglichkeiten, mehrere Räume zu beheizen oder sich so viel Platz zu nehmen.

Es ist eine Entwicklung der Nachkriegszeit, dass der Platzbedarf pro Person deutlich angestiegen ist: Mittlerweile liegen wir in Deutschland bei 45 Quadratmeter Wohnfläche pro Person. Die "gute Stube", denke ich, hat sich ein bisschen verlagert, aber im Grunde genommen ist es nach wie vor so (und das kann jeder selbst kontrollieren): Wenn man eine Party macht, trifft sich alles in der Küche. Es ist vollkommen egal, ob es eine große, teure Wohnung ist oder eine kleine. In der Küche steht das Essen und der Kühlschrank mit den Getränken, und es ist einfach der Ort, wo man am ungezwungensten beieinander steht und sich unterhält. Insofern: Die "gute Stube" gibt's nach wie vor.

Heute haben die meisten Menschen in ihren Wohnungen aufgeteilt in Wohn-, Ess-, Schlaf- und Kinderzimmer. Wird das so bleiben in Zukunft?

Linke: Das ist von vielen Faktoren abhängig, zum Beispiel vom Geld: Momentan erleben wir eine neue Bewegung, weil Energie so wahnsinnig teuer wird und die Nebenkosten für Wohnraum ins Unermessliche steigen. Es teilt sich auch danach auf, ob jemand in einer teuren Stadt wohnt, wo nur sehr wenig Platz zur Verfügung hat oder ob man auf dem Land lebt, wo der Platz nicht so viel wert ist. Bei meinen Kunden sehe ich außerdem den Trend, dass die Unterteilung in einzelne Verwendungszwecke ein bisschen aufweicht. Man versucht, mehr und mehr Vielzweckräume zu schaffen. Räume, die man vielleicht später wieder umbauen kann, weil man sagt: Ich weiß nicht, wie es sich entwickelt. Früher erlernte man einen Beruf, und der hat bis zum Lebensende gereicht, aber das funktioniert schon lange nicht mehr. Man übt im Laufe des Lebens mehrere Berufe aus und verändert sich. Ich glaube, dass deswegen Wohnung oder Wohnraum variabel sein müssen, um sich jeweils den Umständen anzupassen.

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Damit man ein Büro hat?

Linke: Zum Beispiel damit man ein Büro hat. Aber auch, weil die Leute älter werden. Der Lebensraum muss sich verändern, wenn man Kinder hat, wenn man einen Partner hat, wenn die Kinder wieder aus dem Haus gehen, weil man vielleicht eine Alten-WG macht oder sonstige Ideen hat - weil diese Dinge total im Wandel begriffen sind.

Wenn Sie die Tendenz beobachten, dass sich Wohnräume verändern: Können Sie ein Beispiel nennen für eine Wohnung, in denen der Bewohner in einer ungewöhnlichen Weise den Räumen Funktionen zugeordnet hat?

Linke: Das passiert eigentlich täglich. Ich arbeite viel an Konzepten, ich stelle bei Kunden gern Dinge in Frage. Der Kunde kommt zum Beispiel und sagt: Ich möchte mein Wohnzimmer umgestalten. Dann kommen wir darauf, dass das Wohnzimmer eigentlich im falschen Raum ist, und dass er es gar nicht mehr so benutzt, wie er es früher benutzt hat, sondern dass er eigentlich einen großen Essplatz braucht und kein Wohnzimmer. Häufig nimmt man Wohnraum dazu, der früher nicht so gedacht war, wie zum Beispiel eine alte Scheune oder einen Stall. Man bringt dort Wasseranschlüsse an und erweitert sein Bad. Bäder und Küchen werden grundsätzlich größer, um sich dort aufhalten zu können. Man sollte ruhig dieses starre Konzept aufweichen: Was ist ein Wohnzimmer? Was ist ein Badezimmer? Wie funktioniert eine Küche?

"Für mich ist ein Bedürfnis etwas, wonach ich einen seelischen Bedarf habe"

Eine Zeitlang waren "Hobbyräume" im Keller angesagt. Beobachten Sie, dass Hobbys mehr in die Wohnung geholt werden?

Linke: Die ursprüngliche Idee war ja, dass man den Vater in den Hobbyraum nach unten schickt, und da kann er dann basteln in seiner Werkstatt. Mein Plädoyer wäre, dass man es dabei belässt, Wohnen und Hobby voneinander zu trennen, weil man die Dinge dann einfach liegen lassen kann und nicht ständig wieder zurück bauen muss. Wenn es irgendwie geht, ist es ja auch klug, Rückzugsbereiche für jedes Familienmitglied zu schaffen, und wenn es nur ein kleiner Bereich hinter einem Vorhang ist, wo dann eine Yogamatte liegt. Hobbyräume eignen sich einfach hervorragend dazu.

Wo könnte denn Religion in der Wohnung ihren Platz haben?

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Linke: Das ist eine Entwicklung, die ich tatsächlich auch mehr und mehr in den letzten Jahren beobachte: dass die Leute überhaupt wieder bereit sind, für das Thema Religion oder Meditation oder Intuition wieder einen Platz einzuräumen. Ich hatte jetzt einen Kunden, der wollte einen Herrgottswinkel haben. Den haben wir dann im Esszimmer eingebaut. Ich hatte auch schon mehrmals Kunden, die im Schlafzimmer so eine kleine Ecke haben, wo sie sich einen Altar aufgebaut haben, wo sie beten oder sich zurückziehen und meditieren.

Wie sieht dieser Herrgottswinkel aus beziehungsweise eine Meditationsecke?

Linke: Meistens ist das ein Tisch oder ein Sideboard mit einer Decke darauf oder einem schönen Belag. Da stehen dann Figuren drauf – ob das jetzt ein Kreuz oder ein Jesus ist, manchmal es ist auch natürlich ein Buddha - oder man hat ein Gebetbuch oder eine Bibel dort liegen. Es ist äußerst unterschiedlich, wie die Leute drangehen, ob sie so ein bisschen esoterisch sind oder einfach nur streng gläubig. Aber das kommt tatsächlich heute häufiger vor als noch vor zehn Jahren.

In welchem Zimmer würden Sie die "Religionsecke" anordnen?

Linke: Naja, ich würde eher sagen, es gibt Räume, die dafür nicht so gut geeignet sind – die Küche oder das Bad oder technische Funktionsräume. Es sollte schon ein Raum sein, wo man auch wirklich die Möglichkeit hat, zur Ruhe zu kommen und allein zu sein. Ich wüsste jetzt keinen Raum, zu dem die Religionsecke zwingend zugeordnet werden müsste, aber ein Arbeitszimmer oder Bad scheint mir ungeeignet. Ein Schlafzimmer ist sicher nicht verkehrt. Toll wäre - wenn man den Platz hat - so eine Art Meditationsraum mit einer Matte, auf der man Yoga oder Sport macht. Es sollte ein Bereich sein, wo man sich zurückziehen kann und der Besinnung auch Raum einräumen kann.

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Insgesamt finden Sie es also schon sinnvoll, mehrere verschiedene Räume zu haben anstatt einen großen oder einen zentralen?

Linke: Wenn man nur einen großen Raum hat, ist es zumindest sinnvoll, unterschiedliche Bereiche zu schaffen, weil es einfach verschiedene Aspekte des Wohnens gibt. Oft wird eine Wohnung nur mit der Frage konzipiert: Was ist der Bedarf? Und "Bedarf" ist, dass ich ein Arbeitszimmer brauche und natürlich Bad und Küche. Aber ich stelle auch immer die Frage: Was ist denn das Bedürfnis? Für mich ist ein Bedürfnis etwas, wonach ich einen seelischen Bedarf habe. Ich brauche zum Beispiel eine Fläche, wo ich mich entspannen und zur Ruhe kommen kann oder wo ich angeregt werde. Das hat eine ganz andere Dimension als diese Bedarfsfrage. Dazu muss man erstmal in sich hereinhorchen: Wie komme ich denn zur Ruhe? Wie kann ich denn Kraft schöpfen und mir Zeit nehmen, um zur Besinnung zu kommen? Was auch immer das Bedürfnis ist: Sich dafür bewusst einen Raum zu schaffen, das ist, denke ich, das Wichtigste.