Efraim Zuroff: "Gaucks Besuch im Baltikum war beschämend"

Foto: epd-bild/Rolf Zöllner
Unter dem Motto "Spät. Aber nicht zu spät! Operation Last Chance" hat das Jerusalemer Simon-Wiesenthal-Zentrum in Berlin eine Plakatkampagne zur Suche nach Nazi-Verbrechern in Deutschland gestartet.
Efraim Zuroff: "Gaucks Besuch im Baltikum war beschämend"
Efraim Zuroff ist der letzte aktive Nazi-Jäger. Der 64-jährige Israeli ist auch Initiator der neuen Aktion "Operation Last Chance", die durch Plakate an 2.000 Standorten in Deutschland und einer eigens dafür eingerichteten Hotline Hinweise über die letzten Nazi-Täter sucht. Der religiöse Jude, der sein Lebenswerk als seine jüdische Pflicht der Weltverbesserung betrachtet, sieht durch die neue Haltung der deutschen Justiz realistische Chancen, dass auch die letzten Nazi-Mörder vor Gericht gestellt und verurteilt werden könnten. Zuroff warnt aber vor falschem Mitleid, klagt über die Hindernisse durch den Datenschutz und attackiert Bundespräsident Gauck wegen seiner Haltung zur Shoah.

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Wie wird man eigentlich Nazi-Jäger?

Efraim Zuroff: Mein Traum war es, der erste orthodoxe jüdische Basketballer in der NBA zu sein. Das hat nicht geklappt, aber ich war der richtige Mann am richtigen Platz zum richtigen Zeitpunkt, um von 1979 an bei der US-Behörde Office of Special Investigations zu arbeiten, die Nazi-Täter in den USA ermittelte. Ich entdeckte den Fluchtweg tausender osteuropäischer Nazis nach Nordamerika, Australien und Neuseeland. Daraufhin überzeugte ich das Simon-Wiesenthal-Zentrum ein Büro in Israel zu gründen, um westliche Staaten für die Kooperation bei der Verfolgung zu gewinnen. Mir gelang es, diese Staaten zu überreden, entsprechende Gesetze für die Bestrafung von Nazi-Tätern zu verabschieden.

Wie sieht Ihre Arbeit als Nazi-Jäger aus, die Sie ja seit 33 Jahren ausüben?

Zuroff: Ich bin zu einem Drittel Detektiv, zu einem Drittel Historiker und zu einem Drittel politischer Aktivist. Als Detektiv finde ich die Täter, als Historiker finde ich die Beweise – die Unterlagen und Zeitzeugen. Der schwierigste Teil ist der des politischen Aktivisten. Die Zahl meiner Feinde steigt rasant, denn oft fehlt den Ländern der politische Wille, ihre eigenen Staatsbürger vor Gericht zu stellen. Da muss ich sie überzeugen und manchmal Staaten sogar bloßstellen, die Nazi-Täter beherbergen. Ich informiere dann die Öffentlichkeit darüber, wo der Täter zu Unrecht in aller Ruhe lebt. In den kleinen baltischen Staaten ist dies besonders schwer, weil dort manche Täter als Nationalhelden gelten, denn sie kämpften gegen die Sowjets. Dass sie auch Juden ermordeten, stört die dortigen Behörden nicht.

"Die Verurteilung Demjanjuks ist ein Wendepunkt bei der Verfolgung von NS-Verbrechern"

Inwieweit wurde Ihre neue Suchaktion vom Urteil gegen den Nazi-Täter John Demjanjuk in München im Mai 2011 gefördert?

Zuroff: Unsere Aktion ist eine Folge der Verurteilung Demjanjuks, die einen Wendepunkt bei der Verfolgung von NS-Verbrechern darstellte. Bis dahin erhob die Staatsanwaltschaft in Deutschland keine Anklage gegen Menschen, wenn sie kein konkretes Verbrechen an einem bestimmten Opfer nachweisen konnte.

Das änderte sich komplett als Demjanjuk verurteilt wurde, ohne dass ihm eine bestimmte Mordtat nachgewiesen werden konnte. Allein sein Dienst als Aufseher in einem "reinen Todeslager" reichte dafür aus, der Dienst bei einer Einsatzgruppe der SS ebenfalls, die am am Völkermord direkt beteiligt waren.

Die Zentralstelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen ist zuletzt aktiver, auch um die Schließung der Behörde zu verhindern. Im Mai wurde in Stuttgart der 93-jährige Hans Lipschis festgenommen, der früher KZ-Wachmann in Auschwitz war und 30 Jahre lang unbehelligt in Deutschland gelebt hatte. Die Staatsanwaltschaft in Weiden ermittelt gegen den Auschwitz-Aufseher Johann Breyer.

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Warum haben Sie die Plakataktion, die unter dem Motto "Es ist spät, aber nicht zu spät" und das Bild des Tores des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau zeigt, erst jetzt begonnen?

Zuroff: Weil wir sie lange nicht finanzieren konnten, denn die Resonanz der deutschen Geldgeber war absolut erbärmlich. Wir wandten uns an 86 Unternehmen und Stiftungen, aber lediglich drei sagten zu, die Kosten für die Werbung in Höhe von rund 750.000 Euro zu übernehmen. Mit einem weiteren Sponsor sind wir noch im Gespräch.

Wir haben uns bewusst nicht an jüdische Organisationen gewandt, weil ich es viel passender fand, bei deutschen Konzernen nachzufragen. Viele von ihnen fördern Projekte in Bezug auf die Shoah. Doch unsere Aktion passte ihnen nicht, denn das letzte was sie wollen, ist Geld dafür auszugeben, um Deutsche zu belangen, die die Verbrechen der Shoah begangen haben. Eher unterstützen sie Bildungsprojekte für Toleranz. Dabei ist unser Projekt dringender, denn morgen wird es zu spät sein.

Wie war die Resonanz der Aktion bisher?

Zuroff: In der ersten Woche habe ich täglich Dutzende von E-Mails erhalten, 30 bis 40 Menschen riefen auf der eigens dafür eingerichteten Hotline an. Manche Anrufer wollten einfach ein Auschwitz-Poster bekommen, 13 lieferten Hinweise über sechs potentielle Nazi-Kriegsverbrecher. Diese werde ich überprüfen und die passenden an die Zentralstelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen weiterleiten.

"Der Datenschutz behindert unsere Arbeit enorm: Dies soll die Opfer schützen, aber es schützt vor allem die Täter"

Wie ist die Zusammenarbeit mit dieser zuständigen deutschen Behörde?

Zuroff: Deutschland ist einer der wenigen Staaten, in denen der politische Wille vorhanden ist, Nazis vor Gericht zu stellen. Aber der Datenschutz behindert unsere Arbeit enorm: Dies soll die Opfer schützen, aber es schützt vor allem die Täter. Als wir die Mitarbeiter der Zentralstelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen trafen, boten wir ihnen an, die gesuchten Täter im Rahmen unserer Aktion namentlich zu nennen. Zuerst wollten sie kooperieren, aber dann sagten sie, ihnen seien die Hände gebunden – wegen des Datenschutzes.

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Der Historiker Michael Wollffsohn kritisiert, dass der Demjanjuk-Prozess eher Mitleid für den Täter als Empörung über seine schrecklichen Taten erweckte.

Zuroff: Aus gut informierten Quellen weiß ich, dass Demjanjuk während des Prozesses ein Show durchgezogen hat. Aber Sympathie für seinesgleichen ist fehl am Platz. Man hat Mitgefühl mit den Menschen, die es nicht verdient haben. So ein Mensch ist kein armer Greis, denn als er jung und stark war, setzte er all seine Energie darin, unschuldige Menschen zu ermorden. So muss man so jemand sehen.

Ihre Suchaktion dient auch der Erinnerung an die Shoah. Wie bewerten Sie die Arbeit gegen das Vergessen und Verdrängen?

Zuroff: Ich widme mein Leben unter anderem dem Kampf gegen die Verzerrung der Shoah, die für mich als Historiker sehr wichtig ist, zumal die Suche nach Nazi-Tätern bald enden wird.

Ein Beispiel: Joachim Gauck ist der einzige Deutsche, der die schreckliche Prager Deklaration 2008 unterschieb, die die Verbrechen der Nationalsozialisten und der Kommunisten gleichsetzt. Es ist eine krasse Lüge, dass die Shoah nicht einzigartig in der Geschichte ist: Ein Plan, alle Juden überall aufgrund ihrer sogenannten „Rasse“ industriell zu vernichten. Die Kommunisten wollten, trotz all ihrer Verbrechen, kein Volk ausradieren.

Autor:in

Gerade besuchte Gauck die baltischen Länder und stand zusammen mit dem estnischen Präsidenten im sogenannten Besatzungsmuseum zwischen zwei Denkmälern, einem für die Opfer der Nationalsozialisten und einem für die kommunistischen Opfer, als ob beide gleich wären. Das war beschämend und absolut schrecklich, gerade weil sich Deutschland an einer historischen Kreuzung befindet. Neben den wichtigen Maßnahmen zur Erinnerung an die Shoah im Bildungssystem und durch Denkmäler auch eine Müdigkeit von der Shoah ausbreitet. Man konzentriert sich auf die Deutschen als Opfer. Ich habe persönlich nichts gegen Gauck, aber schweigen kann ich auch nicht.