Frieden ist die Abwesenheit von Krieg. Das bedeutet, dass es im Frieden nicht automatisch gerecht zugeht, dass die Freiheit nicht immer gewahrt ist und dass sogar im Frieden Gefahr für Leib und Leben (durch den Staat, durch Kriminelle oder wen auch immer) bestehen kann. Ich bevorzuge diesen sogenannten "negativen" Friedensbegriff, weil er deutlich macht, dass es Wertvorstellungen und Ziele gibt, die andere Akzente setzen. Oft, sogar meistens, ist Frieden die Voraussetzung für die Verwirklichung solcher Ziele. Aber eben nicht immer. Manchmal steht Frieden sogar im Konflikt zu ihnen.
Carsten Rauch ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) Foto: HSFK
Dass Frieden mehr sein muss als die Abwesenheit von Krieg, erkennt man, wenn man auf Menschen trifft, die – offiziell im Frieden lebend – für eine Meinungsäußerung um ihr Leben fürchten. Frieden impliziert die Fähigkeit, Konflikte gewaltfrei lösen zu können. Das bedeutet auch, Diskurse zu schaffen, die frei von Gewaltandrohung sind und gemeinsam nach einer gerechten Weltordnung zu streben – ein Prozess, an dem wir alle immer wieder aufs Neue mitwirken müssen. Einen (End-)Zustand gerechten Friedens wird es nach Jimi Hendrix erst dann geben, wenn die Macht der Liebe die Liebe zur Macht überwunden hat.
Stefanie Herr ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK). Foto: HSFK
Frieden ist natürlich die Abwesenheit von Krieg, was die Abwesenheit von Waffen ebenso beinhaltet wie die Abwesenheit von Militär. Es darauf zu beschränken wäre aber fahrlässig, denn zum Frieden gehört auch, dass Menschen in sozialer Sicherheit leben können mit täglich ausreichend zum Essen, sauberem Wasser und einem Dach über dem Kopf. Die Anerkennung von Grundrechten für alle Menschen. Bildung als Erkenntnisgewinn und nicht als Teil von zu erbringenden Leistungen. Das Recht auf Faulheit und das Recht sich am gesellschaftlichen Eigentum zu bedienen. Ein Gesundheitssystem, in dem Kranke nicht nach ihrem Einkommen behandelt werden. Frieden bedeutet natürlich, dass Kinder in zwanglosen Verhältnissen aufwachsen und unbekümmert die Welt entdecken können. Frieden auf der Welt kann auf keinen Fall sein, dass alle Menschen auf der Welt in solchen verschwenderischen Gesellschaften leben wie der der Bundesrepublik. Deshalb heißt Frieden auch im Interesse aller zu verzichten und solidarisch mit Menschen zu sein, die nicht meine Nächsten sind. Frieden ist schwer – aber nicht unmöglich, wenn wir ihn wirklich wollen und nicht nur darüber reden!
Monty Schädel, Politischer Geschäftsführer der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK). Foto: Hellmut Seller
Seltsamerweise ist es einfacher, über das Gegenteil von Frieden zu reden. Bei bewaffneten Gewaltkonflikten, Bürgerkriegen oder zwischenstaatlichen Kriegen wissen wir im Allgemeinen, was gemeint ist. Frieden ist in einer ersten Annäherung ein Zustand, in dem kein Krieg herrscht. Sofern dieser Zustand aber nicht nachhaltig sondern labil ist und jederzeit in Gewalt umschlagen kann, ist es kaum angebracht von "Frieden" zu sprechen. Der "Kalte Krieg" war so ein Zustand und wurde - obwohl es im Großen keinen Krieg zwischen den Blöcken gab - zu Recht nicht "Frieden" genannt. Frieden bedeutet also mehr: Er muss unumkehrbar sein, d.h. er muss strukturell auf Gewaltlosigkeit in allen gesellschaftlichen Bereichen gründen. Dazu gehören soziale Gerechtigkeit, Entwicklungsgerechtigkeit, nachhaltiges und solidarisches Wirtschaften und ökologische Verantwortung. Es wird viel Anstrengung und Kampf kosten, sich dieser Vision anzunähern.
Dr. Peter Strutynski, Politikwissenschaftler, Mitglied der AG Friedensforschung, Kassel, Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag. Foto: privat
Bin ich im Krieg oder traue ich dem Frieden? Diese Frage kann traurig und hilflos machen. Und sie kann Glück, Zuversicht und Gelassenheit schenken. Krieg und Frieden in uns sind so existentielle Erfahrungen wie das Leben selbst. Wann ist Frieden möglich? Gibt es ihn ohne Krieg? Entsteht nicht Krieg aus meiner Angst vor dem Leben? Und zwingt mich nicht der Frieden, mein Leben mit denen zu teilen, die so kriegerisch anders leben als ich? Bei meiner Arbeit sehe ich: Wer mit sich selbst Frieden schließt, der kann Leben auch im Krieg akzeptieren und schließlich den ''großen'' Frieden aushalten.
Karen Bethin, Mediatorin an der Mediationsstelle Rostock, einer Beratungsstelle der Straube Managementberatung. Foto: Henning Schwarzburg
"Frieden ist ein anderes Wort für 'gelingende Auseinandersetzung'", sagt Thomas Geisler, von dem ich bisher nur diesen Ausspruch kenne. In gelingenden Auseinandersetzungen spielt Gewalt keine Rolle. Wenn eine Auseinandersetzung gelingt, ist das immer noch kein 'Ponyhof'. Natürlich fühlen die "Parteien" Schmerz und Wut und Traurigkeit. Es geht immer noch darum, diese Gefühle auszuhalten und auszudrücken. Wenn es doch gelänge, sich immer die Sehnsucht nach Frieden als Ziel vor Augen zu halten – dem Frieden mit sich selbst, dem Frieden mit dem Gegenüber und den großen Frieden in der ganzen Welt – wenn alle an ihrem Platz daran mitarbeiten, dann ist Friede.
Julika Koch, Referentin für Friedensbildung der Nordkirche, Historikerin, Diakonin, Bibliodramaleiterin, Mediatorin in Ausbildung. Foto: privat.
"Schalom" ist das alttestamentliche Wort für Frieden. Dieser Begriff umfasst viel mehr als die ausgehandelte politische Sicherheit, die man heute weithin als Frieden bezeichnet. "Schalom" ist der Ausdruck für ein umfassendes, den ganzen Menschen in all seinen Beziehungen umgreifendes Heilsein und Wohlergehen. Mit sich selbst, miteinander und mit Gott im Einklang leben, das meint Frieden im biblischen Sinn. In Jesus Christus ist uns diese Fülle des Friedens geschenkt. Friede ist für uns Gabe und Aufgabe zugleich. Deshalb preist Jesus in der Bergpredigt auch die selig, die Frieden stiften.
Dr. Georg Hofmeister, Geschäftsführer der Akademie der Versicherer im Raum der Kirchen, Bruderhilfe-Pax-Familienfürsorge. Foto: privat