Judentum und Homosexualität: "... denn es ist ein Gräuel"

Kippot in allen Farben
Foto: Getty Images/iStockphoto/Amit Erez
Die jüdische Kopfbedeckung, die Kippa, gibt es zufällig auch im Regenbogendesign. Homosexualität wird im Judentum zumindest in den liberalen Strömungen akzeptiert.
Judentum und Homosexualität: "... denn es ist ein Gräuel"
In keiner der drei monotheistischen Religionen haben es homosexuelle Menschen auf Anhieb leicht. Weder die Bibel noch die Tora oder der Koran befürworten Homosexualiät. Besonders in konservativen und orthodoxen Strömungen sind Konflikte zwischen Religion und Coming Out vorprogrammiert - auch im Judentum. Der schwule jüdische Student Levi musste sehr mit sich ringen, um seinen Glauben und sein Empfinden miteinander zu versöhnen. Am Ende ließ sich von seinem Rabbi und von seiner Oma versichern, dass mit ihm alles in Ordnung ist.

Levi war 16, als er feststellte, dass er Gefühle hat, die er nicht akzeptieren konnte. "Ich hatte furchtbare Angst, als ich merkte, dass ich schwul bin", sagt er. Levi war es gewohnt, zu einer Minderheit zu gehören. Auf seiner Schule war er der einzige jüdische Schüler. Sich noch zu Schulzeiten zu outen, kam für ihn deshalb nicht in Frage: "Ich konnte für die anderen Menschen nicht eine doppelte Minderheit sein." Heute glaubt Levi, dass seine Religion ihm zu einer gewissen Immunität verholfen hat – das jüdische Kind darf nicht gemobbt werden. Die Torturen, die viele andere homosexuelle Schülerinnen und Schüler durchmachen müssen, hat er nicht erlebt.

Die eigentlichen Kämpfe fanden in seinem Kopf statt. "Ich hatte Angst davor, von Gott verstoßen zu werden." Jüdischer Glaube und Homosexualität, das waren zwei Dinge, die ihm unvereinbar erschienen. So heißt es in der Tora (identisch mit den christlichen fünf Büchern Mose): "Du sollst nicht bei einem Mann liegen wie bei einer Frau; es ist ein Gräuel." Eine Aussage Gottes gegen Homosexualität? Auf diese Frage findet sich mehr als eine Antwort.

613 Gebote Gebote und Verbote

Levi ist in einer deutschen Einheitsgemeinde groß geworden. Rabbiner und Religionsunterricht waren orthodox geprägt. Orthodoxe Juden gestalten ihr Leben nach dem jüdischen Gesetz – der Halacha. Es umfasst 613 Gebote und Verbote. Diese Regeln zu ändern erscheint undenkbar. Zu den Verboten gehört der Geschlechtsverkehr zwischen zwei Männern. Wie radikal dieses Verbot ausgelegt wird, unterscheidet sich auch innerhalb des orthodoxen Judentums.

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Der Knessetabgeordnete Schlomo Benizri ging 2008 so weit, dass er den liberalen Umgang mit Homosexuellen in Israel für das Auftreten von Erdbeben verantwortlich machte. "Ein solcher Abgeordneter gehört dann zu den absoluten Hardlinern", sagt Michael Tilly, Professor für Antikes Judentum an der Universität Tübingen und Autor des Buches "Das Judentum". Ultraorthodoxe Juden wie Benizri glaubten an einen Zusammenhang zwischen menschlicher Ordnung und göttlicher Strafe. "Das ist jedoch eine absolute Randposition."

Weil von orthodoxen Juden Homosexualität als etwas Fehlerhaftes gesehen wird, suchen schwule und lesbische orthodoxe Juden Rat bei ihren Rabbinern. Sie fragen sich, wie sie homosexuell und orthodox gleichzeitig sein können. "Man fragt sich auch, warum Gott von allen Menschen ausgerechnet einen selbst schwul gemacht hat", erzählt Levi. Orthodoxe Rabbiner finden darauf unterschiedliche Antworten.

Während die einen schon homosexuelles Empfinden für eine Sünde halten, kritisieren andere das Handeln. Einige Rabbiner raten den schwulen Männern, eine Frau zu heiraten. Andere halten genau das für falsch. Einen pragmatischen Ansatz findet Rabbi Boteach. Er könne das Verbot der Homosexualität zwar nicht leugnen. Aber für homosexuelle Juden blieben von den 613 Ge- und Verboten immer noch 611, die sie befolgen könnten (auch die Fortpflanzung ist eines der Gebote).

"Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei"

Im liberalen und auch im konservativen Judentum wird die Hebräische Bibel historisch-kritisch ausgelegt. "Wir gehen davon aus, dass sich Gottes Wille fortwährend entfaltet und von den Interpretationen der Vergangenheit abweichen kann", sagt Walter Homolka. Der Rabbiner ist Rektor des Abraham Geiger Kollegs an der Universität Potsdam und gehört dem liberalen Judentum an. Dieser Ansatz geht einher mit der besonderen Überlieferung der Tora. Nach jüdischer Überzeugung empfing Mose nicht nur die "schriftliche Tora", sondern auch die "mündliche". Nur mit ihrer Hilfe kann die schriftliche Tora verstanden werden. Die mündliche Überlieferung – später unter anderem im Talmud festgehalten – zeigte schon früh, dass biblische Worte Platz für Interpretationen lassen und Vorschriften unterschiedlich ausgelegt werden können.

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Im Talmud finden sich unterschiedliche Ansätze zur Homosexualität – bis hin zu der Einschätzung, dass Homosexualität im Judentum nicht vorkomme. Nicht zuletzt mit Blick auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Homosexualität und weil es offensichtlich auch homosexuelle Juden gibt, sieht es Homolka als Teil der menschlichen Verantwortung, die Stelle aus dem 3. Buch Mose neu zu interpretieren.

"Man kann darin etwa eine zeitgebundene Tabuvorstellung sehen", erklärt Michael Tilly. "Männliche Homosexualität wurde als Machtgefälle wahrgenommen. Heute geht es jedoch um ein gleichberechtigtes liebendes Miteinander homosexueller Paare." Der Ablehnung der Homosexualität stehe auch die Liebe Gottes zu allen Menschen entgegen.

Solche Gedanken haben sich in weiten Teilen des Judentums durchgesetzt. Bereits in den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts waren homosexuelle Rabbinerinnen und Rabbiner im liberalen Judentum präsent. Ende 2006 zog das konservative Judentum lehramtlich nach. "Während ein Teil der Protestanten auf das aktuell diskutierte Familienpapier der EKD negativ reagiert, war die Basis des konservativen Judentums 2006 schon lange reif für diesen Schritt. Nur die rabbinischen Gremien hingen damals hinterher", sagt Homolka. Auch die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare in einem Gottesdienst ist in beiden Strömungen möglich.

Levi öffnet sich

Als erstes sprach Levi mit einem Freund, der in einer ähnlichen Situation war wie er selbst: jüdisch und schwul. Dieser konnte Levis Dilemma nicht versehen – zu selbstverständlich war es für ihn, beide Seiten zu leben. Das reichte Levi nicht, um sich mit dem Gedanken an die eigene Homosexualität zu versöhnen. Groß war die Sorge, für Gott nicht liebenswürdig zu sein. Er suchte nach einer theologischen Antwort. Also ging er als nächstes zu seinem Rabbi und erzählte von seinen Ängsten.

Der Rabbi sagte zu Levi: "Ich weiß, dass du ein guter Mensch und ein guter Jude bist. Um wie viel mehr also weiß das Gott! Es gibt nichts, weshalb er dich nicht lieben sollte. Er hat dir nur eine ganz besondere Eigenschaft gegeben." Beruhigt und gestärkt von diesen Worten ging Levi zu seiner Großmutter. Sie sagte ihm, das wichtigste sei, dass er kein Problem mit seiner Homosexualität habe. "Da gibt es nämlich keins."