"Edel sei der Mensch, hilfreich und gut!", heißt es in Goethes Gedicht "Das Göttliche", auf das sich der Titel dieses "Tatorts" aus Berlin bezieht. Dass statt Nächstenliebe Gesundheit empfohlen wird, hat seinen Grund: Das Drehbuch von Dinah Marte Golch beschreibt eine Welt, in der man besser nicht krank werden sollte. Wie so oft ist der Krimi also ein Vorwand, um auf einen gesellschaftlichen Misstand hinzuweisen; in diesem Fall das Gesundheitssystem. Und wie so oft tritt die Spannung allzu sehr in den Hintergrund, weil das komplexe Thema so viel Raum beansprucht. Wenn man trotzdem gefesselt ist, dann weniger wegen der Frage, wer der Mörder ist, sondern weil die emotionalen Momente so berühren. Das gilt naturgemäß vor allem für die Szenen mit einem Mädchen, das an der Stoffwechselkrankheit Mukoviszidose leidet.
Fehlender Eintrag in der Krankenakte
Die kleine Sophia ist Patientin einer Gemeinschaftspraxis, die Besuch von den Kommissaren Ritter und Stark (Dominic Raacke, Boris Aljinovic) bekommt: Ein alter Mann ist offenbar an einer falschen Medikation gestorben. Er litt an Morbus Crohn und damit ebenfalls an einer Krankheit, deren Behandlung sehr kostspielig ist. Ihm wurden zwei Medikamente verabreicht, deren Kombination fatale und in diesem Fall sogar letale Folgen hat. Kein Arzt hätte dem Mann das zweite Medikament verschrieben, aber weil das erste nicht in der Krankenakte vermerkt war, ist es eben doch passiert.
Es dauert eine Weile, bis die Geschichte auf den Punkt kommt: Der idealistische Internist Schmuckler, vom großen Bühnenschauspieler Dieter Mann sehr würdevoll als Arzt alter Schule verkörpert, ist kein Halbgott in Weiß, sondern der Robin Hood seiner Zunft. Damit er seine Patienten mit Medizin versorgen kann, deren Kosten die gesetzlichen Krankenkassen nicht übernehmen würden, fallen die Rechnungen für die Privatpatienten etwas teurer aus. Eine junge Kollegin, neues Mitglied der Gemeinschaftspraxis, hat diesen sehr menschlichen, aber dennoch hochgradig illegalen Schwindel entdeckt. Als sie erschlagen aufgefunden wird, ist nicht nur Schmuckler äußerst mordverdächtig; es ist nicht zu übersehen, dass die Atmosphäre in der Gemeinschaftspraxis vergiftet ist.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Dass die verschiedenen Figuren immer wieder erklären müssen, wie die Krankheitsbilder aussehen und wie das Gesundheitssystem funktioniert, ist der Spannung naturgemäß nur bedingt förderlich, zumal der Schweizer Regisseur Florian Froschmayer bei der Umsetzung der Geschichte etwas am Tempo gespart hat. Sehenswert sind allerdings die Darsteller, was ja wiederum auch eine Leistung des Regisseurs ist. Sehr schön gespielt sind beispielsweise die unausgesprochenen Flirtmomente zwischen Ritter und Sophias Mutter (Kirsten Block). Auch Christina Große ist als Tochter des alten Mannes, die nach seinem Tod zwischen Zorn und Trauer schwankt, sehr überzeugend. Ausgezeichnet führt Froschmayer gerade die hochbetagten Mitwirkenden. Spätestens, wenn Schmuckler einer alten Frau eröffnen muss, er könne sie erst nach Quartalsende von ihren Schmerzen befreien, weil die Kasse vorher nicht zahlen werde, wird deutlich, wo die Sympathien des Films liegen.