„Gemeinsam lernen und leben – das gehört zusammen“

Foto: Martin Rothe
"Ökonomie und Diakonie" - ein besonderes Unterrichtsfach in Sachsenheim.
„Gemeinsam lernen und leben – das gehört zusammen“
Ökonomie und Diakonie als Schulfach? Das ist möglich am evangelischen Lichtenstern-Gymnasium - evangelisch.de porträtiert die dritte evangelische Schule in einem Schwerpunkt.

Im modernen, holzverkleideten Hauptgebäude des Lichtenstern-Gymnasiums summt es wie in einem Bienenstock. 500 Schüler sind an diesem Mittag im hellen, weitläufigen Foyer versammelt. Mit stürmischem Beifall begrüßen sie die Neulinge im Haus: die Fünftklässler des Tagesgymnasiums und die Elftklässlerinnen des Mädcheninternats. Dann wird die Menge entlassen und strömt in den Speisesaal. Zeit für ein Gespräch mit Schulleiter Reinhart Gronbach.

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Gronbach ist Pfarrer. Und sein Lichtenstern-Gymnasium im Kleinstädtchen Sachsenheim, 20 Kilometer nordöstlich von Stuttgart, ist eine evangelische Schule. Träger ist die Schulstiftung der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. Als Gymnasium für 450 Jungen und Mädchen fungiert die Lichtenstern-Schule erst seit etwa zehn Jahren. Aber ihr Kern, das evangelische Internat für 60 Mädchen, existiert seit 1954. Ähnlich wie sein Pendant für "Buben“: das evangelische Jungeninternat in Michelbach bei Schwäbisch Hall. Beide waren nach dem Krieg gegründet worden, um jungen Leuten vom Land zum Abitur zu verhelfen. Und um das Land mit Lehrerinnen und Pfarrern zu versorgen.

Unternehmensgründungen im Unterricht

In den 1990er Jahren standen sie mangels kirchlicher Finanzen vor der Schließung. Aber es kam anders: "Es war fast wie ein Wunder“, sagt Schulleiter Gronbach. "Einige engagierte Leute konnten die Kirche überzeugen, nicht abzubauen, sondern auszubauen.“ Die evangelischen Schulen der Kirchenstiftung wurden erweitert zu verpflichtenden Ganztagsschulen – damals ein Alleinstellungsmerkmal. Und sie erhielten ein Profil, dass es so sonst nirgendwo im Land gab: mit Fächern wie "Mensch und Medien“, "Ökonomie und Wirtschaftsethik“ oder "Diakonie“. "Damit nehmen wir den Auftrag der Verfassung ernst, dass freie Schulen die Schullandschaft bereichern sollen“, so Gronbach.

Seit 2002 steht neben dem schlossartigen Internat aus dem Jahr 1913 der neue Schulbau des Gymnasiums. Und seitdem macht das Lichtenstern-Gymnasium von sich reden durch seine beiden Profilfächer: Musik einerseits und Ökonomie/Diakonie andererseits. Das Fach "Ökonomie“ wird hier schon ab Klasse 5 unterrichtet. In den höheren Klassenstufen werden innovative Geschäftsideen ausgebrütet und auch schon mal Kleinunternehmen gegründet.

"Diakonie“ – das klingt wie ein Orchideenfach. Wer aber den Unterricht von Lehrerin Elke Haas-Eiding kennenlernt, fragt sich, warum dieses Fach nicht längst an allen Schulen gelehrt wird. An diesem Tag stellt sie ihren Zwölftklässlern die Themen des neuen Schuljahres vor: Umgang mit Senioren und Behinderten, Euthanasie im Dritten Reich, medizinethische Grenzfragen wie PID, Organtransplantation und Sterbehilfe, Kinderwunsch homosexueller Paare, Jugendhilfe – all das steht auf dem Lehrplan. Und natürlich auch die relevanten Aussagen der Bibel. "Wir wollen hier nicht nur über Diakonie reden, sondern Experten befragen und auch vor Ort sein. Ihr sollt wirklich hören, sehen und riechen, was diakonische Arbeit bedeutet“, kündigt die Lehrerin an. So will sie mit der Klasse eine psychosoziale Einrichtung in der Nähe besuchen und eine Kinderkrebsstation in Stuttgart. 

Praktikum mit Mehrwert

Der 16-jährige Cedric würde gern mehr erfahren über das Thema Sterbebegleitung. Für diakonische Themen interessiert er sich seit seinem Kindergarten-Praktikum in der 8. Klasse. Diese einwöchigen Praktika sind für alle Lichtenstern-Schüler dieser Stufe verpflichtend. Sie werden akribisch vorbereitet, sagt Fachlehrerin Haas-Eiding. "Nachher bekomme ich dann oft bewegende Berichte. Keinen einzigen unserer Schüler lässt dieses Diakonie-Praktikum kalt.“ Manche Sätze von Schülern sind ihr im Gedächtnis geblieben. Etwa: "Als ich mich nicht mehr geekelt habe, dem alten Mann die Schnabeltasse zu reichen, war das für mich das größte Geschenk!“ Auch von den Eltern gebe es gute Rückmeldungen auf die Praktika: "Manche sagen mir: In der Praktikumswoche haben wir beim Abendbrot soviel geredet wie selten.“

Im "Schloss" befindet sich das Mädcheninternat. Foto: Martin Rothe

Viele Schüler sind so beeindruckt, dass sie das Fach Diakonie in Klasse 12 freiwillig wählen. Im Schwerpunktbereich "Ökonomie und Diakonie“ beinhaltet das ein weiteres zweiwöchiges Praktikum. Dann geht es auch um betriebswirtschaftliche Aspekte von sozialen Einrichtungen. Diese Fächerverzahnung sei bundesweit einmalig, sagt Elke Haas-Eiding, die den Lehrplan selbst mit entwickelt hat. Ihrer Kenntnis nach wählten viele der bisherigen Internatsabsolventinnen eine sozialpädagogische oder therapeutische Berufsausbildung.

Zum neuen Abi-Jahrgang gehören Mirjam, Emma und Wiebke. Alle drei haben sich für das Profil Musik entschieden – vertieften Gesangs- und Instrumentalunterricht erwartet sie. In dieser Woche führen sie gerade die Neulinge aus Klasse 11 ins Internatsleben ein – mit Einweihungsritualen, von denen die Neuen vorab kein Sterbenswörtchen erfahren dürfen! Außerdem bekommt jede Elftklässlerin eine Zwölftklässlerin als Patin.

"Wir sind hier voll tolerant!"

Die drei vermissen ihr Elternhaus eigentlich kaum. Sie würden es jedem Mädchen empfehlen, ins Internat zu gehen. "Man wird hier früher selbständig“, sagt Wiebke. Außerdem gibt es keine Jungs, die blöde Kommentare geben, wenn die Mädels mal im Schlabberlook rumlaufen. "Wir sind hier manchmal schon ganz schön verrückt“, sagt Mirjam. "Wir hüpfen durch den Gang, singen, tanzen und erfinden verrückte Facebook-Seiten. Das könnten Jungs bestimmt nicht verstehen.“ Emma leitet den hausinternen Schülerbibelkreis, zu dem aber nur 8 der 60 Mädels kommen. Sie ist evangelisch, Mirjam katholisch. "Macht nichts, wir sind hier voll tolerant!“

Weltoffen gibt sich auch die ganze Schule: Hier sind nicht nur evangelische Jugendliche willkommen, sondern auch katholische, muslimische oder nichtgläubige Schüler. Im vergangenen Schuljahr erzielte eine bekennende Muslima die beste Abi-Note im für alle verpflichtenden Fach "Evangelische Religion“ – mit einer Arbeit über Jesus. Einen speziell evangelischen Geist des Hauses gibt es dennoch: Täglich werden Morgenandachten im "Raum der Stille“ angeboten, mehrmals im Jahr gibt es einen Gottesdienst für alle Schüler gemeinsam.

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Das Evangelische zeige sich im täglichen Umgang miteinander: „Gemeinsam lernen und gemeinsam leben – das gehört zusammen. Und das prägt Lehrerschaft und Schülerschaft“, sagt der Schulleiter. Mit Blick auf den Nachwuchs für sein Mädcheninternat ist Reinhart Gronbach eher besorgt: Die Jugendlichen seien zunehmend gewöhnt, ein Einzelzimmer zu haben und rundum versorgt zu sein mit digitalen Medien. Das Modell Internat mit seinen Regeln und Einschränkungen habe es da immer schwerer, so der Theologe. "Wir hoffen, dass wir weiterhin genügend Mädchen finden, die offen sind für ein gemeinsames Internatsleben und füreinander einstehen wollen.“