"Im Krieg ist die Wahrheit das erste Opfer", hat einst der griechische Tragödiendichter Aischylos erkannt. Auch wenn es in diesem "Tatort" aus Leipzig allem Anschein nach um ein familiäres Drama geht: Der Titel "Die Wahrheit stirbt zuerst" legt nahe, dass der Krieg zumindest eine Rolle spielt. Tatsächlich mischt irgendwann sogar das BKA mit. Dabei ist der Fall eigentlich klar: Nach dem Tod seiner kleinen Tochter versucht ihr Vater, Peter Albrecht (Pasquale Aleardi), sich das Leben zu nehmen. Das asthmakranke Mädchen ist erstickt worden, Albrechts Suizidversuch wirkt selbstredend wie ein Schuldgeständnis. Ausgerechnet eine Mitarbeiterin des Bundeskriminalamts stoppt die Ermittlungen jedoch. Weil Saalfeld und Keppler (Simone Thomalla, Martin Wuttke) dennoch nicht locker lassen, werden sie schließlich suspendiert.
Keppler wird von seiner Vergangenheit eingeholt
Grimme-Preisträger Miguel Alexandre ("Grüße aus Kaschmir"), der vor allem dank Mehrteilern wie "Die Frau vom Checkpoint Charlie", "Schicksalsjahre" oder "Der Mann mit dem Fagott" große Anerkennung genießt, hat nach "Todesbilder" (2012) zum zweiten Mal mit dem Leipziger Gespann gedreht. Schon seine erste Arbeit fiel aus dem Rahmen, und das keineswegs bloß, weil das Duo einen Serienmörder jagte. Alexandre kommt in seinen Filmen generell ohne Effekthaschereien aus. Er verzichtet auch in seinen seltenen Krimis auf vordergründige Spannungsverstärker und konzentriert sich bei der Umsetzung statt dessen ganz auf die Geschichte und ihre Hauptfiguren. Deshalb gelingt es ihm, eine große Nähe gerade zu den beiden Ermittlern herzustellen, zumal Keppler in Gestalt der BKA-Kollegin von seiner Vergangenheit eingeholt wird. Die Besetzung dieser resoluten Beamtin mit Katja Riemann ist mehr als ungewöhnlich, zumal es der Hauptkommissar nun gleich mit zwei Verflossenen zu tun hat.
Alexandre hat diesem Film noch stärker als sonst seinen Stempel aufgedrückt, weil er zum ersten Mal überhaupt auch die Bildgestaltung übernommen hat (am Drehbuch waren neben ihm auch André Georgi und Harald Göckeritz beteiligt). Rund ums verschneite Leipzig sind ihm dabei Einstellungen gelungen, die dem Tod des kleinen Mädchens fast eine poetische Note geben. Trotzdem ist der Auftakt höchst dramatisch, weil sich Eva Saalfeld bereit erklärt, dem vermeintlichen Mörder mit einer Bluttransfusion das Leben zu retten; der Leichenwagen wird zum Krankenwagen umfunktioniert. Schon der Einstieg ist also fesselnd, aber Alexandre spitzt die Geschichte noch zu, als das BKA ins Spiel kommt: Die Kollegin Gruner aus Wiesbaden ist dem Unternehmer Bittner (Bernhard Schir) auf der Spur, der illegal Technologie nach Nordafrika liefert. Der Tod des Kindes ist für Gruner bloß ein Kollateralschaden; Bittner ist der Stiefvater des Mädchens.
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Die bestürzende Lösung des Falls ist zwar nicht restlos plausibel, zumal es am Ende auch etwas schnell gehen muss, aber an der Qualität des Films ändert das nichts. Schön ist auch, wie Alexandre die an ihre kleinen Rollen fast verschwendeten Nebendarsteller Kai Schumann und Maxim Mehmet stärker in den Vordergrund rückt. Außerdem findet er immer wieder beredte Bilder. Sehr hübsch ist beispielsweise eine Spiegeleinstellung mit Wuttke und seinen beiden Kolleginnen. Spätestens hier zeigt sich auch die Qualität der Dialoge: weil die Figuren nicht wie sonst dauernd alles erklären müssen. Die winterlichen Waldszenen wiederum sind ausgesprochen romantisch. Da der Vater des Kindes Bandoneonspieler ist, verleihen die Tangoklänge den Bildern eine ganz eigene Stimmung.
Bleibt nur noch eine Frage: Im letzten "Tatort" aus Leipzig, "Schwarzer Afghane", mussten Saalfeld und Keppler einige Bomben entschärfen. Eine aber haben sie damals nicht gefunden, und man wüsste doch gern, was aus ihr geworden ist.