Parsifal in der Kirche: "Ein verrücktes Ding"

Parsifals Abschied von seiner Mutter Königin Herzeloide
Foto: akg/De Agostini Picture Library
Parsifals Abschied von seiner Mutter Königin Herzeloide auf einem Gemälde von Christian Jank aus dem 19. Jahrhundert.
Parsifal in der Kirche: "Ein verrücktes Ding"
Wagners "Parsifal" konzertant in der Kirche - das ist kein leichter Stoff. Ein Gespräch mit Susanne Rohn, Kantorin der Erlöserkirchengemeinde Bad Homburg, über Konzept, Finanzierung und religiöse Aspekte einer Annäherung an Wagner. Am 16. und 21 Juni wird das Stück in Bad Homburg aufgeführt, am 23. Juni noch einmal in Wiesbaden.

Frau Rohn, Sie wagen sich im Juni als künstlerische Leiterin an die konzertante Aufführung von Richard Wagners Bühnenweihfestspiel "Parsifal", zweimal in Ihrer, der Bad Homburger Erlöserkirche, einmal in der Lutherkirche Wiesbaden. Sie selbst haben sich gefragt: "Eine verrückte Idee?"

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Susanne Rohn: Ist es natürlich, so ein Riesenprojekt. Es ist keine Kirchenmusik im klassischen Sinne. Und natürlich ist die Frage der Finanzierung erst einmal auch verrückt.

Mussten Sie für Ihre Idee im Kirchenvorstand kämpfen? Ihr Unterfangen ist ja nicht nur künstlerisch ein Wagnis, sondern eben auch finanziell.

Rohn: Kämpfen muss ich nicht, nein, überhaupt nicht. Man war sehr offen, von Anfang an. Ich war zweimal beim Kirchenvorstand. Einmal habe ich das Projekt vorgestellt. Einen Monat später, in der nächsten Sitzung, hieß es: "Gehen Sie es an, wenn Sie es finanziert bekommen, thematisch haben wir Lust."

Können Sie etwas zum Budget sagen?

Rohn: Ja, im niederen sechsstelligen Bereich.

Ein solcher Kraftakt lässt sich wohl nur mit Sponsoren realisieren?

Rohn: Wir haben einen großen Sponsor, den Kulturfonds Frankfurt Rhein-Main. Ohne ihn hätten wir das Projekt nicht stemmen können. Mit dieser großen Förderzusage war das Vorhaben zwar immer noch nicht in trockenen Tüchern, aber zumindest der Grundstock gelegt.

"Die Musik trägt auch ohne Szene"

Haben Sie sich bei der Entwicklung des Konzepts beraten lassen? Unter den Namen für die Einführungsveranstaltungen findet sich der des ehemaligen Kirchenpräsidenten der Evangelischen Landeskirche in Hessen und Nassau, Peter Steinacker, ein anerkannter Wagner-Experte.

Rohn: Ja. Allerdings musste ich mich nicht groß beraten. Unsere künstlerischen Projekte entstehen  immer in Teamarbeit. Steinacker kenne ich nun selber, auch sein Wagner-Buch. Es lag nahe, unsere Aufführung vor allem unter das Thema "Wagner und Religion" zu stellen. In diesem Kontext ist Steinacker sehr willkommen.

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Warum konzertant? Wagners revolutioniertes Theater setzt die Einheit von Szene und Musik voraus. Welche Rolle hat bei Ihren Grundüberlegungen der Raum der Erlöserkirche gespielt?

Rohn: Eine große. Zum einen passt es stilistisch sehr gut. Auf unserer Homepage sehen Sie den ersten Bühnenbildentwurf für die Bayreuther Uraufführung und den Innenraum unserer Erlöserkirche darüber. Die Ansichten ähneln sich sehr. Außerdem besitzt unsere Kirche eine tolle Akustik. Eine  szenische Fassung, das war ja klar, bekommen wir überhaupt nicht hin, eignet sich auch nicht in der Kirche. Mittlerweile bin ich mir sicher, dass die Musik auch ohne Szene trägt. Diese Musik ist so ausdrucksstark.

Setzen Sie mit der konzertanten Konzeption auch einen Kontrapunkt gegen das sogenannte Regietheater, das jüngst erst wieder beim Düsseldorfer "Tannhäuser" große Teile von Publikum und Öffentlichkeit irritiert hat?

Rohn: Ich bin eine Gegnerin von diesem Regietheater. Man soll die Stücke so machen, wie sie komponiert und gedichtet sind. Wenn einem das nicht passt, sollte man Neues schreiben. Und deswegen finde ich es toll, zu den Wurzeln zu gehen, wenn man sich für die konzertante Aufführung entscheidet.

"Wagner ist im Grunde immer Christ geblieben"

Welches geistige Konzept verfolgen Sie mit Ihrem Projekt? Wollen Sie die Wagner-Community in der Erlöserkirchengemeinde mit einer spezifischen Sicht auf die "Parsifal"-eigene Erlösungstheologie konfrontieren?

Rohn: Uns interessiert bei diesem Projekt vor allem der Aspekt "Wagner und Religion" oder "Parsifal und Christentum". Dabei legen wir vor großen Wert auf die Bildung der Gemeinde. Ich habe mehrere Einführungsveranstaltungen angeboten, auch für meinen Chor. Dazu in kleineren Kreisen, etwa Bibelkreisen. Ein Volkshochschul-Seminar zusammen mit dem Chefdramaturgen der Frankfurter Oper fesselte die Teilnehmer über sechs Stunden. Es sind so viele Gebiete, die da berührt werden, geschichtlich und philosophisch.

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Der "Parsifal"-Stoff lässt sich als Reifungsprozess, als Enkulturationsprozess hin zur Empathiefähigkeit des Menschen verstehen – vergleichbar dem Christentum mit Blick auf die Verantwortung für den Nächsten. Trennen Sie den klassischen christlichen Glauben von Wagners spezieller, manche sagen, Privatreligion?

Rohn: Ich teile nicht die Auffassung: "Wagner wollte etwas ganz anderes." Er hatte eine fundierte christliche Erziehung und ist im Grunde immer Christ geblieben, ungeachtet einiger anderer, etwa buddhistischer Aspekte bei ihm. Wir leben im Zeitalter des interreligiösen Dialogs, und daher kann es kein Schaden sein, wenn wir uns auch über den Tellerrand hinwegbewegen.

Sehen Sie im Text, im religiösen Kontext des "Parsifal" einen spirituellen Alleingang des alternden Wagner, der quer liegt zu den Essentials des Christentums? Mithin auch ein Risiko für eine Aufführung in einer Kirche?

Rohn: Ich kann im "Parsifal" sehr viele christliche Elemente entdecken, die nicht dem zuwiderlaufen, was wir lernen und glauben und lehren. Also ich finde das Werk nicht so abseitig, wie es gerne propagiert wird. Allerdings ist die Neigung, das Christentum vom Alten Testament, vom jüdischen Schöpfergott abzukoppeln, womit Wagner im 19. Jahrhundert keineswegs allein dastand, sehr problematisch.

"Man bekommt wahnsinnig viel durch diese Musik zurück"

Sie setzen mit Ihrem Orchester von 70 Musikern auf "Originalinstrumentierung". Was ist da der Hintergrund?

Rohn: Ich habe mir überlegt, wie es zu schaffen ist, dass das Publikum die Sänger versteht, obwohl es in der Kirche keinen Orchestergraben gibt. Mir ist dann die Lösung eingefallen, Darmsaiten bei den Streichinstrumenten und eng mensurierte Bläser zu wählen, wie sie um 1880 im Gebrauch waren. Ein befreundeter Orchestermusiker, bei dem ich angefragt habe, war sofort Feuer und Flamme und hatte Lust, mit seinem Orchester "L’Arpa festante" dabei zu sein. Das war der Startpunkt für die Idee.

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Sie haben sich ja nun sehr intensiv mit Wagners Werk auseinander gesetzt. Was haben diese Wochen bei Ihnen persönlich angerichtet?

Rohn: Mir gibt es unglaublich viel Energie. Und allen, die mit mir musizieren. Natürlich muss man auch Energie hineinstecken. Aber man bekommt so wahnsinnig viel durch diese Musik zurück. Das ist echt toll.

Also in der Tat ein verrücktes Ding?

Rohn: Ja, ja, ja. Aber fragen Sie mich hinterher, nach diesen viereinhalb Stunden Dirigieren, ob und wie ich es durchhalte.