Wenn das Leben großer Persönlichkeiten Filmstoff wird, wirken die Werke meist wie aus einem Guss: Die Biografien werden ohne Brüche erzählt, als sei ein Lebensweg die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten. Um so faszinierender ist der Ansatz, den Daniel Nocke und Stefan Krohmer für ihr Doku-Drama über Rudi Dutschke gewählt haben: Das mehrfach gemeinsam ausgezeichnete Duo ("Ende der Saison", "Familienkreise") führte zunächst Interviews mit den Freunden und Weggefährten des Studentenführers; erst dann schrieb Nocke sein Drehbuch, in das er nicht nur die Brüche, sondern auch die Widersprüche aus den Schilderungen einfließen ließ. Auf diese Weise ist ein Porträt entstanden, dass Dutschke vermutlich gerechter wird als eine um möglichst große Wahrhaftigkeit bemühte Dokumentation. Vor allem aber verdankt der Film dieser Strategie eine Ironie, zu der Dutschkes Zeitgenossen kaum fähig gewesen wären. Zum Fundament des Drehbuchs zählten neben den Gesprächen auch Dutschkes Tagebücher sowie die Autobiografie seiner von der Britin Emily Cox verkörperten amerikanischen Frau Gretchen.
"Eine steile Karriere für einen Chauffeur"
Beinahe lustvoll lassen Nocke und Krohmer dank der Montage die eitlen Protagonisten aufeinanderprallen. Vor allem Dutschkes Mitstreiter Gaston Salvatore (Pasquale Aleardi) und Bernd Rabehl (Matthias Koeberlin) machen einander die Meriten streitig. Aus Sicht Rabehls war Salvatore bloß ein besserer Chauffeur, der von Politik keine Ahnung hatte, während Salvatore auf seine verschiedenen Funktionen verweist ("eine steile Karriere für einen Chauffeur"). Dass beide mit der Legendenbildung in eigener Sache vor allem ihrer Eitelkeit und weniger der Wahrheitsfindung dienen, spielt überhaupt keine Rolle, denn es erhöht die Unterhaltsamkeit des Films ungemein. Außerdem wirft es ein treffendes Licht auf die Zerrissenheit der Studentenbewegung.
Ein weiterer Einwand Salvatores ist allerdings völlig angebracht: Seiner Meinung nach sollte ein Film über Rudi Dutschke mit dem Attentat im April 1968 enden. Tatsächlich ist das Drama im letzten Drittel mitunter genauso kraftlos wie Dutschke selbst, der sich nie wieder von den Schüssen in den Kopf erholt hat und elf Jahre später an den Spätfolgen der Verletzungen starb. Nocke (Jahrgang 1968) und Krohmer (1971) konnten und wollten Salvatores Rat allerdings schon deshalb nicht folgen, weil sie sich dann um ihren eleganten Epilog gebracht hätten. Aber dass Dutschke am Ende zum Grünengründer wird, dürfte eher eine Frage der filmischen Dramaturgie als der historischen Korrektheit sein.
Größeres Manko des Films aber ist eine gewisse Betriebsblindheit: Selbst Dutschkes Altersgenossen werden nicht mehr wissen, welche Rolle die verschiedenen Interviewpartner in der Studentenbewegung gespielt haben. Da Nocke und Krohmer auf einen Kommentar verzichten, müssen die kargen Einblendungen reichen. Auch die Mitwirkung des Filmkritikers Claudius Seidl erschließt sich nicht recht; der war 1968 neun Jahre alt. Und die hitzige Stimmung jenes Jahres scheinen Nocke und Krohmer als bekannt vorauszusetzen; unverhohlen zur Gewalt aufrufende "Bild"-Schlagzeilen und aggressive Passantenstimmen müssen genügen, um anzudeuten, wie hasserfüllt die Gesellschaft auf Dutschkes Parolen reagierte.
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Gemessen am Gesamteindruck aber sind diese Einwände bloß Kleinigkeiten, zumal die Spielszenen fast stärker sind als die Interviews; und das ist das Verdienst von Christoph Bach. Sein Dutschke wirkt in den ersten Szenen etwas steif, wird mit zunehmender Filmdauer aber immer sympathischer, zumal er zumindest bis zum Attentat stets etwas Schelmisches hat. Außerdem setzt der Studentenführer die richtigen Prioritäten: Wenn sein kleiner Sohn die Hosen voll hat, muss die Revolution eben noch warten. Einen ganz erheblichen Beitrag zur Authentizität der Spielszenen leisten Maske, Kostüm und Ausstattung: Anders als in vergleichbaren Filmen wirken Frisuren, Kleider, Tapeten und Möbel nicht sorgsam rekonstruiert, sondern auf verblüffende Weise völlig echt.