"Es gibt Kraft, zu wissen: Ich bin nicht allein"

Foto: dpa/Marius Becker
Anwohner, die in ihre Häuser zurückkehren, unterhalten sich am 10. Juni im Magdeburger Stadtteil Rothensee auf dem überfluteten Gehweg.
"Es gibt Kraft, zu wissen: Ich bin nicht allein"
In den Hochwassergebieten haben hunderte Menschen ihre Bleibe verloren, tausende wissen nicht, wie es weitergeht. Bei Nachbarn, Verwandten und Bekannten oder in Notunterkünften sind sie vor dem Wasser untergekommen. Dabei brauchen sie Hilfe und Unterstützung. Zuhören hilft, berichtet Notfallseelsorgerin Thea Ilse im Interview.
11.06.2013
evangelisch.de

Wie tröstet man jemanden, dessen Hab und Gut im Hochwasser versinkt?

Thea Ilse: Ich denke, Trost heißt in dem Moment: Jemand ist bei dir, der erlebt das mit dir und fühlt mit. Ich habe jemanden, der mich in diesem Schmerz einfach unterstützt, wenn gerade alles wegsinkt, und ich bin mit meinem ganzen Kummer nicht alleine. Das ist eigentlich das wichtigste: Zuhören, das bange Warten aushalten, weil ja alle noch nicht wissen, was eigentlich ist, wenn man wieder zurück kann. Das ist die Fähigkeit eines Notfallseelsorgers in dem Moment. Ohr zu haben, nicht in Aktivität zu verfallen, sondern die Dinge so auszuhalten, wie sie sind, weil wir sie auch nicht ändern können.

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Das heißt, Sie sind derzeit vor allem mit den Menschen beschäftigt, die aus ihren Häusern fliehen mussten und in Notunterkünften unterkommen?

Ilse: Es sind in der Flut im Moment eher Einzelgeschichten, zu denen wir gerufen werden, weil eine Menge von den Menschen aus dem Miteinander kommt, aus der Nachbarschaftshilfe in der Straße, im Dorf, in den Notunterkünften. Alle haben dasselbe Schicksal, einer kann dem anderen zuhören. Da ist sehr viel Selbsthilfe dabei, mit der man sich gegenseitig stärkt. Dann gibt es aber ab und zu Einzelfälle, die eventuell eh schon von einem anderen Schicksalsschlag betroffen sind, wo das dann noch doppelt ins Kontor stößt. Und dann braucht man einfach einen anderen Gesprächspartner.

So schauen wir  in die Notunterkünften, ob dort Menschen sind, die diesen anderen Redebedarf haben. Aber ich habe es gerade aus dem Stendaler Bereich von den Notfallseelsorgern erfahren: Die machen jeden Mittag in den verschiedenen Notunterkünften Mittagsgebete, zu denen sie einladen. Da sind die einzelnen ehrenamtlichen Teams vor Ort sehr unterschiedlich und kreativ und bringen das ein, was sie selbst gerne einbringen können.

"Bei aller Tragik ist sehr viel Energie da"

Was hilft den Betroffenen am ehesten?

Ilse: Die Frage ist ja: Was braucht der andere eigentlich und was kann ich als diejenige, die in dem Moment im Einsatz ist, am besten einbringen? Wo sind meine Gaben? Die Stendaler Notfallseelsorger haben beispielsweise gesagt: Unsere Gabe ist, wir machen ein Gebet und haben danach noch Zeit zum Sprechen. In anderen Teams sagen sie: Wir gehen zu bestimmten Tageszeiten in die Notunterkünfte, bieten uns an, und dann kommen Menschen, die Gesprächsbedarf haben. 

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Erleben Sie in Magdeburg eher Hoffnung oder eher Resignation?

Ilse: Also, wenn Sie mich nach der Stimmungslage fragen, ist überall bei aller Tragik sehr viel Energie da, weil man sich getragen fühlt von all den Menschen, die da sind und mittun. Von der vielen freiwilligen Hilfe, den vielen jungen Leuten, die Sandsäcke schleppen, und den Älteren, die Brötchen schmieren und Essen bringen. Dieses soziale Miteinander ist ganz wichtig in dem Moment, in dem die Menschen in einer persönlichen Krise sind und gerade sagen: "Oh Gott, wie soll ich denn das alles schaffen?" Manche verlieren zum zweiten Mal ihr Haus und wissen, wie lang die Strecke ist, die vor ihnen liegt. Da gibt es einfach Kraft, zu wissen: Ich bin nicht alleine in der Krise, ich habe Menschen an meiner Seite, und es wird weitergehen. 

Was können denn Menschen tun, die nicht unmittelbar vom Hochwasser betroffen sind und helfen wollen?

Ilse: Ich denke, all die Menschen, die das Gefühl haben, jetzt etwas tun zu wollen, sollten sich über Presse und Internet informieren: Wird meine spezifische Hilfe gebraucht, kann ich die irgendwo einbringen? Dann können sie auch dahin fahren, wo ihre Hilfe gebraucht wird. An einem freien Wochenende Sandsäcke schleppen, Brötchen schmieren, Menschen in Notunterkünften unterstützen, wenn da ältere Bürger sind... Das jeder auch guckt, was er einbringen kann. Aber bitte keinen Reisetourismus, sondern vorher sich kundig machen!

"Das ist schon eine besondere Situation bei der diesjährigen Flut"

Welches Erlebnis hat Sie denn in dieser Flut am tiefsten bewegt? 

Ilse: Das sind schon die vielen jungen Leute. Wie die miteinander anpacken, mit welcher Fröhlichkeit und Lebendigkeit. Die schauen jetzt gar nicht: Was kommt hinterher? Sondern die sind einfach da und legen los. Wenn so viel über die jungen Leute geschimpft und geredet wird, die aber auf einmal da sind und stundenlang da sind und am nächsten Tag wieder da sind, das ist schon etwas Bewegendes. Das ist bei der Flut 2002 noch nicht so aufgefallen, sage ich mal ganz ehrlich. Das ist schon eine besondere Situation bei der diesjährigen Flut.

Was möchten Sie den Betroffenen mitgeben? 

Ilse: Ihr habt es alles schon einmal erlebt, ihr wisst, wie lang der Atem sein muss, den ihr jetzt braucht. Und auch wenn die Sonne hinter den Wolken ist, kommt sie wieder hervor.