"Wir brauchen keinen Fußballgott" - Eine Predigt zum Finale

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"Es gibt zwar keinen Fußballgott, aber ich glaube, dass es Gott ist, der uns Menschen genauso liebt, wie wir sind, mit all unseren Macken, und deswegen glaube ich, dass er auch den Fußball liebt. Nur: die Kiste müssen wir schon selber treffen!" Jürgen Klopp
"Wir brauchen keinen Fußballgott" - Eine Predigt zum Finale
Vor dem großen Champions League Finale, FC Bayern gegen Dortmund, hat der evangelische Pfarrer Johannes M. Ruschke einen Gottesdienst mit BVB-Fans in Dortmund gefeiert. Hier seine Predigt im Original.
25.05.2013
Johannes M. Ruschke

Liebe BVB-Fangemeinde,
letzte Nacht hatte ich einen Traum: Ich sitze gemeinsam mit 79.999 anderen Fußballfans im ehrwürdigen Londoner Wembley-Stadion. Champions-League-Finale. BVB gegen die Bayern. Der BVB ist hochüberlegen, Ribery, Müller, Schweinsteiger und Co. fabrizieren zwar viel heiße Luft, kriegen aber auf dem Rasen nicht so richtig was gebacken. Es läuft die zweite Halbzeit, 70 Minuten sind gespielt. Der BVB führt 2:1. Es ist ein enges Spiel, noch ist alles möglich. Da entscheidet sich Kloppo, einen Stürmer rauszunehmen, und einem bisher eher unbekannten Mittelfeldspieler eine Chance zu geben. Talentiert ist er, aber größtenteils unerfahren. Dann die 71. Minute: Ein schöner Pass aus dem Mittelfeld auf die rechte Seite.

Mit seinem ersten Ballkontakt überrumpelt der junge Spieler den zu weit vor dem Tor stehenden Neuer mit einer Bogenlampe aus 25 Metern und erzielt das spielentscheidende 3:1. Tor! Das Tor des Jahres! "Hey, was ist denn mit dir los?" weckt mich meine Frau. "Hast Du schon wieder vom BVB geträumt?" "Na klar", antworte ich ihr, "und es war ein wunderschöner Traum!"

On the road to Wembley

Liebe Fans, das wäre wahrlich wunderbar, wenn dieser Traum in Erfüllung gehen würde! Es ist ja manchmal das Schöne an Träumen, dass sie uns zeigen, was alles möglich sein kann. Und es ist das Schöne, dass sich Träume wiederholen können. Das Sprichwort "das muss kein Traum bleiben" gibt es nicht zu unrecht. In Träumen, so sagen es Psychologen, verarbeiten Menschen unter anderem Hoffnungen und Wünsche. Durch manche Träume fühlen sich Menschen ermutigt, etwas Bestimmtes zu tun, was sie sich im wachen Zustand vielleicht gar nicht eingestanden hätten. Insofern überraschen uns Träume.

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Einer, der von einem besonderen Traum überrascht worden ist, heißt Jakob. Von ihm wird in der Bibel berichtet, dass er durch eine List seinen älteren Zwillingsbruder Esau um den Segen bringt, der diesem als erstgeborenem Sohn eigentlich zugestanden hätte. Esau ist wütend und möchte Jakob an die Gurgel. Um sich vor seinem Bruder in Sicherheit zu bringen, flieht Jakob aus Kanaan nach Haran, das liegt in der heutigen Türkei, in die Heimat seiner Mutter. Jakob ist auf dem Weg.

On the road to Wembley. Noch sind es zwei Tage, bis wir unser Ziel erreichen. "Noch zweimal schlafen", sage ich zu meinem fußballbegeisterten Sohn Paul, der schon die ganze Woche sein Mini-Borusse-T-Shirt trägt. "Noch zweimal schlafen, ehe es so weit ist und das Finale beginnt." Niemand weiß, wie es ausgehen wird.

Werden auch wir Gott begegnen?

Auch für Jakob ist es eine Reise ins Ungewisse. Tagelang läuft er. Eines Abends "kam er an eine Stätte und blieb dort über Nacht". Und dies war eine ganz besondere Stätte.
25. Mai 2013, 20:45 Uhr, Wembley-Stadion, London. Eine ganz besondere Stätte, wo wir mit dem BVB die Nacht verbringen werden. Oder am besten, die Nacht zum Tage machen werden. A night to remember.

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So auch bei Jakob: A night to remember. Er schläft ein. In seinem besonderen Traum begegnet ihm Gott persönlich. Oben, am Ende der Leiter, sieht er Gott. Und er hört ihn sprechen. Gott spricht zu Jakob. Zu ihm, diesem Gauner, der seinen Bruder missachtet hat. Aber Gott ist nicht da, um zu bestrafen. Er ist da, um Jakob zu versichern: Wo du dich auch immer befinden wirst, ich werde bei dir sein. Was auch immer du getan hast, ich werde dich unterstützen. Wo du bist, werde auch ich sein. Gott verspricht Jakob Land, Nachkommen und Schutz. Und dieses Versprechen bleibt nicht nur ein Traum, sondern wird Wirklichkeit.

Und wir? Was werden unsere Träume on the road to Wembley sein? Werden auch wir Gott begegnen? Oder etwa dem Fußballgott? "Ab heute glaube ich nicht mehr an den Fußball-Gott", haderte der ehemalige Manager eines Fußballvereins aus Herne-West, im Jahre 2001 anlässlich der knapp verpassten deutschen Meisterschaft. Mal ehrlich, dass es keinen Fußballgott gibt, das wusste ich schon lange!

Ich bin bei dir, sagt Gott

Oder vertue ich mich? "Fußball ist in unserer Gesellschaft Religionsersatz geworden. Das Bedürfnis, sich mit vielen anderen Menschen zusammenzuschließen und ein großes gemeinschaftliches Erlebnis zu haben, ist ursprünglich ein religiöses Bedürfnis", behauptet der Philosoph Richard David Precht. Damit mag er nicht ganz unrecht haben. Es gibt einige Parallelen zwischen gelebter Fankultur und gelebtem Glauben. Man erwartet ein "Wunder" in Form unerwarteter Resultate oder hofft auf ein "erlösendes Tor", der "heilige Rasen" ist allen Fußballfans ein Begriff. Fußball macht Spaß, wenn das Ergebnis stimmt. Dann könnte auch ein Fußballgott anwesend sein. Aber ich glaube nicht an einen Fußballgott! Denn der Fußball-Gott, wenn es ihn den gäbe, antwortet nicht, er ist lediglich ein stummer Schein. Er antwortet nicht, wie Gott es tut.

Denn Gott spricht zu uns. Vor vielen Jahren, in einem Traum bei Jakob. Und heute bei uns. Er mischt sich manchmal ganz anders in unser Leben ein, als wir es erwarten. Das können wir auch nicht immer merken. Aber immer wieder. Und ich hoffe darauf, dass wir das alle immer wieder merken werden: dass Gott zu jedem einzelnen von uns sagt: Ich bin bei dir. Egal, wo du bist. Ob hier in der Dreifaltigkeitskirche, allein vor'm Tor oder beim Elfmeter allein im Tor, im Wembleystadion oder einfach zu Hause auf dem Sofa. Ich bin bei dir, sagt Gott. Was auch immer du getan hast, ich werde dich unterstützen. Wo du bist, werde auch ich sein. Ich bin immer für dich da, bei Siegen und auch bei Niederlagen.

"Die Kiste müssen wir schon selber treffen"

Nun wird Gott Niederlagen nicht verhindern, das müssen wir beziehungsweise unsere BVB-Jungs schon selber tun. Doch wir können uns an Gott wenden, dass er uns auch in den Niederlagen unseres Lebens nicht alleine lässt. Wir können uns an Gott wenden, indem wir zu ihm beten, oder uns an andere Personen wenden, die für uns beten können. Für viele Fans ist Aloisius Scrosoppi so einer. 1804 im italienischen Udine geboren, machte sich der Franziskanermönch in besonderer Weise um die Jugendarbeit verdient und setzte sich Zeit seines Lebens für die Schwächsten der Gesellschaft ein. Er repräsentierte Werte, die auch über den Sport entwickelt werden, wie Fairness, Ausdauer, Fleiß, Durchhaltevermögen und Zielstrebigkeit. Im Jahr 2010 wurde Scrosoppi zum Schutzheiligen für Fußballer ernannt. Seitdem ist der Heilige Luigi der Schutzpatron für alle Kicker.

Liebe Fangemeinde, wir brauchen keinen Extra-Fußballgott. Denn Gott liebt uns, so, wie wir sind und dort, wo wir grade auf unserem Lebensweg sind. Oder, wie Jürgen Klopp einmal beteuerte: "Es gibt zwar keinen Fußballgott, aber ich glaube, dass es Gott ist, der uns Menschen genauso liebt, wie wir sind, mit all unseren Macken, und deswegen glaube ich, dass er auch den Fußball liebt. Nur: die Kiste müssen wir schon selber treffen!", so Kloppo. Also Jungs: Alles ist angerichtet! Vertraut auf eure Stärke, vertraut auf Gottes Beistand und lasst meinen Traum von letzter Nacht, lasst unser aller Traum wahr werden und holt den Pokal!
Amen.