Martin Brambach ist einer jener Schauspieler, die mit Vorliebe für Nebenrollen besetzt werden: weil sie in der Lage sind, einer Figur mit bloß einer Szene ein bestimmtes Profil zu verleihen. Im ZDF-Film "Neue Adresse Paradies" hat Brambach Gelegenheit zu beweisen, warum er - wie beispielsweise in "Barfuß bis zum Hals" – viel zu selten Hauptrollen spielen darf.
Womöglich hatten die Verantwortlichen den FKK-Film vor Augen, als ihre Wahl auf Brambach fiel, schließlich spielen beide Filme größtenteils auf einem Campingplatz: Bauunternehmer Stefan hat sich verspekuliert und muss samt Gattin Jenny (Dana Golombek) und Stieftochter Natascha (Leonie Tepe) quasi über Nacht sein Eigenheim verlassen. Geblieben ist der Familie bloß ein Wohnmobil, mit dem sie schließlich auf einem Campingplatz am malerischen oberbayrischen Pilsensee landen.
Das Gelände trägt zwar den malerischen Namen Paradies, hat sich im Lauf der Jahre aber zu einem Refugium für allerlei Strandgut der Gesellschaft entwickelt. Nachdem sich Stefan eine Weile seinem Selbstmitleid hingegeben hat, erwacht der alte Kampfgeist wieder. Voller Enthusiasmus begeistert er die Dauercamper von seiner Idee, den Campingplatz zu einer Freizeitoase inklusive Fit- und Wellness auszubauen, nicht ahnend, dass man im Rathaus nur auf den richtigen Moment wartet, um die Aussteiger loszuwerden.
Das ganze Spektrum zwischen Depression und Euphorie
Die Rolle bietet Brambach viele Gelegenheiten, seine große Stärke auszuspielen: Nur wenige Schauspieler sind hierzulande in der Lage, skrupellose Schurken und sensible Raubeine gleichermaßen glaubwürdig zu verkörpern. Der Killerblick ist in dieser Geschichte naturgemäß nicht gefragt, aber dafür darf Brambach das ganze Spektrum zwischen Depression und Euphorie ausleben. Die von Regisseur Peter Stauch ohnehin eher beiläufig inszenierten komödiantischen Momente bilden dabei nur den Rahmen; die Leistung des Schauspielers ist eher anrührend als erheiternd.
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In der darstellerischen Disziplin der Zerknirschtheit ist Brambach ohnehin unerreicht; und kaum jemand stolpert so glaubwürdig in Fettnäpfchen wie er. Dana Golombeks Rolle ist nicht ganz so vielschichtig, aber sie spielt weit mehr als bloß die Frau an der Seite ihres Gatten. Die Überraschung des Films ist jedoch Leonie Tepe. Selbst wenn die junge Schauspielerin nicht zuletzt dank der drei "Vorstadtkrokodile"-Filme bereits über eine gewisse Erfahrung verfügt: Sie findet genau den richtigen Ton für die halbwüchsige, zwischen der Solidarität mit ihrer Mutter und dem peinlichen sozialen Abstieg hin- und hergerissen Tochter. Natascha fungiert als Erzählerin und verknüpft auf diese Weise die verschiedenen Handlungsebenen.
Rund um das zentrale Trio gruppiert das Drehbuch (Marlene Schwedler) eine ganze Reihe verkrachter, aber liebenswerter Existenzen, allen voran den Campingplatzpächter, den Michael Tregor mit einer reizvollen Mischung aus Skurrilität, Pedanterie und Sympathie verkörpert. Auch die weiteren Rollen sind ausgesprochen treffend, markant und abgesehen von Steffen Wink (als Jennys Jugendliebe) und Eisi Gulp (als polnischer Leergutsammler) mit unbekannten Darstellern besetzt, die ihre Sache ausgezeichnet machen.