Mit ihrem Buch "Schleuderprogramm" dürfte sich Hera Lind vor sieben Jahren eine Menge Ballast von der Seele geschrieben haben. Der Star, der durch dubiose Geldanlagen sein komplettes Vermögen verliert, die prunkvolle Villa verlassen muss und als Überfliegerin sehr unsanft auf dem Boden der Tatsachen landet: Das ist ihr alles selbst widerfahren. Dass die Romanheldin Sängerin ist, passt ebenfalls ins Bild: Lind ist ausgebildete Konzertsängerin und war auch solo auf Tournee, bis sie feststellte, dass sie über ein weiteres und zudem ungleich lukrativeres Talent verfügte. Bei flüchtigem Hinschauen könnte Annette Frier sogar als jüngere Ausgabe der Bestsellerautorin durchgehen. Dass ihre Leistung als Linds alter ego bemerkenswert ist, hat jedoch andere Gründe: Die Kölnerin ("Danni Lowinski") wird gern besetzt, wenn eine Darstellerin für patente Frohnaturen gesucht wird. Als weltweit gefeierte und reichlich blasierte Opernsängerin Ella Herbst aber darf Frier eine ganz andere Facette zeigen: Die emotionale Kälte, die sie als arrogante Sopranistin ausstrahlt, erinnert an Nicole Kidman, die aristokratische Unnahbarkeit an Grace Kelly in ihrer Lebensrolle als Gracia Patricia. Dank der Arbeit von Maskenbild und Kamera (Volker Tittel) ist Fier zudem von einer dem Alltag entrückten Attraktivität, wie sie sonst praktisch nie zu sehen ist.
Der "Gefangenenchor" aus Giuseppe Verdis "Nabucco"
Natürlich erzählen Buch und Film keine unsympathische Misserfolgsgeschichte. Als ihre Karriere über Nacht abrupt endet, ist Ella gezwungen, sich endlich wieder ihrer guten Seiten zu besinnen: Nach einem Notruf ihres Vaters (Peter Franke) lässt die ohnehin für ihre Eskapaden berüchtigte Sängern eine Vorstellung in der Kölner Oper platzen. Kurz drauf stellt sich raus, dass ihr Lebensgefährte ihr gesamtes Vermögen allzu riskant investiert hat; der nunmehr mittellose Weltstar muss zum verwitweten Vater und somit zurück in sein Kinderzimmer ziehen. Dies allein ist als Handlung schon wunderbar, aber der Clou der Geschichte ist das Projekt eines den schönen Künsten zugetanen Gefängnisdirektors (Peter Prager), der Ella für ein Experiment gewinnt: Sie soll aus den Gefangenen einen Chor bilden. Die hartgesottenen Burschen (unter anderem Christof Wackernagel, Patrick von Blume und Michael Keseroglu) finden die Idee zwar absurd, aber die Teilnahme trägt zur guten Führung und somit zur vorzeitigen Entlassung bei. Aber dann wittern sie eine Chance, noch viel früher frei zu sein: Dank der Verführungskünste des charmanten Italieners Angelo (Pasquale Aleardi) überzeugen sie Ella, die Knackis bei einem Chorwettbewerb anzumelden; natürlich mit dem "Gefangenenchor" aus Giuseppe Verdis "Nabucco". Den Auftritt wollen sie allerdings zur Flucht nutzen.
Nicht zuletzt dank seines Talents für den dialogischen Feinschliff hat Martin Rauhaus ("Ein starker Abgang", "Winterreise") die Romanvorlage in ein wunderbaren Drehbuch adaptiert. Katinka Feistl hat eine leichtfüßige Komödie mit dennoch immer wieder nachdenklichen Momenten daraus gemacht.
Letztlich erzählt "Schleuderprogramm" davon, dass Menschen lernen, Verantwortung zu übernehmen: für das eigene Handeln, für sich selbst, aber auch für andere; und das nicht nur, weil Vater Herbst zunehmend dement wird. Erst recht sehenswert ist der Film wegen Annette Frier, die nach der kürzlich von Sat.1 gezeigten herausragenden Tragikomödie "Und weg bist du" erneut ganz ausgezeichnet spielt.