"Gott weiß, was wir gesagt und gewünscht haben"

Christliche und islamische Geistliche lesen im Gottesdienst die Gebete vor.
Foto: Joachim Neu
Geistliche lesen die Gebete vor. Von links nach rechts: Pastor Kay Kraack, Imam Ramazan Ucar, Imam Zulhajrat Fejzulahi, Imam Scheich Samir El-Rajab, Pastor Gunter Marwege.
"Gott weiß, was wir gesagt und gewünscht haben"
Im Hamburger Stadtteil St. Georg beten Christen und Muslime gemeinsam
Können Christen und Muslime gemeinsam Gottesdienst feiern? Offenbar ja. Auf dem Kirchentag in Hamburg gab es einen christlich-islamischen Gottesdienst mit dem Titel "Gemeinsame Verantwortung – gemeinsam beten" in der Kirche St. Georg. Die Stadtteilgemeinschaft dort hat solche Feiern schon eingeübt. Pastoren und Imame gehen dabei ganz pragmatisch von Fragen des Zusammenlebens aus, anstatt theologische Hürden aufzubauen.
07.05.2013
evangelisch.de

Eine kurze Meldung vom christlich-islamischen Gottesdienst in Hamburg hat bei den evangelisch.de-Lesern Diskussionen ausgelöst. "Es gibt keinen gemeinsamen Glauben. Jesus Christus steht im Mittelpunkt der christlichen Lehre und darf nicht verwischt werden. Er und nur er ist der Weg, die Wahrheit und das Leben", schreibt Leser "Bert". Dagegen meint "Azad", es könne "sehr wohl einen gemeinsamen Glauben zwischen Christen und Nichtchristen geben, denn der Glaube ist ja keine Überzeugung, sondern eine Beziehung." Das trifft die Haltung der Geistlichen beider Religionen im Hamburger Stadttteil St. Georg schon ziemlich gut: Beziehungen untereinander und zu Gott stehen im Mittelpunkt.

Bei der Zusammenarbeit von Christen und Muslimen in St. Georg gehe es um Seelsorge beziehungsweise um "Stadtteilsorge", erklärt Pastor Gunter Marwege von der Kirchengemeinde St. Georg. Die Sorgen der Menschen um Familie und Zusammenleben seien doch bei allen ähnlich, unabhängig von der Religion. Er berichtet von einem christlich-muslimischen schwulen Paar, dessen Beziehung Stress in der Familie des Muslims auslöste. Der Imam habe geholfen, die Situation zu befrieden.

"Die Leute von den Moscheen kamen auf uns zu"

Der Stadtteil St. Georg ist bunt und vielfältig, die schwul-lesbische Community ist hier ebenso zuhause wie zahlreiche Muslime unterschiedlicher Herkunftsländer. In St. Georg gibt es etliche Moscheen und Gebetsräume, mit dreien davon steht die evangelische Kirchengemeinde in Kontakt (mit einer türkischen, einer albanische und einer libanesischen; letztere zieht bald um in eine ehemalige Kirche im Stadtteil Horn).

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In der Kirchengemeinde begann vor rund 15 Jahren der "St. Georg-Dialog“, ein Versuch, mehr mit den ausländischen Mitbürgern ins Gespräch zu kommen. "Die Leute von den Moscheen kamen dann auf uns zu", berichtet Pastor Marwege und gibt zu: "Wir haben auch einen Lernprozess durchgemacht."

Im Sommer 2001 wurde ein Stadtteilfest mit einem ersten gemeinsamen Gebet in der Centrum-Moschee gefeiert. Dann kam der 11. September - Gunter Marwege und sein Kollege Kay Kraack sind am nächsten Tag ohne Umweg in die Centrum Moschee gegangen und haben dem Kollegen Imam Ramazan Ucar gesagt: "Wir stehen dafür ein, dass ihr jetzt nicht mit den Terroristen in einen Topf geworfen werdet." Am darauffolgenden Sonntag kamen in einen spontan veranstalteten Gottesdienst rund 500 Menschen, die einfach ihre Trauer und ihr Entsetzen über die schrecklichen Anschläge vor Gott bringen wollten.

Pastoren und Imame in St. Georg gehen nicht blauäugig an die Sache heran. Sie denken gemeinsam darüber nach, welche Glaubensaussagen sie teilen können und welche nicht. "Was wir hier in Hamburg machen, das ist sehr offen", sagt Imam Ramazan Ucar, der auch islamischer Theologe ist. "Wir reden über Sachen, die uns einen, und Sachen, die uns trennen. Das ist kein Friede-Freude-Eierkuchen, sondern das ist sehr ehrlich."

Es gibt nur einen Gott

Ihr kleinster gemeinsamer Nenner ist die Überzeugung: Es gibt nur einen Gott. Das steht im Alten Testament (5. Mose 6,4) und entspricht auch dem muslimischen Glaubensbekenntnis, der Schahada. "Im Koran gibt es Verse, die sagen: Unser und euer Gott ist derselbe", erklärt Ucar. "Natürlich gibt es in der Kirche den dreieinigen Gott, Vater, Sohn und Heiligen Geist, und im Islam gibt es nur den Schöpfer. Wenn wir beten, wenden wir uns an diesen Schöpfer." Für Gunter Marwege ist die Sache ebenso klar: "Wenn es nur einen Gott gibt, dann ist es der Gott, den Juden, Christen und Muslime anrufen, der eine und derselbe."

Nach dem Gottesdienst auf dem Kirchentag nutzten Besucherinnen unterschiedlichen Glaubens die Gelegenheit, einander kennenzulernen.

Das christliche Gottesbild unterscheidet sich vom islamischen durch die Rede vom dreieinigen Gott: Vater, Sohn und Heiliger Geist. Zwar kennen auch Muslime die Person Jesus, doch nach dem Koran ist er ein Prophet, nicht Gottes Sohn. Kreuzigung und Auferstehung Christi und deren Deutung als Erlösung der Menschen durch Gott – diesen Glauben gibt es im Islam nicht. Die Zugangswege des Menschen zu Gott sind also völlig unterschiedlich: Im Islam ist der Mensch mit Gottes Hilfe in der Lage, so zu leben, dass es Gott gefällt – im Christentum nicht. Christen glauben an die Rechtfertigung allein durch Gottes Gnade, der Mensch kann sich seine Erlösung nicht selbst verdienen. Muslime dagegen versuchen, sich Gott hinzugeben, indem sie die "Fünf Säulen des Islam" befolgen und Gutes tun.

Die Unterschiede zwischen den beiden Religionen dürfen nicht nivelliert werden. In dem Kirchentags-Gottesdienst in St. Georg seien sie gut erkennbar gewesen, sagt Oberkirchenrat Detlef Görrig, Referent für Interreligiösen Dialog im Kirchenamt der EKD, der an dem Gottesdienst teilgenommen hat: "Der Pastor hat die trinitarische Formel ("Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes") an den Anfang gestellt und der muslimische Teilnehmer das 'Bismillah' – 'Im Namen Gottes' – das stand nebeneinander, so dass es keinen Anlass gab, da von einer Vermischung zu sprechen."

Nebeneinander vor Gott stehen

Gemeinsam beten können Christen und Muslime gerade dann, wenn sie sich die Unterschiede bewusst machen. Detlef Görrig verweist auf die neue Orientierungshilfe "Gute Nachbarschaft leben" der Nordkirche. Sie nimmt die Erklärung der früheren nordelbischen Synode auf, in der es heißt: "Religiöse Praxis halten wir bei gemeinsamen Veranstaltungen für möglich, wenn die Eigenart der jeweiligen Religion gewahrt und erkennbar bleibt." Und ein ökumenischer Verhaltenskodex zur Mission aus dem Jahr 2011 hält fest: "Christen/innen müssen aufrichtig und respektvoll reden; sie müssen zuhören, um den Glauben und die Glaubenspraxis anderer kennen zu lernen und zu verstehen, und sie werden dazu ermutigt, das anzuerkennen und wertzuschätzen, was darin gut und wahr ist. Alle Anmerkungen oder kritischen Anfragen sollten in einem Geist des gegenseitigen Respekts erfolgen."

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Die Menschen in St. Georg haben einfach gemerkt: "Wir glauben an einen Gott und es tut uns gut, gemeinsam unsere Sorgen zu ihm zu bringen." In dem Gottesdienst auf dem Kirchentag wurden Kärtchen und Stifte an die Besucher verteilt, damit sie ihre Sorgen und Wünsche auf Deutsch und Arabisch aufschreiben konnten. In den Gebetsanliegen ging es ging es um Krankheit und Gesundheit, es wurde für Hamburg, für Deutschland, für die ganze Menschheit gebetet. Imam Ucar ist sicher: "Jede Religion würde dazu Amen sagen!" Der Stapel der Kärtchen auf dem Altar wurde "ungefähr zehn Zentimeter hoch", so beschreibt es Pastor Marwege, sie hätten gar nicht alle vorlesen können, doch "Gott weiß, was wir gesagt und gewünscht haben".

"Ich kann jeden nur einladen, sich eine solche Feier einmal anzuschauen", empfiehlt Detlef Görrig mit Blick auf Skeptiker. "Mein Eindruck war nicht, dass da irgendein Bekenntnis verschleiert oder verwischt wurde, im Gegenteil: Es war ein gemeinsames Nebeneinanderstehen vor Gott, jeder in seiner Gottesvorstellung." Und es gebe einen gewichtigen und plausiblen Grund, solche gemeinsamen Gebete zu praktizieren, nämlich "das Wohl der Stadt und die gesellschaftliche Verantwortung".