Bei Neonazis hört die Nächstenliebe auf

Foto: dpa/Bernd Thissen
Wer Springerstiefel trägt, muss nicht gleich ein Neonazi sein. Doch bei solcherlei Utensilien sowie bei altgermanischen Sonnwendfeiern oder Runensymbolen entsteht leicht eine Diskussion über den alten und neuen Rechtsextremismus.
Bei Neonazis hört die Nächstenliebe auf
Kirchentag: Spannendes Planspiel zum Thema Rechtsextremismus
"Ist das schon rechts?" Darüber diskutiert ein fiktiver Kirchengemeinderat, nachdem beim Sommerfest völkische Symbole und Lieder auftauchten. Ein Planspiel beim evangelischen Kirchentag in Hamburg erarbeitet mögliche Reaktionen auf den Vorfall.
02.05.2013
evangelisch.de

Passimstedt ist ein beschauliches Städtchen, wie es sich überall in Deutschland finden ließe. Die örtliche Kirchengemeinde schrumpft und altert, so wird vor dem jüngsten Sommerfest beschlossen, auch andere Gruppen dazu einzuladen. Doch bei dem Fest tauchen plötzlich Runenzeichen auf, Flugblätter werden verteilt, völkische Lieder erklingen. Ein indischer Gastwirt, der Speisen anbieten wollte, verzichtet nach Drohungen auf seine Teilnahme. In der Presse ist zu lesen: "Nazi-Fest in Kirche?" Der Kirchengemeinderat ist alarmiert und beruft einen Runden Tisch ein, der Lösungen für die verzwickte Situation finden soll.

###mehr-artikel###Das ist ein Szenario, das leider gar nicht so unrealistisch ist im Deutschland des Jahres 2013. Ähnlichkeiten mit beklemmenden Zeitungsmeldungen aus der Wirklichkeit sind gewollt. Hier jedoch, auf dem 34. Deutschen Evangelischen Kirchentag in Hamburg, handelt es sich um ein sogenanntes Planspiel, moderiert von der kleinen Berliner Firma "planpolitik", die sich auf interaktive politische Bildungsarbeit spezialisiert hat. Die erste von vier vorgesehenen Veranstaltungen bei dem Christentreffen ist am Donnerstagvormittag völlig überlaufen – nur 60 Kirchentagsbesucher können mitspielen, die Mehrzahl von ihnen sind Jugendliche.

Unter Anleitung von Simon Raiser und Annegret Schneider von "planpolitik" bilden die Teilnehmer drei Gruppen – in jeder von diesen übernimmt jemand die Rolle des Pfarrers oder der Pfarrerin, vier Personen vertreten den Gemeinderat, die übrigen repräsentieren jeweils in Kleingruppen die verschiedenen Meinungen innerhalb der Kirchengemeinde zu dem Vorfall und den Konsequenzen, die daraus zu ziehen sind. Die Kernfragen werden im Titel des Planspiels bereits angesprochen: "Ist das schon rechts? Menschenfeindlichkeit in der Mitte der Gesellschaft".

Lebhafte Diskussion am Runden Tisch der fiktiven Christusgemeinde in Passimstedt. Ganz rechts, in der Rolle des Gemeinderatsvorsitzenden, Paul Modler aus Leverkusen.

In einer mehr als einstündigen Diskussion werden nun an dem Runden Tisch Meinungen und Argumente ausgetauscht. Der 15-jährige Paul Modler aus Leverkusen übernimmt in einer der Gruppen die Rolle des Kirchengemeineratsvorsitzenden und damit auch die Moderation der Runde. Die Pfarrerin wird von Johanna Klahn (15) aus Sinzig gemimt. Sie entschuldigt sich zunächst dafür, dass sie gegenüber der Presse Stellung zu dem Vorfall genommen hat – beschwichtigend und ohne Rücksprache mit dem Kirchengemeinderat. "Entschuldigung angenommen", heißt es aus der Runde.

Dann jedoch geht es zur Sache. Die einen sind für ein klares Zeichen der Gemeinde gegen rechts: "Hier ist kein Platz für Nazis." Empörung herrscht vor allem über die Drohungen gegen den indischen Gastwirt. Das dürfe sich nicht wiederholen, heißt es. "Es ist unsere verdammte Pflicht, uns von dem Geschehenen zu distanzieren." Kritik wird auch an der vermeintlich reißerischen Berichterstattung der Presse geübt. Damit sei das Fest "in den Dreck gezogen worden".

Andere Stimmen äußern sich in einer eher beschwichtigenden Weise. Da wird vor Pauschalisierungen gewarnt, auf alte germanische Traditionen hingewiesen, die doch nichts mit Rechtsextremismus zu tun hätten. Persönliche Beziehungen spielen durchaus eine Rolle: "Das sind Freunde und Bekannte von uns – wir können sie doch nicht einfach ausgrenzen." Diese Leute, so heißt es, seien "definitiv keine Neonazis". Man solle sie nicht abstempeln, sondern Überzeugungsarbeit leisten. "Wir sind gegen rechts, aber wir sind frei und mutig genug, um mit diesen Leuten ins Gespräch zu kommen."

"Kein Standpunkt. Zittern und Zögern."

Drei Gesichtspunkte, zu denen eine Antwort gefunden werden müsste, schälen sich schließlich heraus. Wie reagieren wir nach außen? Wie nach innen? Und was wird aus dem nächsten Sommerfest? Viele Ideen werden vorgebracht. Der Kirchengemeinderat entscheidet, den Vorfall zunächst genauer aufzuklären. Dann soll der Runde Tisch erneut zusammentreten und Maßnahmen beschließen. Jene, die auf eine klare Stellungnahme gehofft hatten, sind enttäuscht: "Kein Standpunkt. Zittern und Zögern." Die Antwort des Gremiums: "Man kann keine Entscheidung fällen, bei der man sich nicht wirklich sicher ist."

In den beiden anderen Gruppen des Planspiels verlaufen die Diskussionen ähnlich, die Beschlüsse weichen indes leicht voneinander ab. Eine Runde beschließt, zwecks Aufklärung einen Fachmann zum Thema Rechtsextremismus einzuladen. Die dritte nimmt klar gegen rechts Stellung und beschließt direkt, dass das Sommerfest im nächsten Jahr wieder stattfindet – allerdings soll durch bessere Vorbereitung sichergestellt werden, dass Neonazis, wenn sie es denn sind, dabei keine Plattform erhalten.

###autor###Das Spiel ist zu Ende: In der Nachbereitungsrunde äußern sich die Teilnehmer erstaunt, wie leicht ihnen der Rollenwechsel fiel; schwerer aber sei es gewesen, in der jeweiligen Rolle zu bleiben – gerade, wenn sie der eigenen Meinung nicht entsprach. Wie ein "richtiger" Kirchengemeinderat entschieden hätte, bleibt naturgemäß offen. Doch die Diskussionen wären mit Sicherheit ganz ähnlich verlaufen wie im erfundenen Passimstedt. Nur Minuten nach Ende des Planspiels lobt Kirchentags-Generalsekretärin Ellen Ueberschär bei der täglichen Pressekonferenz den innovativen, experimentellen Charakter des Angebots – und hebt hervor, wie viele Jugendliche daran teilgenommen hätten.