Biobauern trotzen Hunger und Klimawandel

Foto: Kathrin Harms
Bauer Sentu Kumar Hajong bei der Reisernte.
Biobauern trotzen Hunger und Klimawandel
Die Reisbauern in Bangladesch leiden unter dem Klimawandel: Wirbelstürme und Überschwemmungen, aber auch Dürren sorgen für Ernteausfälle. Selbst Hochertragssorten machen die stetig wachsende Bevölkerung kaum mehr satt. Zeit zum Umdenken.
11.05.2013
Ellen Köhrer

Dunkle Wolken hängen über dem Land. Sentu Kumar Hajong bückt sich, schneidet mit der Sichel büschelweise Halme ab und wirft sie neben sich ins Gras. Der drahtige Kleinbauer mit Geheimratsecken und dünnem Oberlippenbart wischt sich den Schweiß von der Stirn und an seinem Wickelrock ab. Tagelöhner helfen dem 41-Jährigen bei der Reisernte. Sein Feld misst einen Hektar, das reicht gerade um seine sechsköpfige Familie zu ernähren. Die Männer binden die Reisbüschel an die Enden von Bambusstäben und balancieren sie auf ihren Schultern den schmalen Pfad entlang zu Hajongs Hof, fünf Minuten entfernt.

Die Büschel, die die Männer auf seinen Hof tragen, sind sein ganzer Stolz. Jahrelang war Hajongs Familie von nur einer Sorte Reis abhängig – seit den 1960er Jahren wurden von der Regierung Hochertragssorten propagiert. Heute wirtschaftet er als Biobauer, pflanzt viele Sorten Reis, züchtet Fische und Bienen und baut Obst und Gemüse an.

Ausgetrocknete Wasserlöcher und Reisfelder

Hajongs Frau Obola Rani und seine Schwiegermutter hocken auf dem Lehmboden vor dem Haus und schneiden Okraschoten, Kartoffeln und Chilis klein, während die 14-jährige Chandrika Juteblätter von den Stängeln rupft. Der neunjährige Sentu tollt mit seinen Freunden und den Hunden über den Hof.

###mehr-info###Als Hindus zählt die Familie zu einer religiösen Minderheit in einem Land mit 90 Prozent Muslimen. Die meisten Menschen in der Region Mymensingh im Norden Bangladeschs leben in einfachen Hütten aus geflochtenem Bambus oder Wellblech, umringt von ausgetrockneten Wasserlöchern und Reisfeldern. Die Hügel in der Ferne gehören zu Indien. Hier oben im Hochland von Bangladesch gibt es weder geteerte Straßen noch Strom oder fließendes Wasser.

Hajong hat sich aus dieser Armut befreien können. Früher musste er in Trockenperioden wie diesen Teile von seinem Land verpachten und Vieh verkaufen, um seine Familie zu ernähren. Drei Generationen lebten zusammengepfercht in einer Hütte. Vor einem Jahr hat Hajong zwei Steinhäusern gebaut, eines für die Schwiegereltern, das Andere für sich und seine Familie.

Kartoffeln unterm Bett

Im Schlafzimmer stehen Holzbetten, darunter lagern Kartoffeln, Zwiebeln und Knoblauch in Bambusschalen. Der zweite Raum ist Studierzimmer für die Kinder, Andachtsraum mit einem Schrein am Boden und gleichzeitig Lager – hinter einem gemauerten Verschlag stapelt sich säckeweise Reissaatgut. Hinter dem Haus steht eine Küchenhütte mit Feuerstelle und ein Stall für die Hühner.

Das Knattern eines Motorrads naht, Sirajul Haque, 46, fährt auf den Hof.  Der Agraringenieur, ein ernster Mann im Kurzarmhemd und heller Hose, kommt vom Caritas-Büro im nächstgrößeren Ort. Er unterstützt Reisbauern wie Hajong seit 2005 bei der Umstellung auf Biolandbau. In den von Misereor mitfinanzierten Workshops, Seminaren und Hofbesuchen zeigt Haque den Bauern, wie sie Reis selber züchten und anbauen können. Wie sie das Saatgut auch ohne Strom und Kühlschränke konservieren, so dass es nicht verdirbt. Und wie sie durch den zusätzlichen Anbau von Obst und Gemüse auch in mageren Zeiten zu essen haben.

"Früher tauschten die Bauern Saatgut und Wissen aus"

Ausstellung mit lokalen Pflanzen, Gemüse, Reis, Saatgut.

„Der Bioanbau ist eine Antwort auf die Monokultur“, sagt Haque. Als die Regierung Hochertragssorten propagiert hat, ging es vordergründig darum, dem Bevölkerungswachstum Herr zu werden. „Tatsächlich müssen die Bauern seitdem aber Saatgut, Kunstdünger und Pestizide zweimal im Jahr von Großkonzernen teuer kaufen und verloren damit ihre Autonomie.“ Die Monokulturen laugen die Böden aus und bringen nicht genügend Ertrag, um alle Menschen zu ernähren. Dem Klimawandel halten sie auch nicht Stand. „Hier im Hochland haben wir immer mehr Dürren, unten im Flussdelta gibt es immer mehr Überschwemmungen und der Monsun kommt auch immer später“, so Haque. „Über Generationen hatten die Bauern ihr Saatgut selbst gezüchtet, hunderte lokale Sorten, die an die jeweiligen Böden und die Witterung angepasst waren. Sie tauschten Saatgut und Wissen aus und waren autark. Durch die Monokulturen geriet ihr Wissen immer mehr in Vergessenheit und sie wurden abhängig gemacht, weil sie heute alles kaufen müssen“, sagt Haque.

###mehr-artikel###Hajong holt schnell noch die Kühe vom Feld. Nachts sperrt er sie ins Haus, er hat Angst, dass sie sonst gestohlen werden. Das kommt häufiger vor, die Armut schafft Neid und Missgunst unter den Dorfbewohnern. Gerade dann, wenn es einem deutlich besser geht als den anderen, so wie es bei Hajong der Fall ist. „Einen meiner Bienenstöcke hat neulich jemand geklaut“, sagt Hajong, „aber ich kann doch nicht die Bienen über Nacht ins Haus holen“.

Hajong wäscht sich die Hände am Brunnen hinter dem Haus und setzt sich auf den Boden der Veranda. Zu Agraringenieur Haque hat der Kleinbauer ein freundschaftliches Verhältnis, er lädt ihn spontan zum Essen ein. Die Kinder gesellen sich zu ihnen und Obola Rani serviert. Sie isst später, so will es die Tradition. Mit der rechten Hand vermanschen sie den Reis mit der Currysoße und dem Gemüse und führen ihn in kleinen Bällchen zum Mund.

"Meine Familie lebt jetzt viel gesünder"

„Bevor ich mit dem Bioanbau begann, hatte ich nur eine Reissorte, der Ertrag reichte kaum, um meine ganze Familie satt zu kriegen“, sagt Hajong. Mehr als Reis kam selten auf den Teller. Seit zweieinhalb Jahren betreibt er nachhaltige Landwirtschaft. „Heute habe ich verschiedene Reissorten, die ich selbst züchte, die Überschüsse verkaufe ich auf dem Markt und mache einen kleinen Gewinn“, sagt der Kleinbauer stolz. Aus Kuhdung und Würmern stellt er natürlichen Dünger her. Statt Pestizide zu versprühen, steckt er Äste in die Erde, Vögel lassen sich darauf nieder und fressen die Insekten.

###mehr-galerien###

Er zeigt auf die Beete rund um seinen Hof „Wir bauen Kürbisse, Kartoffeln und Zwiebeln an und haben Jackfruit- und Papayabäume und Kokosnusspalmen gepflanzt. Hajong hat außerdem zehn Hühner und er züchtet Fische im Bewässerungsteich neben den Reisfeldern.  „Weil wir das alles essen, lebt meine Familie jetzt viel gesünder.“

Voneinander lernen

Nach dem Essen zieht Hajong Haque mit sich hinter das Haus zu seinen Bienen. Haque bleibt in respektvollem Abstand vor dem Bienenstock stehen, während sich Hajong ein Käppi aufsetzt und ein Moskitonetz über den Körper stülpt. Er pustet etwas Rauch in den Holzverschlag und zieht mit einer Sichel die einzelnen Waben heraus. Dann zeigt er Haque die halb vollen Waben und packt sie in die Honigschleuder. Eine Horde Nachbarskinder schauen ihm fasziniert zu. „Normalerweise gewinnen wir aus jeder Wabe doppelt soviel Honig“, sagt Hajong während er die goldene Flüssigkeit durch ein Sieb in eine Schüssel schüttet. „Es war dieses Jahr einfach zu trocken, deshalb hatten die Bäume viel weniger Blüten“, sagt Hajong ernst.

Sentu Kumar Hajong zeigt anderen Bauern, wie sie Samen konservieren und züchten können.

Sein neu gewonnenes Wissen gibt Hajong an andere Bauern weiter. 1200 Kleinbauern wirtschaften heute ökologisch wie er. 15 verschiedene lokale Reissorten haben sie gezüchtet, 125 verschiedene Reisarten, die bestens an Böden und Klima angepasst sind.
Die von Caritas geschulten Bauern züchten heute über 100 lokale Reissorten, die viel robuster sind als die modernen Hochertragssorten und das Risiko streuen: Ist eine Sorte von Schädlingen befallen, fällt nicht gleich die ganze Ernte aus.

Hajong  ist froh, dass er heute wieder – wie schon sein Vater – das Saatgut für Reis aus lokalen Sorten züchtet. Er hat eine eigene Methode erfunden, wie er Sorten kreuzt. Und er hat gelernt, wie er die Reissaat in Tontöpfen konserviert und lagert, damit sie in der Hitze nicht verdirbt. „Ich zeige das den anderen Bauern. Sogar meinen Bruder habe ich jetzt angesteckt“, sagt und lacht. „Der war sehr skeptisch am Anfang!“ Jetzt ist er Biobauer.