Die Zuflucht der Herrnhuter

Foto: Büdinger Tourismus
Vor 275 Jahren gründete die Herrnhuter Brüdergemeine die Siedlung Herrnhaag in der Wetterau.
Die Zuflucht der Herrnhuter
Vor 275 Jahren gründete die Herrnhuter Brüdergemeine die Siedlung Herrnhaag in der Wetterau
Das barocke Gebäude strahlt weiß, über den zwei Geschossen erhebt sich ein drittes im schiefergedeckten Mansardendach mit vielen Gaubenfenstern. Das frühere Schwesternhaus der einstigen Siedlung Herrnhaag in der hessischen Wetterau ist das schmucke Überbleibsel einer bedeutenden Episode der Entwicklung der Religionsfreiheit in Deutschland.
31.05.2013
epd
Jens Bayer-Gimm

Vor 275 Jahren besiegelten Mitglieder der Herrnhuter Brüdergemeine, einer pietistisch geprägten evangelischen Glaubensminderheit, den Kauf des Landes. Sie waren aus der Oberlausitz vertrieben worden. Auf dem Hügel entstand eine Siedlung, die zum Vorbild für zahlreiche Gründungen der Herrnhuter im In- und Ausland wurde. Bis zu 1.000 Menschen lebten dort Mitte des 18. Jahrhunderts, was ungefähr der Hälfte der Einwohnerschaft der nahe gelegenen Stadt Büdingen entsprach.

Die meisten der 17 stattlichen Gebäude umgaben in Form eines Rechtecks einen Platz, dessen Zentrum ein Brunnenhaus markierte. Vier der Gebäude und das restaurierte Brunnenhaus existieren noch, teils in veränderter Gestalt. Am 24. April 1738 schlossen die Herrnhuter mit dem Grafen Ernst Casimir zu Ysenburg und Büdingen (1687-1749) den Kaufvertrag.

Morgens ein gemeinsames Gebet

Dann ging es Schlag auf Schlag: Der Grundstein wurde bereits am 15. Mai gelegt. Möglich wurde dies, weil der Graf Rechtsgeschichte schrieb. Er erließ 1712 ein damals im Deutschen Reich einmaliges Toleranzedikt, das "Gewissensfreiheit" und damit anderswo religiös Verfolgten das Bürgerrecht gewährte. Doch auch in der Grafschaft wuchsen die Vorbehalte gegen die zahlreichen Einwanderer, so dass die Herrnhuter zwischen 1750 und 1753 ihre neue hessische Heimat verlassen mussten.

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Seit 1989 leben dort wieder Bewohner, die an die Tradition der Herrnhuter anknüpfen. Die "Sozietät Herrnhaag", die das restaurierte Schwesternhaus bewohnt, besteht derzeit aus zwei Familien und drei Einzelpersonen, berichtet Erdmann Becker, Mitglied und Pfarrer der Brüdergemeine. Eine weitere Familie und ein Einzelmitglied leben außerhalb, eine Familie ist derzeit im Ausland.

Die Mitglieder stammen aus der Herrnhuter Brüdergemeine, der evangelischen Landeskirche und der methodistischen Kirche. Sie wohnen in eigenen Wohnungen, den Haushalt führen sie gemeinsam. Jeder bezahlt einen Betrag für Lebensmittel und Nebenkosten, die Arbeit wird aufgeteilt. Der Tag beginnt mit dem gemeinsamen Morgengebet. Jede Woche gibt es Andachten und Hausrunden.

Jugendliche Handwerker "Mit Knick in der Biografie"

Das mächtigste verbliebene Gebäude der Herrnhuter steht gleich nebenan, das außen unverputzte "Große Gemeinhaus", auch "Grafenhaus" genannt. Hier hatte der Gründer der Herrnhuter Brüdergemeine, Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf (1700-1760), eine Wohnung. Innen ist das Gebäude eine Baustelle, und zwar eine mit sozialen Zielen. Bei den Restaurierungsarbeiten werkeln junge Leute "mit einem Knick in der Biografie", wie der Zimmermann und Betreuer Alexander Mebs sagt.

Die "Jugendwerkstatt" mit sieben Mitarbeitern beschäftigt zurzeit 18 junge Leute im Alter zwischen 16 und 25 Jahren. Sie sind arbeitslos, haben oft keinen Schulabschluss, Drogen- oder andere Probleme. Mehrere Hundert Jugendliche sind in der Jugendwerkstatt seit 2001 begleitet worden, manche blieben bis zu zwei Jahren. Sie bringen denkmalgerecht Lehmputz an die Wände, nageln Dielen auf den Boden oder versehen Türbeschläge mit einer historischen Patina.

Die Sozietät und die Jugendwerkstatt wollen an den Geist der Herrnhuter anknüpfen, verstehen sich aber nicht als Insel, wie Becker sagt. Beide sind Mitglieder der Diakonie Hessen. Mehrfach nahm die Hausgemeinschaft auch Gäste auf, die bis zu drei Jahre lang in Herrnhaag mitlebten, um in einer schwierigen Lebensphase Orientierung zu finden.