Nicht jeder Film, der mit einem Mord beginnt, ist automatisch ein Krimi; selbst wenn die Suche nach dem Täter selbstredend Teile der Handlung bestimmt. Bei "Der Tote im Watt" aber ist die Aufklärung des Verbrechens gewissermaßen ein Nebeneffekt. Zentrale Figur der Geschichte ist keineswegs der ermittelnde Kommissar, sondern die Schwester des Opfers, Janne (Petra Schmidt-Schaller). Sie nutzt den Tod ihres Bruders Erik (Max von Pufendorf), um Fragen zu stellen, die sie schon lange ignoriert hat.
Das Drehbuch von Waltraud Ehrhardt und Peter Obrist basiert auf dem Roman "Blaufeuer" von Alexandra Kui. Die lobenden Worte der Autorin über die Verfilmung mögen damit zu tun haben, dass das ZDF irgendwann an weiteren Filmrechten interessiert sein könnte, sprechen aber dennoch auch für die Qualität der Adaption: weil das Drehbuch die Vorlage eben nicht für einen weiteren Krimi genutzt hat, sondern den sorgsam verborgenen Verfall einer Familie beschreibt. Dafür rücken Ehrhardt und Obrist ihre weibliche Hauptfigur auf Kosten des Vaters noch stärker ins Zentrum. Umso klüger war es, die Rolle des Patriarchen mit Thomas Thieme zu besetzen, denn nur ein Schauspieler mit seiner enormen Präsenz ist in der Lage, einer Nebenfigur so viel Gewicht zu verleihen, wie das für die Dramaturgie dieser Geschichte nötig ist.
Adoptivvater ist in Wirklichkeit der leibliche Vater
Der alte Flecker ist ein Mann, der das Leben umarmt, wie seine Frau euphemistisch sagt. Auf gut deutsch heißt das: Paul lässt auch im fortgeschrittenen Alter nichts anbrennen. Als er nach der Beerdigung seines Sohnes einen Schlaganfall hat und ins Krankenhaus muss, übernimmt Janne vorübergehend die Leitung der familiären Werft. Beim Stöbern in Pauls Schreibtisch entdeckt sie ein frühes Foto von ihm und ihrer Mutter. Flecker war damals noch ihr Patenonkel, nach dem Tod ihrer Eltern hat er sie adoptiert; nun stellt sich raus, dass ihr Adoptivvater in Wirklichkeit ihr leiblicher Vater ist. Auch der heißgeliebte Bruder hatte keineswegs die weiße Weste, die sie ihm jederzeit attestiert hätte. Und so legt das Drehbuch nach und nach wie beim Häuten einer Zwiebel ein Geheimnis nach dem anderen frei, bis Janne schließlich zum düsteren Herzen vorstößt; prompt ist ihr eigenes Leben ebenfalls in Gefahr.
Natürlich baut Regisseurin Maris Pfeiffer das eine oder andere Spannungselement ein, aber auch ihre Umsetzung bleibt dem Drama-Gedanken treu. Dabei würde der grausame Auftakt jeden Krimi schmücken: Erik will an einer Boje, die im Watt die Austernzucht der Familie markiert, den Akku wechseln, und fasst in eine Fuchsfalle. Da die Kette der Boje verkürzt worden ist, muss er qualvoll ertrinken. Prompt fällt der Verdacht des ermittelnden Kommissars (Hannes Helmmann) auf die Witwe (Valerie Koch), denn um die Ehe stand es nicht zum besten. Außerdem hat sie eine Hühnerzucht; und seit einige Tiere von einem Fuchs gerissen wurden, auch eine Fuchsfalle, die sie aber gerade nicht finden kann. Als sich später sich rausstellt, dass Erik nur zufällig an der Boje war und sich eigentlich Paul darum kümmern wollte, beginnt Janne, das Leben ihres Vaters nach Feinden zu durchforsten; und findet überraschend viele.
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Die große Stärke des Films sind neben dem Drehbuch die Darsteller und ihre Führung durch die Regisseurin. Dank der namhaften Besetzung kann es sich Pfeiffer immer wieder leisten, lakonisch zu inszenieren, weil beispielsweise ein großer Schauspieler wie Thieme mit einem beiläufig dahingebrummten Blick ganze Dialogsätze spart. Auch Corinna Kirchhoff braucht nicht viele Worte, um ihr leidgeprüftes Dasein als betrogene Ehefrau zu verkörpern. Die jungen Kollegen (Max von Thun spielt einen weiteren Sohn) sind diesem Charisma nicht immer gewachsen, aber neben einem schauspielerischen Koloss wie Thieme wäre das auch schlicht zu viel verlangt.