Das Ende des Religionsfriedens in Birma

Moschee in Rangun
Foto: Michael Lenz
Etwa vier Prozent der Birmanen sind Muslime. Eine ihrer Moscheen ist die Mogul Hall in der Mahabandoola Straße in Rangun.
Das Ende des Religionsfriedens in Birma
Bei Gewaltausbrüchen gegen Muslime in Birma sind bisher mehr als 40 Menschen gestorben und zahlreiche Moscheen niedergebrannt worden. Die Stimmung wird auch von extremistischen Buddhisten befeuert.

In den Straßencafés der Bo Sun Pat Straße plaudern bei Kaffee und Tee muslimische Männer. In der Moschee ist gerade das Freitagsgebet zu Ende gegangen. Aus der katholischen Kirche St. John ein paar Häuserblocks weiter dringen die Gebete und Gesänge des Karfreitagsgottesdienstes. Bei den Baptisten in der Kirche St. Emmanuel gegenüber der nahegelegenen Sule Pagode ist der Gottesdienst schon vorbei. Vor einem hinduistischen Tempel sammeln buddhistische Frauen mit silbernen Schalen Spenden von den Passanten.

Die Bo Sun Pat Straße in Rangun ist mit einer Kirche, einer Moschee, einer Pagode und einem hinduistischen Tempel Symbol für die Harmonie der Religionen in Birma. Dieser Tage ist der Konflikt zwischen Buddhisten und Muslimen vorherrschendes Thema beim Tee.

Die Welt in der Pabedan Township im Zentrum von Rangun wirkt an diesem Karfreitag geradezu als perfektes Beispiel der Harmonie und des Friedens zwischen den großen Religionen. Aber der Schein trügt in diesen Tagen. Das Viertel ist muslimisch dominiert und die Muslime haben Angst. Seit nunmehr über einer Woche wird Birma von einer antimuslimischen Gewaltwelle heimgesucht. Angefangen hatte alles am 20. März in der Stadt Meiktila in Zentralbirma. Ein buddhistischer Goldhändler und sein muslimischer Kunde gerieten in einen Streit. Daraus entstand ein Flächenbrand, der zunächst ganz Meiktila, dann die benachbarten Townships erfasste und sich seitdem langsam Richtung Süden, Richtung Rangun ausbreitet.

Ob der Streit ein Zufallsereignis war, der von extremistischen buddhistischen Nationalisten als Vorwand für die Gewaltorgie gegen Muslime instrumentalisiert wurde, oder ob er vorsätzlich von radikalen Buddhisten inszeniert worden war, darüber gehen in Birma die Meinungen auseinander. Für die bisherige Bilanz ist diese Frage aber unerheblich: viele Moscheen und islamische Schulen wurden niedergebrannt; mehr als 40 Menschen fanden den Tod; über 12.000 flüchteten.

Sperrstunde gegen Provokationen

Noch hat die antimuslimische Gewalt Rangun nicht direkt erreicht. Aber täglich schüren Gerüchte über Gruppen gewaltbereiter Buddhisten, die jeden Augenblick losschlagen könnten, die Angst unter den Muslimen. "Nachts fahren Gruppen junger Männer auf LKWs durch die Stadt. In den muslimischen Vierten schreien sie antibuddhistische Parolen, in buddhistischen Vierteln antimuslimische", weiß Thant Zin Aye. Der Graphikdesigner gehört zu einer Gruppe junger Muslime, die einen Nachbarschaftsstreifendienst gebildet haben. "Es gibt zu viele Gerüchte. Wir machen uns bei Rundgängen selbst ein Bild der Lage", sagt der 31-jährige.

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In Rangun geht seit Mittwoch dieser Woche in den Kneipen, den Restaurants, den Karaokebars um 21 Uhr das Licht aus. Damit die religiösen Extremisten nicht zufällige Kneipenschlägereien nach dem Genuss von zuviel Myanmar Beer zum Vorwand für Gewaltaktionen gegen Muslime nehmen, wurde bis auf Weiteres die Sperrstunde vorverlegt. Das sowieso schon langsame birmanische Internet ist noch langsamer geworden. Myo Myo vom Empfang eines kleinen Hotels in Rangun sagt Neuankömmlingen: "Seit den Ereignissen von Meiktila ist das Netz überlastet, weil viele Menschen in den sozialen Netzwerken wie Facebook über das, was gerade passiert, diskutieren und neueste Informationen suchen."

In den sozialen Netzwerken sind auch die Scharfmacher unterwegs, darunter auch buddhistische Mönche, die Hetze gegen Muslime verbreiten und die Stimmung weiter anheizen. Hinter den Ausschreitungen stecken "Kräfte", denen die Reformpolitik Birmas nicht passt. Entsprechend deutlich fallen die Warnungen der Religionen in Birma, der demokratischen Gruppen, der Vereinte Nationen aus: die antimuslimische Gewalt hat das Potential, die noch fragilen neuen politischen Verhältnisse in dem bis vor zwei Jahren von einer Militärjunta regiertem Land zu gefährden. Nyunt Maung Shein, Präsident des Rat für islamische religiöse Angelegenheiten, sagt: "Sie wollen zurück zu den alten Zeiten der Militärdiktatur." Der Muslimführer ist derzeit ein gefragter Mann. Journalisten aus aller Welt, Diplomaten wie auch Vertreter der EU geben sich im Büro des Islamrats im ersten Stock eines Hauses in der Bo Sun Pat Straße die Klinke in die Hand.

Aberglauben und 'Neonazis'

"Sie" haben auch einen Namen: 969. Diese Zahl hat in dem Land mit ausgeprägtem Hang zur Numerologie einen hohen Symbolwert. In der buddhistischen Tradition steht 969 für die Drei Schätze, die aus den neun Attributen Buddhas, den sechs des Dhamma und der neun des Sangha zusammengesetzt sind. Die Botschaft der 969-Bewegung extremistisch-nationalistischer buddhistischer Mönche und Laien ist simpel: Muslime haben einen Komplott zur Islamisierung Birmas geschmiedet. Maung Zarni spricht bereits von einer "Neonazi"-Bewegung in Birma. In seinem Blog ruft der Fellow an der London School of Economics  die Regierung Birmas eindringlich auf: "Stop 969, Burma's fastest growing neo-Nazi 'Buddhist' nationalist movement."

Nyunt Maung Shein ist Präsident des Rat für islamische religiöse Angelegenheiten. Er sorgt sich um das Wohl der Muslime in der Bo Sun Pat Straße.

Nyunt Maung Shein, der auch Vizepräsident der Interreligiösen Gruppe ist, warnt jedoch davor, alle Buddhisten und vor allem alle buddhistischen Mönche über einen Kamm zu scheren. "Die Mehrheit sind gute Mönche", betont der 75-jährige, dessen Organisation, damals noch als politische islamische Partei, zusammen mit General Aung San (dem 1947 bei einer Kabinettssitzung ermordeten Vaters von Aung San Suu Kyi) gegen die Briten für die Unabhängigkeit Birmas gekämpft hatte. "Zusammen mit Aung San wurden auch zwei muslimische Minister und Leibwächter bei dem Attentat erschossen", sagt Nyunt Maung Shein, um deutlich zu unterstreichen, dass die birmanischen Muslime seit vielen Jahrzehnten und Jahrhunderten ein fester Teil der birmanischen Gesellschaft sind.

In einem Land, in dem es normal ist, für die Namensauswahl für ein neugeborenes Kind, den Termin für eine Reise oder eine Geschäftseröffnung oder auch vor politischen Entscheidungen Mönche, Wahrsager, Astrologen, Numerologen zu befragen, in dem der Glaube an Geister und Dämonen sehr lebendig ist, sind die Menschen anfällig für magische Zahlen wie 969 wie auch allerlei Verschwörungstheorien. So sind nicht wenige davon überzeugt, dass auch "konservative Kräfte in der Regierung" ihre Hand in dem antimuslimischen Spiel haben.

Warnzeichen missachtet

Diesen Gerüchten haben die anfänglich zögerlichen und verharmlosenden Reaktionen von Birmas Regierung und Sicherheitsbehörden Nahrung gegeben. Die "Verantwortlichen" seien nicht rechtzeitig gegen die "Kriminellen vorgegangen, die ihre Verbrechen offen vor ihren Augen" begangen hätten, sagt Nyunt Maung Shein. Ähnlich äußerte sich auch Tomás Quintana. Für den Der  UN-Menschenrechtsbeauftragten ist die antimuslimische Kampagne nicht überraschend über Birma hereingebrochen. "Die Warnzeichen waren seit der Gewalt in Rakhine im vergangenen Juni zu sehen und die Regierung hat schlicht und einfach nicht genug getan, gegen die Verbreitung von Diskriminierung und Vorurteilen gegen Muslime im ganzen Land anzugehen und dem organisierten und koordinierten Mob, der den Hass anheizt und gewaltsam gegen Muslime vorgeht, den Kampf anzusagen."

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Quintana begrüßt jedoch auch die Deutlichkeit, mit der sich Birmas Präsident Thein Sein dann doch am Gründonnerstag  die "politischen Opportunisten" und "religiösen Extremisten" verurteilt und ein Plädoyer für Mitgefühl, Toleranz, gegenseitigem Verständnis und Empathie zwischen den Religionen Birmas gehalten. Bei den blutigen Ausschreitungen im Juni und Oktober vergangenen Jahres zwischen Buddhisten und islamischen Rohingyas in Rakhine (Arakan) im Westen Birmas waren nach offiziellen birmanischen Angaben mehr als 200 Menschen ums Leben gekommen und 12.000 vor der Gewalt geflohen.

Ruhe vor dem nächsten Sturm?

Nach dem Machtwort des Präsidenten hat sich die Lage etwas beruhigt. "Die Gewalt mag abgeflaut sein, aber der Konflikt schwelt weiter und kann jederzeit wieder aufflammen", befürchtet Nyunt Maung Shein. In der Bo Sun Pat Straße geht unterdessen das Leben normal weiter. Normal heißt, Buddhisten, Muslime, Christen, Hindus gehen friedlich ihrem Tagwerk nach. Die einen betreiben Garküchen, andere kleine Läden. Eine Frau verkauft an ihrem Stand eine riesige Auswahl von Schrauben aller Art. Ob sie eine Muslima ist oder einer anderen Religion angehört, ist äußerlich nicht erkennbar. Der birmanische Islam ist, was die Kleiderordnung für Frauen angeht, sehr tolerant. Der Mann vom Islamrat schätzt, dass nur etwa zehn Prozent der Muslima in Birma Kopftuch tragen. "Wenn sie ein Kopftuch tragen wollen, dann machen sie das, und wenn nicht, dann eben nicht."