Das Thema ist heikel und brisant, eine filmische Umsetzung entsprechend diffizil; vor allem, wenn es das Drehbuch seinem Publikum nicht leicht machen will. Der Frontverlauf ist daher nur scheinbar klar: Ein Vater steht im Verdacht, seine Tochter missbraucht zu haben. Laura bestätigt den Vorwurf in einer Befragung; mit Puppen stellt das Mädchen nach, was sich ereignet hat. Kurz drauf zieht es seine Aussage aber wieder zurück, und plötzlich ergibt sich ein anderes Bild: Womöglich ist die Klage ein mieser Racheakt, denn Lauras Mutter hat den Gatten just an dem Tag angezeigt, als der ihr offenbarte, er verlasse sie wegen einer Jüngeren.
Mit Katja Flint und Heiner Lauterbach
Zentrale Figur der Geschichte ist Staatsanwältin Charlotte Reinke (Katja Flint). Sie versichert zwar glaubhaft, es ginge ihr um die Wahrheit, macht aber auch einen voreingenommenen Eindruck, zumal sie aufgrund eines persönlichen Schicksalsschlags nicht unbefangen agiert. Aber es gibt keinerlei Beweise für den Missbrauch, allenfalls Indizien; und Roman Giesecke wirkt durchaus glaubwürdig, wenn er die Vorwürfe erschüttert von sich weist. Die Besetzung dieser Rolle mit Heiner Lauterbach ist ausgesprochen clever, zumal er den Vater sehr sympathisch verkörpert. Bei Brigitte Giesecke verhält es sich genau andersrum: Ursina Lardis Spiel lässt die Rachevariante durchaus zu; im Gegensatz zu den strahlenden Mannsbildern Lauterbachs enthält ihre Filmografie eine Vielzahl verhärmter, unleidlicher Frauen. Beide spielen ihre Rollen hervorragend; Lauterbachs Schlussworte gehen regelrecht unter die Haut.
Die größte Herausforderung für Regisseurin Vivian Naefe dürfte jedoch in der Führung des Mädchens bestanden haben. Paula Hartmann macht ihre Sache immer dann bemerkenswert gut, wenn sie Laura als unbeschwertes Kind verkörpern kann. In den gemeinsamen Szenen mit dem Vater soll sie Lauras Befangenheit durch ein verzögertes Sprechen zum Ausdruck bringen, und diese Stotterei klingt doch recht künstlich. Die akustische Unebenheit fällt jedoch kaum ins Gewicht. Für eine bildsprachliche Unwucht gilt das nicht: Aus irgendeinem Grund hat Naefe ihre Kameramänner Peter Döttling und Stefan Spreer angewiesen, ihr Arbeitsgerät permanent in Bewegung zu halten. Im Gerichtssaal wird die Staatsanwältin bei ihren Plädoyers von der Kamera umkreist wie in Romanzen das Liebespaar bei der entscheidenden Kussszene. Noch nerviger sind die Vernehmungen, die immer wieder im gleichen Stil gefilmt wurden: Die Kamera hat die eine Person im Blick und wandert hinter den Rücken der anderen. Bevor Gesicht Nummer eins hinterm Hinterkopf verschwindet, folgt der Schnitt, mitunter auch mal mitten im Satz, auf Gesicht Nummer zwei. Dieses Muster wiederholt sich permanent, weshalb es nach einer Weile bloß noch manieriert wirkt. Außerdem kommt der Film auf diese Weise optisch nur selten zur Ruhe. Ausnahmen bilden allein die Momente zwischen der Staatsanwältin und ihrem Freund (Hannes Jaenicke). Außerdem ist die Juristin mindestens einmal zu oft beim Yoga zu sehen.
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Entscheidender aber ist der sensible Umgang der Autoren Hardi Sturm und Peter Lohner mit dem Thema. Der Film macht es weder sich noch dem Publikum leicht. Geschickt verzögert das Drehbuch die Preisgabe der persönlichen Betroffenheit Charlotte Reinkes; und natürlich lebt die Geschichte ähnlich wie "Ein Vater unter Verdacht", ein Sat.1-Film mit Klaus J. Behrendt aus dem Jahr 1997 zum gleichen Thema, auch von der Frage, ob Giesecke seine Tochter tatsächlich missbraucht hat.