"Ich bin gern in dir geboren, kleine aber gute lichte Stadt." Mit diesem poetischen Kompliment setzte Johannes Paul Friedrich Richter, genannt Jean Paul, dem Fichtelgebirgsstädtchen Wunsiedel ein gern und viel zitiertes literarisches Denkmal. Doch erst an seinem 250. Geburtstag erhielt er am Donnerstag eine würdige Gedenkstätte an einem authentischen Ort: Im evangelischen Gemeindehaus wurde das restaurierte und neu gestaltete Geburtszimmer eröffnet, und das zu einer ganz und gar unorthodoxen Uhrzeit: Zur überlieferten Geburtsstunde "in der frühesten frischesten Tagzeit", so Jean Paul in seiner Autobiographie, um 1.30 Uhr morgens, veranstaltete die Kirchengemeinde als Hausherrin die Feierstunde für geladene Gäste.
###mehr-artikel###Bei der Feier erinnerte Oberfrankens Regionalbischöfin Dorothea Greiner an die kirchlichen Wurzeln des Pfarrersohns. Mit der Weite seines Denkens und "in seiner ungebrochenen Freiheitsliebe von und für die Welt" habe der Schriftsteller lutherische Grundhaltung gezeigt, sagte die Theologin. Zwar werde Jean Paul oft von auch Atheisten für sich reklamiert, dieser habe aber sein Leben lang an einem persönlichen Gott festgehalten". Initiator der neuen Gedenkstätte ist der frühere Wunsiedler Landrat und amtierende Vizepräsident der bayerischen evangelischen Landessynode, Peter Seißer. Anhand alter Pläne hatte er den abgelegenen Raum im einstigen Wohnhaus von Lehrern und Kantoren als das wahrscheinliche Geburtszimmer Jean Pauls identifiziert.
Viel Zeit seines Lebens hat Jean Paul alledings nicht in seinem Geburtsort verbracht: Als er zwei Jahre alt war, zog die Familie nach Joditz im Landkreis Hof, wo der Vater eine - besser bezahlte - Pfarrstelle übernahm. Wunsiedel stiftete seinem berühmten Sohn später zwar eine Bronzebüste neben der Stadtkirche und richtete eine Jean-Paul-Stube im örtlichen Fichtelgebirgsmuseum ein. Das unauffällige Haus, in dem Jean Pauls Vater, einst Kantor und "Tertiär"-Lehrer an der Lateinschule, mit seiner Familie gelebt hatte, erhielt im Jahr 1845 eine schlichte Gedenktafel an der Fassade.
Extravagante und skurrile Romane
Zu dieser Zeit herrschte schon ein regelrechter Kult um den zwei Jahrzehnte zuvor in Bayreuth verstorbenen Jean Paul, der mit seinen extravaganten und oft skurrilen Romanen einer der beliebtesten deutschen Schriftsteller seiner Epoche geworden war. Das Wohnzimmer im Geburtshaus, in dem der kleine Johannes einst getauft worden war, muss ein rechter Wallfahrtsort gewesen sein: "Die Besucher nehmen Nägel von den Wänden und Splitter aus dem Fußboden als Reliquien mit", zitiert Peter Seißer aus einer Publikation des Jahres 1833. Und seinen Stolz, dass in Zukunft das ("mit 95-prozentiger Sicherheit echte") Geburtszimmer zur neuen Touristenattraktion werden könnte, verhehlt er nicht.
Bei Forschungen im Stadtarchiv war Seißer, amtierender Vizepräsident der bayerischen evangelischen Landessynode, auf die Baupläne des Gebäudes gestoßen, in dem früher Lehrer und Kantoren ihre Wohnungen hatten. Ein unauffälliger "gefangener Raum", zugänglich nur durch eine ehemalige Küche fiel ihm auf: Solche Zimmer waren wegen der Versorgung mit heißem Wasser bevorzugte Räume für Hausgeburten. Es sei unwahrscheinlich, dass die Reliquienjäger des 19. Jahrhunderts jemals diesen Raum besucht hätten, meint Seißer.
Die Reliquienjäger kamen nie in den Raum
Um die historische Bedeutung der Räumlichkeiten im alten Schulhaus und späteren evangelischen Gemeindehaus hatte man sich keine Gedanken gemacht. Eine Episode, in der sich die kirchliche Gemeindejugend in der Kammer einen bequemen Rückzugsort eingerichtet hatte, endete erst vor wenigen Jahren. Das gab Seißer die Chance, seine Idee des "Jean-Paul-Geburtszimmers" quasi im Alleingang, freilich mit dem Segen des Kirchenvorstands - dem er selbst seit vielen Jahren angehört - und mit Hilfe öffentlicher Zuschüsse und privater Sponsoren zu verwirklichen.
###mehr-links###Das Ergebnis ist ein erfreuliches Gegenstück zu manchen historisierenden und überfrachteten Schauräumen. Holzdielen ersetzten den alten Teppichboden, vor die Ganzglasscheiben wurden innen Sprossenfenster nach altem Vorbild gesetzt. Einziges Mobiliar auf den 19 Quadratmetern sind ein Bett und ein Schrank, die den barocken Stil andeuten und mit ihrem weißen Anstrich zugleich Distanz zur Vergangenheit schaffen. Auf echte Möbel aus Jean Pauls Zeit, erzählt Peter Seißer, habe man auf Rat der Denkmalpfleger verzichtet: Besucher würden das fälschlich für Originalinventar halten.
So wurde das Zimmer ganz im Jean-Paul'schen Sinn, "klein und licht" - einziger Schmuck sind Zitate des Dichters über seine Jugend, in edler grauer Kalligraphie auf die weißen Wände geschrieben. Wichtigstes Element des Raums wird ein großformatiger Monitor sein, an dem zehn Videobeiträge auf Knopfdruck abgerufen werden können: Filme zur Biographie Jean Pauls ebenso wie Orgelmusik seines Vaters oder ein Jean-Paul-Rap, den Schüler der gleichnamigen Wunsiedler Grundschule aufgenommen haben. Der Raum soll später auch für kleinere Veranstaltungen genutzt werden. Noch stehen die Öffnungszeiten nicht fest; klar ist aber: "Auf Eintrittsgelder wollen wir verzichten", bekräftigt Peter Seißer.