Beats aus Mali: Eine bedrohte Kultur

Foto: Jens Schwarz/laif
Der malische Musiker Bassekou Kouyate bringt die Menschen zusammen
Beats aus Mali: Eine bedrohte Kultur
Mali befindet sich in einer blutigen politischen Krise. Die ethische und religiöse Vielfalt des Landes schlägt sich auch in der Musik nieder: Traditionelle Instrumente, zeitgenössische Melodien, voll kultureller Gegensätze. Ein Einblick.

Musik ist über die Jahrhunderte tief in die DNA der Malier eingesickert. Sie ist Teil ihres Alltags, kein Fest ist ohne Musik denkbar, kein Markt ohne ein großes Konzert aus wetteifernden Kassettenrekordern (die Musikkassette ist in Westafrika immer noch Medium Nr. 1), kein Taxi ohne Radio – am liebsten bis zum Anschlag aufgedreht. Es gibt Menschen, die sagen, der Vielvölkerstaat sei das musikverrückteste Land Westafrikas.

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Und: Die Musik Malis auch im Westen so präsent wie kaum eine zweite aus Afrika. Künstler wie Ali Farka Touré, Bassekou Kouyate oder Amadou und Miriam haben es aus den Dörfern und Städten auf Festivalbühnen und ins Radio geschafft, sich einen Namen gemacht, ihre CDs stehen in den Läden.

Malische Rhythmen - weltweit bekannt

Kollegen aus dem Westen laden regelmäßig Musiker aus Mali zu gemeinsamen Projekten ein: Jazzmusiker wie Hank Jones oder Dee Dee Bridgewater, Popkünstler wie Manu Chao, Herbert Grönemeyer, Damon Albarn, Björk oder Santana. Umso schockierter waren Musikfreunde im Westen, als die Meldung zu lesen waren, dass im Norden Mali gezielt Jagd auf Musiker gemacht würde. Grund dafür ist die von Saudi-Arabien und Qatar geförderte Missionstätigkeit wahabbitscher Prediger und salafistischer Hetzer. In Mali hatte sich über die Jahrhunderte ein sufistisch-geprägter Volksislam verbreitet, der Allah, den Propheten und die Marabouts auch mit Musik und Gesang preist - in der engstirnigen Auslegung des Islam der Salafisten ein Sakrileg, ebenso wie der profane Genuss von Musik überhaupt.

Musik aus Mali orientiert sich an der Tradition der "Djeli"

 Den Völkern Afrikas wurde - und wird zum Teil noch heute - eine eigene Geschichtsschreibung, bisweilen sogar ein Geschichtsbewusstsein abgesprochen. Was nicht in Schriftzeichen überliefert wurde, gilt, als habe es nicht stattgefunden. Afrikaner sehen das anders, denn Geschichte wurde über Jahrhunderte in Erzählungen, Epen oder Liedern mündlich weitergegeben - "oral history".

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Der malische Schriftsteller und Philosoph Amadou Hampaté Ba stellte fest: "Mit jedem Greis, der in Afrika stirbt, verbrennt eine nicht ausgeschöpfte Bibliothek." In Mali leben eine Menge solcher "Bibliotheken“: In der Sprache der Mandinka, der zweitgrößten Ethnie des Landes, nennen sie sich "Djeli": herumziehende Geschichtenerzähler und Sänger. Traditionelle malische Musik orientiert sich zu großen Teilen an der Kultur der Djeli.

Sie sind nicht nur Meister des Wortes, sie begleiten ihre Erzählungen auch mit einem Instrument oder treten mit einem kleinen Ensemble auf. Ihre Instrumente sind die Stegharfe "Kora", das Xylophon "Balo", die Laute "Ngoni", verschiedene Bogenharfen sowie Trommeln. Ein angesehener Djeli muss - besonders in der dörflichen Gemeinschaft - vielfältige Aufgaben zu erfüllen: er vermittelt bei Familienstreitigkeiten, er ist  Zeremonienmeister bei Familienfeiern sowie Sprecher und Berater des Dorfältesten.

Ali Farka Touré, einer der bekanntesten Musiker aus Mali, sieht seine Einordnung in "Blues" kritisch.

Djeli werden von ihrem Publikum direkt bezahlt, das heißt, es gibt keine Konzertsituation mit Eintrittskarte, sondern die gastgebende Familie und weiteren Gäste geben den Djeli Geld oder machen ihnen Geschenke. Eine wichtige Einnahmequelle sind Preislieder, bei denen es darauf ankommt, die Genealogie der Familie und die Geschichte desjenigen, den man preist, genau zu kennen -  und das Jahrhunderte rückwärts. Daneben unterhält der Djeli sein Publikum und spielt auch zum Tanz auf. Aus dieser Tradition speisen sich alle modernen Stile. Die Musiker ersetzen heute die Instrumente Kora, Ngoni und Balaphon teilweise durch Gitarren, Keyboards und Blasinstrumente oder es werden an Computern passende Beats dazu gebastelt.

Zum Beispiel Toumani Diabate: Er entstammt der wohl berühmtesten Djeli-Familie Westafrikas, sein Vater Sidiki Diabate nahm 1971 für das deutsche Label "Bärenreiter" die erste Platte auf, die alleine der Königin der afrikanischen Instrumente - der Kora - gewidmet war. Toumani Diabate, das Wunderkind auf der Kora, arbeitete mit Flamenco-Künstlern, Jazzmusikern zusammen und unter anderem mit dem Rockmusiker Damon Albarn von Blur zusammen. Für das Album, das er mit seinem Landsmann  Ali Farka Touré aufnahm, gab es einen Grammy.

Tradition der Tuareg - eine weitere musikalische Facette

"Es gibt nichts Schöneres als diese Wüste und deshalb kämpfen wir um das Recht, in dieser unserer Wüste leben zu dürfen. Wenn man sie kennen gelernt hat, sie gespürt hat, dann wird klar, dass uns nichts mehr von ihr trennen kann. Die Wüste zieht einen an und hält jene fest, die sie lieben“, sagte Mano Dayak, der 1995 verstorbene Anführer des Tuaregaufstands der frühen 90er Jahre.

Die willkürlichen Grenzziehungen der Kolonialmächte und das Unvermögen der "sesshaften“ postkolonialen Regierungen, den "reisenden“ Tuareg ihren Raum in der malischen Gesellschaft zu geben, führten immer wieder zu blutigen Konflikten und wirkten sich auch auf die Musikszene aus: Die Band "Tinawiren", gegründet 1982, focht in der Tuareg-Rebellion um ihre Rechte.

Die Musiker kämpften in der Region Adrar des Iforas im Nordosten Malis allerdings auch mit dem Mittel der Musik - ihre Songs waren eine Art "Soundtrack" dieses Aufstandes - traditionelle Tuareg-Musik, gemischt mit westlichen Rock- und Poptönen. Gegenwärtig haben sich die Musiker versteckt oder sind ins Ausland geflohen, denn auch auf sie wird von einer salafistischen Minderheit ihres eigenen Volkes Jagd gemacht.