Zu Hause bei Erich Kästner

Foto: dpa Picture-Alliance
Undatiertes Archivbild eines nachdenklichen Erich Kästners. Er war ein deutscher Schriftsteller, Drehbuchautor und Journalist, der vor allem für seine Kinderbücher bekannt wurde.
Zu Hause bei Erich Kästner
In Oberschwarzach lagert ein riesiger kultureller Schatz: Das dortige Kinderdorf darf nämlich nicht nur den Namen des berühmten Schriftstellers Erich Kästner tragen, es hat vor Jahren auch das komplette Inventar seines Münchner Hauses geerbt.
17.03.2013
epd
Daniel Staffen-Quandt

Es war wohl eines der letzten Telegramme, die der schwer kranke Erich Kästner verschickt hat. Der Text vom 1. Juli 1974 ist denkbar kurz: "Bin mit Kinderdorfbenennung einverstanden", schreibt der bekannte Autor. Vier Wochen später - am 29. Juli - stirbt Kästner im Klinikum Neuperlach an Speiseröhrenkrebs. Seit fast vier Jahrzehnten heißen die inzwischen sechs Häuser in Unterfranken "Erich Kästner Kinderdorf". Es ist jedoch mehr als der Name, der die Einrichtung mit dem Schriftsteller verbindet. Im Oberschwarzacher Haus lagert ein Großteil seines Nachlasses.

Als das Telegramm aus München damals in Unterfranken ankam, waren die Gründer des Kinderheim-Trägervereins überglücklich. "Als Kinderheim so einen Namen tragen zu dürfen, das ist großartig", sagt Daniela Huhn, Mitglied der Kinderdorf-Gesamtleitung. Niemand habe auch nur im Traum daran gedacht, dass es außer dem Namen noch einen Berührungspunkt zum berühmten Autor geben würde. Bis dann 1991 die langjährige Lebensgefährtin Kästners, Luiselotte Enderle, starb und Kinderdorf-Vertreter zur Testamentseröffnung eingeladen wurden.

Man darf alles anfassen

"Wir haben gedacht, dass wir vielleicht ein Gemälde oder einige Bücher bekommen", erinnert sich Daniela Huhn. Doch es kam ganz anders. Das Kinderdorf bekam das komplette Inventar aus Kästners Reihenhaus im Münchner Stadtteil Bogenhausen vermacht. "Wir wissen nicht, wieso wir als Erben ausgesucht wurden - es gab keine Begründung", berichtet Huhn. Enderle verfügte nur, dass der Nachlass "zur Pflege des Namens Erich Kästners" sowie "der geistigen und körperlichen Pflege der Kinder" dienen soll. Die Vereinsmitglieder waren überwältigt.

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Der Freude des ersten Augenblicks folgte bald rege Betriebsamkeit. Das Problem: Das Haus musste schnell geräumt werden, das Gebäude selbst wurde nämlich anderweitig vererbt und sollte verkauft werden. "Für uns war das eine echte logistische Herausforderung", sagt Huhn. Denn zum Inventar des Hauses gehörten neben den vielen Möbel auch über 8.200 Bücher. Um das Erbe Erich Kästners zusammenhalten zu können, musste Platz geschaffen werden. In der Steinmühle Oberschwarzach wurde die alte Tenne in Eigenleistung bis 1994 zu einer Bibliothek umgebaut.

In dem Gebäude am Rand der kleinen Marktgemeinde im Schweinfurter Land stehen nun nicht einfach Regalmeter an Regalmeter. In der alten Tenne leben Erich Kästner und Luiselotte Enderle ein Stück weit weiter. Hier eine venezianische Eckbank mit Tisch, dort Kästners Schreibtisch mit Lesebrille und Schreibmaschine. Daneben ein Stuhl mit Kästners Koffer und Hut. Alles echt und original, nichts hinter dicken Absperrungen oder in Vitrinen. "Man darf hier alles anfassen, man darf sich hinsetzen, die ganze Atmosphäre soll auf die Besucher wirken", sagt Daniela Huhn.

"Die Kindheit ist unser Leuchtturm"

Herzstück ist natürlich die Privatbibliothek Kästners. Neben den Erstausgaben seiner eigenen Werke gehören dazu vor allem Geschenke anderer Schriftsteller wie Carl Zuckmayer oder Wolfgang Borchert und die jährlichen Buchgeschenke von Kästners Vater an seinen Sohn. "Wir haben den Bestand damals zwar erfasst", sagt Huhn. Wissenschaftlich aufgearbeitet wurde er bislang allerdings nicht. "In viele Bücher haben Erich Kästner oder Luiselotte Enderle handschriftliche Notizen gemacht, das wäre für Bibliothekswissenschaftler sicher spannend bei uns."

Spannend ist die Bibliothek selbstverständlich auch für die Kinder und Jugendlichen, die im Kinderheim leben. "Ihnen ist sehr bewusst, was für ein Schatz hier in ihrer Mitte bewahrt wird", sagt Daniela Huhn. Weil sie den Wert kennen und schätzen, dürfen sie auch immer unbeaufsichtigt in die Bibliothek, wenn ihnen danach ist. Das sei auch im Sinne Kästners. "Die Kindheit ist unser Leuchtturm", schrieb der Autor einst. "Wir wollen den Nachlass Kästners nicht einfach 'konservieren', wir wollen unseren Kindern damit eine Heimat schaffen", sagt Huhn.