Zwischen Macht und Ohnmacht

Foto: epd-bild/Ralf Maro
Gideon Joffe, Vorsitzender der jüdischen Gemeinde Berlin, bei der Wieder-Einweihung der Synagoge in Berlin, August 2007.
Zwischen Macht und Ohnmacht
Vor einem Jahr übernahm der 40-jährige Gideon Joffe die Führung der Berliner Juden. Seitdem streiten in Deutschlands größter jüdischen Gemeinde bürgerliche Berliner und russischstämmige Zuwanderer um den richtigen Kurs. Jetzt sollen Neuwahlen Joffes Abgang erzwingen.
01.03.2013
epd
Markus Geiler

Die Muskeln ließ der neue Vorsitzende mit seinem Wahlbündnis "Koach!" gleich bei der ersten Sitzung des neuen Gemeindeparlaments spielen: Nach dem umstrittenen erdrutschartigen Sieg Joffes bei den Wahlen der Berliner Jüdischen Gemeinde wurden noch am Abend des 29. Februar 2012 alle Schlüsselpositionen in der Repräsentantenversammlung mit eigenen Leuten besetzt - bisherige parlamentarische Gepflogenheiten hin oder her. Mit 14 von 21 Sitzen, einer satten Zwei-Drittel-Mehrheit im Rücken, machte Gideon Joffe umgehend Ernst mit dem Durchregieren.

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Die auf sieben Sitze geschrumpfte Opposition war gespalten. Wirklichen Widerstand versuchten nur drei, vier Repräsentanten zu leisten. Ihre Hinweise auf Geschäftsordnung und parlamentarische Umgangsformen prallten aber an dem "Koach!"- Block zumeist ab. Der Rest der Opposition hielt sich zurück.

Vor die Tür gesetzt und abgewimmelt

Im voll besetzten Saal schwankte die Stimmung zwischen Macht und Ohnmacht. Unter den Sympathisanten und Parteigängern des abgewählten Vorstands um die Ex-Vorsitzende Lala Süsskind machte sich Fatalismus breit. Hier und da fiel das Wort von einer "Spaltung". Die beiden feindlichen Lager, das bürgerliche West-Berliner Judentum gegen die zumeist unterprivilegierten russischen Zuwanderer, schienen zementiert.

In einer ersten Amtshandlung warf Joffe den langgedienten Fahrer der Gemeinde raus. Kurz darauf wurde der weithin anerkannte Antisemitismusbeauftragte der Gemeinde, Levi Salomon, vor die Tür gesetzt. Die Sprecherin der Gemeinde bekam einen Aufhebungsvertrag. Interviewanfragen an Joffe wurden mit der Begründung abgewimmelt, man wolle sich erst mal ein Bild von der Lage verschaffen und Ruhe hineinbringen.

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Ein knappes Statement zum künftigen Kurs kam nur von Joffes Stellvertreterin, Carola Melchert-Arlt. "Unser Ziel ist es, in der Gemeinde mehr Transparenz zu schaffen", sagte die Leiterin einer Berliner Grundschule und neue Bildungs- und Schuldezernentin der Gemeinde damals. Um die Gräben in der Gemeinde zu überbrücken, müsse eine "wertschätzende Atmosphäre" geschaffen werden.

Schuldenberg hinterlassen

Ein Jahr später ist Melchert-Arlt von Joffe aus dem Amt entfernt worden und von einer wertschätzenden Atmosphäre scheint die Gemeinde Lichtjahre entfernt. Niemand weiß so richtig, was in den Gemeinderäumen in der Oranienburger Straße vor sich geht. "Wir sind von allen Informationen abgeschnitten", sagt Micha Guttmann. Der Rechtsanwalt, der unter Heinz Galinski Generalsekretär des Zentralrats der Juden war, sitzt für die Opposition in der Repräsentantenversammlung.

In dem Gemeindeparlament würden keine demokratische Regeln mehr gelten, kritisiert Guttmann. Anträge der Opposition würden grundsätzlich zurückgewiesen.

Im Januar ließ Gideon Joffe verkünden, dass die komplizierte Betriebsrentenproblematik der Gemeinde gelöst sei. Auch das Haushaltsdefizit der hoch verschuldeten Gemeinde sei in seinem ersten Amtsjahr um 85 Prozent abgebaut worden, betonte der studierte Betriebswirt. In seiner ersten Amtszeit zwischen 2005 und 2008 hatte er noch selbst einen Schuldenberg hinterlassen.

Neuer Urnengang im Herbst?

Der Berliner Senat als Hauptschuldner reagierte zurückhaltend auf die Mitteilung. "Mit uns ist darüber bisher nicht gesprochen worden", hieß es nur. Die Opposition sagte, das sei "schlicht und ergreifend alles falsch".

Die ehemalige Bildungsdezernentin Melchert-Arlt hat sich einer Neuwahl-Initiative angeschlossen, die maßgeblich von Guttmann und zwei weiteren Oppositionellen ausgeht. In einer Art Volksbegehren müssen sich dafür etwa 2.000 der über 10.000 Gemeindemitglieder für Neuwahlen aussprechen. Gelingt das, steht im Herbst ein neuer Urnengang an.

"Wir haben nur diese eine Chance", sagt Guttmann. Die Resonanz sei aber bisher überwältigend: "Wir haben in kurzer Zeit schon über 1.000 Stimmen zusammen." Problematisch bleibt aber das geringe Interesse der Mehrzahl der Mitglieder an der Gemeinde. Beim letzten Mal beteiligten sich nur knapp 2.500 der 9.100 Wahlberechtigten an dem Urnengang.