Zu alt für den elektrischen Stuhl?

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Strafgefangene in den USA werden immer älter - auch die "Todeshäftlinge". Jura-Professorin Elizabeth Rapaport fordert Gnade für US-Strafgefangene, die in der Todeszelle alt geworden sind.
Zu alt für den elektrischen Stuhl?
Die Zahl der US-Strafgefangenen im Seniorenalter steigt - auch in den Todeszellen. Das lässt den Ruf nach Gnade für die betagten Straftäter lauter werden.
08.09.2012
epd
Konrad Ege

Die Hinrichtung des geistig behinderten Mörders Marvin Wilson, der im August in Texas durch eine Giftspritze starb, hat in den USA eine Diskussion über die Todesstrafe angefacht. Nach Ansicht von Menschenrechtlern zeige dieser Fall aufs Neue, dass das Verbot der Hinrichtung geistig Behinderter oder Geisteskranker nicht immer eingehalten werde. Die Jura-Professorin Elizabeth Rapaport fordert außerdem Gnade für Menschen, die in der Todeszelle alt geworden sind.

Rapaport von der University of New Mexico in Albuquerque stellt im Fachmagazin "Brooklyn Law Review" fest, dass Berufungsverfahren oft Jahrzehnte dauerten. Es sei "grausam und ungewöhnlich", einen alten Menschen nach langer Zeit in der Todeszelle hinzurichten.

Im Rollstuhl zur Hinrichtung

Die Professorin beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema Alter und Todesstrafe. 2006 wurde Clarence Ray Allen im Alter von 76 Jahren in Kalifornien hingerichtet. Allen, verurteilt wegen dreier Auftragsmorde, benutzte einen Rollstuhl, er konnte offenbar auch nicht mehr gut hören und sehen. Gouverneur von Kalifornien war damals Arnold Schwarzenegger. "Der 'Terminator' lässt doch keinen alten Mann im Rollstuhl töten", habe sie damals gedacht, sagte Rapaport dem Evangelischen Pressedienst (epd). Doch Ex-Schauspieler Schwarzenegger kannte keine Gnade.

Nach Ansicht von Rapaport wäre die Aufhebung der Hinrichtung betagter Menschen ein "bescheidener" weiterer Schritt zur Reform der Todesstrafe. Die US-Verfassung verbietet "grausame und ungewöhnliche" Strafen. Nach langen Jahren im Todestrakt in Erwartung der Hinrichtung, oft in Isolation, seien die Todeshäftlinge "andere Menschen als zur Tatzeit", sagt Rapaport. Es sei außerdem zu berücksichtigen, dass sich die Todeshaft auf die psychische Gesundheit und die intellektuellen Fähigkeiten auswirke.

"Todeshäftlinge" werden immer älter

Nach Angaben des Informationszentrums für Todesstrafen leben gegenwärtig 3.120 Menschen in US-Todeszellen, die meisten in Kalifornien (724), Florida (407) und Texas (308). Noch sei die Zahl der "alten Todeshäftlinge" relativ niedrig, sagt Rapaport. Wie das US-Justizministerium berichtete, waren im Jahr 2009 8,2 Prozent der Todeshäftlinge in den USA über 60 Jahre alt. 21,1 Prozent seien 50 bis 59 Jahre alt gewesen.

Doch die Tendenz ist steigend, wie im Strafvollzug allgemein. Von 1999 bis 2008 ist laut Justizministerium die Zahl der Gefängnisinsassen über 55 Jahre um 76 Prozent gestiegen. 55 sei alt im Gefängnis, sagt Palliativmediziner Ira Byock von der Dartmouth Medical School in New Hampshire. Viele Täter kämen schon in einem schlechten Gesundheitszustand in Haft. In etwa 70 US-Haftanstalten gibt es Hospizprogramme.

###mehr-artikel###Nach den Richtlinien der US-Gerichte dürfen Täter, die ihre Strafe nicht verstehen können, also Geisteskranke und geistig Behinderte, nicht hingerichtet werden. Menschenrechtler beklagen aber, dass dieses Verbot nicht immer eingehalten wird. Laut Rapoport gibt es eine Reihe von Todesurteilen, die nicht hätten vollstreckt werden dürfen.

Herausragend sei dabei die Hinrichtung von Rickey Ray Rector im Jahr 1992 in Arkansas unter Gouverneur Bill Clinton gewesen. Der spätere US-Präsident habe den geistig Behinderten im Wahlkampf hinrichten lassen. Dabei war Rector offenbar so fern von der Realität, dass er dem Gefängnispersonal sagte, er werde seinen Kuchen nach der Hinrichtung essen. Vergangenen Monat geriet der Bundesstaat Texas in die internationale Kritik wegen der Hinrichtung des 54-jährigen Marvin Wilson, der nach Ansicht von Ärzten mit einem Intelligenzquotienten von 61 als geistig behindert gelten musste.

Als ältester Todeshäftling der US-Geschichte gilt der 2010 im Alter von 94 Jahren in Haft in Arizona eines natürlichen Todes gestorbene Leroy Nash. Der 1915 geborene Berufskriminelle hatte einen Großteil seines Lebens hinter Gitter verbracht. Zum Tod verurteilt wurde er wegen eines Raubmordes im Jahr 1982.