Vielleicht ist es bloß Zufall, aber womöglich haben sich die Programmplaner ja auch was dabei gedacht: Am letzten Sonntag hat der ORF mit dem fesselnden Thriller "Zwischen den Fronten" vorgemacht, wie man den "Tatort"-Rahmen nutzt, um auch mal was anderes als die üblichen Beziehungstaten zu zeigen. Nun legt Radio Bremen mit einem Krimi nach, der nicht nur handwerklich herausragende Fernsehfilmkunst bietet. Mit einer auf diesem Sendeplatz seltenen Dynamik erzählt Regisseur Florian Baxmeyer zudem eine Geschichte in der Tradition der Verschwörungsklassiker aus den späten Siebzigern.
Das Drehbuch stammt von Christian Jeltsch, einem der aktuell interessantesten Autoren, dessen Filmografie eine Vielzahl herausragender Stoffe enthält (zuletzt unter anderem "Kreutzer kommt..." und "Deckname Luna"). Sahen sich die Wiener zu Handlangern des Staatsschutzes degradiert, dessen führende Köpfe einen Rechtsruck und damit verbunden die Stärkung des Überwachungsstaats provozieren wollten, so geht Jeltsch in seiner Geschichte noch einen Schritt weiter. Der treffende Titel "Puppenspieler" bringt es auf den Punkt: Sämtliche Figuren zappeln an Drähten; die Strippenzieher bleiben im Hintergrund.
Die zweite Kamera
Der besondere Reiz des Drehbuchs liegt in der Verteilung der Handlung auf mehrere gleichrangige Erzählstränge. Auch wenn die Erpressung eines der höchsten Richter der Republik der Motor der Geschichte ist: Anders als üblich gibt es keine klassische zentrale Ebene. Die damit verbundene Undurchsichtigkeit der Geschichte hat selbstredend Methode. Nicht minder reizvoll ist Jeltschs Verarbeitung diverser aktueller Bezüge, allen voran die Verweise auf die Untaten der Nazimörderbande NSU, die fadenscheinigen Reaktionen auf die so genannten Döner-Morde und die Jagd nach jenem Phantom, dessen DNS-Spuren an mehreren Verbrechensschauplätzen gefunden wurden.
All diese Zutaten verleihen dem "Tatort" eine enorme Komplexität. Dabei hätten sich die meisten Redaktionen schon mit dem Teil der Geschichte zufrieden gegeben, der die Handlung ins Rollen bringt: Die minderjährige Mel (Jella Haase) besucht einen älteren Freier in seinem Hotelzimmer. Konrad Bauser (Christoph M. Ohrt) ist Richter am Bundesverwaltungsgericht und hat selbstredend keine Ahnung, dass Mel den Sex heimlich filmt.
Eine dritte Person beobachtet
Sie wiederum wäre ziemlich verblüfft, wenn sie wüsste, dass ihre Kamera nicht die einzige im Raum ist: Eine dritte Partei beobachtet Bauser auf Schritt und Tritt. Die allmächtige Organisation hat ihre Augen und Ohren überall und soll im Auftrag Bausers dafür sorgen, dem Erpressungsversuch ein finales Ende zu setzen. Der Mord an Mels Freund ist die neunte Tat eines rätselhaften Phantoms, dessen Enttarnung den Film zu einem Fest für Freunde von Verschwörungstheorien macht.
Der Richter weilt übrigens in Bremen, um über die umstrittene Vertiefung der Weser zu urteilen. Hauptkommissarin Lürsen (Sabine Postel) gehört zu einer Bürgerinitiative, die gegen die entsprechenden Pläne protestiert, was zur Folge hat, dass sie Bauser in unterschiedlichen Rollen begegnet. Bewegung gibt es auch am Arbeitsplatz: Kollege Stedefreund (Oliver Mommsen) fühlt sich wie ein "Beifahrer im eigenen Leben" und mag nicht mehr; mit dem immer wieder für Überraschungen guten neuen Kollegen Leo Ulfanoff (Antoine Monot jr.) steht schon Ersatz parat.
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Regisseur Baxmeyer sorgt mit seinem bereits fünften "Tatort" aus Bremen für die kongeniale Inszenierung von Jeltschs großartiger Vorlage. Das immer wieder verwendete Stilmittel des geteilten Bildschirms ist die perfekte Umsetzung der facettenreichen Handlung. Kamera (Marcus Kanter), Schnitt (Elke Schloo) und Musik (Stefan Hansen) schaffen zudem für eine Dynamik, die nie zum Selbstzweck wird, sondern immer im Dienst der Geschichte steht. Ein selten guter "Tatort".