"Probiert es doch mal!" Behinderte arbeiten im Altenheim

Betreuerin und Seniorin beim Essen.
Foto: epd-bild/Uwe Müller
Anne-Kathrin Wilhelm (links) bei der Arbeit. Die 25-Jährige betreut Senioren in einem Wuppertaler Altenheim.
"Probiert es doch mal!" Behinderte arbeiten im Altenheim
Sie lernt langsamer, und man muss es ihr etwas öfter erklären: Anne-Kathrin Wilhelm ist geistig behindert. Die 25-Jährige arbeitet im Altenheim, ganz normal mit Dienstplan, festen Mittagspausen, Urlaubstagen.
23.02.2012
epd
Jana Hofmann

Anne-Kathrin Wilhelm ist ein geduldiger Mensch. "Ich lass' mich so schnell nicht auf die Palme bringen", sagt die 25-Jährige. Für ihre Arbeit im Caritas-Altenzentrum Augustinusstift in Wuppertal ist eine große Portion Gelassenheit wichtig. "Wenn jemand mal nichts trinken will, setz' ich mich daneben und trinke auch was", erklärt sie. Oder wenn einer der Bewohner unruhig ist, dann gehen sie zusammen spazieren.

Für die junge Frau mit den langen, dunkelblonden Haaren ist das nichts Besonderes: "Meine Mama ist geduldig, mein Papa ist geduldig. Klar, dass ich da auch geduldig bin!" Sie arbeitet routiniert und mit Freude, oft ist ihr Lachen im Speisesaal auf Ebene 8 zu hören. Nichts weist darauf hin, dass Anne-Kathrin geistig behindert ist. Sie habe Lernschwierigkeiten, sagt sie. Brauche etwas länger, um zu verstehen.

Sehr hohe soziale Kompetenz

Lächelnd setzt Anne-Kathrin sich neben eine alte Dame. Die Bewohnerin hat die Augen geschlossen, vor ihr steht ein Teller mit zwei unberührten Brötchenhälften mit Käse. "Guten Morgen, haben Sie schon etwas gegessen?", fragt die junge Frau und berührt die alte Dame sanft an der Schulter. Kurz öffnen sich die Augen, dann blendet die Bewohnerin wieder alles aus. Anne-Kathrin bleibt auf ihrem Platz sitzen und redet ruhig, aber deutlich mit der Seniorin.

###mehr-links###

Seit Oktober macht Anne-Kathrin ein Praktikum in der Betreuung im Altenheim. Wenn sie mag, kann sie es verlängern und einen Arbeitsvertrag erhalten. Das verdankt sie dem Wuppertaler Verein "Horizonte - selbstständig leben", der mehr Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung schaffen will. Gerade in Altenheimen seien Menschen mit Behinderung wichtig, denn sie hätten oft eine sehr hohe soziale Kompetenz, erklärt der "Horizonte"-Vorsitzende Werner Kleine. "Menschen mit Behinderung können eine große soziale Nähe erschaffen."

Anne-Kathrins Chefin in dem Wohnbereich, Karin Schmidt-Reder, hat beobachtet, dass die Bewohner sehr positiv auf die junge Frau reagieren. "Sie bringt sehr viel Ruhe rein, entspannt die Situation mit demenziell Veränderten", sagt Schmidt-Reder. Auch das Team sei entspannter, seit Anne-Kathrin da ist. "Nicht nur Anne-Kathrin lernt hier. Wir lernen auch viel von ihr", erklärt Schmidt-Reder. Wichtig sei, alles mehrmals und schrittweise zu erklären, sagt Schmidt-Reder. Jetzt schaffe sie eingeübte Arbeit selbstständig.

"Ich bin im Moment total hin- und hergerissen"

Die Leiterin des Altenzentrums, Regina Wlodawer, sagt, das Projekt könne ausgebaut werden. Menschen mit Behinderung könnten in der Technik, Betreuung oder Hauswirtschaft arbeiten. "Es ist ein mutiger Schritt von Anne-Kathrin, in der rauen Wirklichkeit zu arbeiten", unterstreicht Wlodawer.

Auf das viele Lob reagiert die Praktikantin etwas beschämt. "Alle sind so begeistert von mir", sagt sie und zuckt mit den Schultern. Bald muss sie sich entscheiden, ob sie weiter im Altenheim arbeiten oder lieber zurück in die Werkstatt der Lebenshilfe will. Und das fällt ihr schwer. "Ich bin im Moment total hin- und hergerissen", bekennt Anne-Kathrin. Und überhaupt: Ihr Freund vermisst sie - er arbeitet bei der Lebenshilfe - und ihre Freunde dort wollen sie auch mal wieder sehen. "Ich würde das hier aber auch vermissen", sagt die junge Frau und blickt sich im Speisesaal um.

Für ihre Freunde von der Lebenshilfe ist Anne-Kathrin ein Vorbild. "Viele fragen mich immer: 'Wie machst du das? Wir wollen das auch machen'", erzählt sie. Sie würde jedem empfehlen, mal draußen zu arbeiten: "Es ist genau das richtige für mich." Viele andere schafften das aber nicht, sagt Anne-Kathrin. Dann wird sie energisch: "Ich sage immer: Probiert es doch mal! Was soll schon schiefgehen?" Meist klappe ja doch alles.