Abendmahl im Internet: Ein Experiment

Illustration: iStockphoto/small_frog/Nicolas Hansen
Abendmahl im Internet: Ein Experiment
Ein Computer, ein Internetzugang, ein Stückchen Brot, ein Schluck Saft. Das reicht, um am Gottesdienst teilzunehmen – am Freitagabend um 20 Uhr - egal wo auf der Welt. Der Gottesdienst findet in Eppertshausen im Landkreis Darmstadt-Dieburg statt - aber das spielt eigentlich keine Rolle. Denn übers Internet kann jeder dabeisein.
06.09.2012
evangelisch.de

Neue Medien bieten neue Chancen: Warum nicht den Gottesdienst in die Wohn- und Arbeitszimmer übertragen – für alle, die krank sind, die einen zu weiten Weg oder einfach keine Lust haben aus dem Haus zu gehen? Zwar sind Rundfunk- und Fernsehgottesdienste in Deutschland mittlerweile gang und gäbe, und auch Übertragungen ins Internet mit Ton und Bild werden ausprobiert. Doch der Gottesdienst in Hessen hat jetzt eine neue Qualität: Die Gemeinde feiert Abendmahl im Netz.

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Die Idee stammt von Ralf Friedrich, Prädikant in der evangelischen Kirchengemeinde Eppertshausen im Odenwald. Friedrich beschäftigt sich als Wissenschaftler gerade mit der Frage, ob Besprechungen virtuell genauso gut funktionieren wie real an einem Besprechungstisch. Seine These: Das geht - auch in der Kirche. "Wenn wir es mal abstrakt sehen, ist ein Gottesdienst ja nichts anderes als eine moderierte Besprechung mit dem Ziel, mit Gott in Kontakt zu kommen", erklärt Friedrich.

Zuhause ein Stück Brot und einen Schluck Saft bereitstellen

Die Kirche ist laut der Confessio Augustana, dem zentralen Glaubensbekenntnis der Reformation, "die Versammlung aller Gläubigen, bei denen das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakramente dem Evangelium gemäß gereicht werden." Klappt das auch, wenn die Menschen durch Bildschirme voneinander getrennt, also nicht physisch versammelt sind? Für die Predigt ist die Antwort einfach: Reden und Zuhören funktionieren auch durch Kabel und Funkwellen hindurch. Aber wie steht's mit dem Abendmahl?

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Muss die Gemeinde real anwesend sein, um die Gemeinschaft miteinander und mit Christus zu erleben? Müssen Brot und Wein aus der Hand des Pastors direkt an die Gläubigen weitergereicht werden? Leib und Blut Christi persönlich für jeden Einzelnen zum Anfassen und Schmecken - das war Luther besonders wichtig. Ralf Friedrich plant das Abendmahl für Freitagabend über die Internetplattform Edudip. Hier hat er die Teilnehmer schon vorab aufgefordert, sich eine Kerze und "ein Stück Brot oder eine Oblate sowie einen Schluck Traubensaft oder Wein für die Abendmahlsfeier" für 20 Uhr bereit zu legen.

"Wie wir das Abendmahl nun im Internet spenden, wird noch eine Herausforderung sein", gibt Friedrich allerdings zu. Wahrscheinlich wird er Brot und Wein einfach in die Kamera halten, "dann sieht das ja jeder persönlich für sich". Teilnehmer zu Hause am Bildschirm brauchen ein bisschen Vorstellungskraft, sie könnten zum Bildschirm greifen, beides symbolisch "entgegennehmen" und dann im richtigen Moment gemeinsam mit der "echten" Gemeinde in Eppertshausen essen und trinken. "Dichter kommen wir in dieser Situation auch nicht ran", bedauert Friedrich.

Durch die Seelsorge-Brille schauen

Das Abendmahl ist ein Sakrament und besteht aus zwei Dingen: Dem Zeichen und dem göttlichen Wort. Genügt es also, das Zeichen nur zu sehen und nicht real entgegen zu nehmen? Wer weiß. Weder der Kirchenvater Augustinus noch die Reformatoren hatten auf dem Schirm, dass es einmal Internet-Gottesdienste geben würde. "Ob das funktioniert oder nicht, werden wir am Freitagabend nach dem Gottesdienst wissen."

Ralf Friedrich sieht die Sache pragmatisch. "Gerade die evangelische Kirche schafft es ja, Sachen zu zerreden, bevor sie es überhaupt versucht hat", meint der Prädikant. "Ich denke, wir haben teilweise Ängste und sagen: Ist das theologisch überhaupt richtig, funktioniert das? Und ich sage: Lasst uns das nicht aus der theologischen Brille sehen, sondern aus der seelsorgerlichen, spirituellen Brille!" Es geht im Eppertshausener Gottesdienst vor allem um die Entwicklung des Einzelnen in seinem Glauben. Ralf Friedrich: "Ich merke, dass Menschen einen Hunger nach Spiritualität haben. Nicht unbedingt nach Kirche – aber nach Spiritualität."

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Diesen Hunger, da ist der Prediger überzeugt, haben auch die Menschen, die - aus welchen Gründen auch immer – nicht den traditionellen Gottesdienst am Sonntagvormittag besuchen. "Ich hab mir schon viele Jahre Gedanken darüber gemacht, wie man kirchenferne Menschen in die Kirche kriegt", sagt Ralf Friedrich. Er sieht die Übertragung im Internet als Chance, weil die Hemmschwelle niedrig ist. Wer zu Hause sitzt, wird nicht von den anderen gesehen, muss kein Bekenntnis ablegen, kann einfach ausprobieren, ob der Gottesdienst ihm zusagt. Zielgruppe des Gottesdienstes am Freitagabend ist die junge Generation, Jugendliche, junge Erwachsene, Familien. Damit sie sich angesprochen fühlen, wird die Liturgie eine andere sein als im Sonntagsgottesdienst.

"Wenn wir's nicht ausprobiert haben, werden wir's nie wissen"

Der Gottesdienst trägt den Titel "Chillen mit Gott". Statt der Orgel spielt eine Band, und statt einer Predigt veranstaltet Ralf Friedrich einen Bibliolog. Das heißt: Die Teilnehmer schlüpfen in die Rollen der biblischen Geschichte und beteiligen sich am Erzählen, indem sie selbst etwas sagen – oder live chatten. Die Antworten aus der Netzgemeinde erscheinen direkt auf der Leinwand in der Kirche. Der Prediger greift sie auf und formuliert die Gedanken der Gemeinde nochmal neu. "Dadurch wird eine biblische Geschichte anders erlebt und wahrgenommen. Das ist sehr interaktiv, und das ist eine Form der Predigt, wie sie fürs Internet gut geeignet ist", erklärt Ralf Friedrich.

Während einer "meditativen Phase" nach dem Bibliolog können die Teilnehmer in der Kirche verschiedene Stationen aufsuchen, Kerzen anzünden, beten, Fürbitten schreiben, sich segnen lassen. Gerade die meditative Phase bietet gute Möglichkeiten zum Mitmachen: Die Teilnehmer am Bildschirm können ihre Kerze anzünden, die Stationen in der Kirche anschauen, Gebete eintippen. Ob man den Segen durch den Bildschirm hindurch spüren kann, ist eine weitere offene Frage.

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Die Kommunikation via Internet hat ihre Grenzen. Gegenstände, Berührungen und die persönliche Ansprache des Einzelnen können nicht übertragen werden. Aber vielleicht überwiegen dennoch die Vorteile. Ralf Friedrich jedenfalls denkt pragmatisch: "Wenn die Leute schon nicht in die Kirchen kommen, dann muss die Kirche halt zu den Leuten kommen. Und wenn wir's nicht ausprobiert haben, werden wir's nie wissen."