Die 40 Tage der Erkenntnis

Honigtopf mit Löffel
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Ein Löffel Honig in den Nachmittagstee - das war für Keyvan Dahesch der kulinarische Höhepunkt des Tages während seiner Fastenkur.
Die 40 Tage der Erkenntnis
Beruflicher Stress und andere Probleme hatten Keyvan Dahesch körperlich und seelisch aus dem Gleichgewicht gebracht. Außerdem war ein kleiner Wohlstandsbauch angewachsen. Der Arzt empfahl eine Fastenkur, von deren Erfolg der Journalist bis bis heute schwärmt. Das Fasten löste Glücksmomente aus und war am Ende sogar ziemlich lustig.

In Bagdad lebte einst ein reicher Mann, so erzählt ein Märchen aus dem Morgenland, der suchte mit seiner überaus wohlbeleibten Frau einen berühmten Arzt auf und versprach ihm Schätze, wenn er sie von der Unfruchtbarkeit heile. Der Doktor aber bedauerte. Er könne nichts tun. Die Frau sei sehr krank und habe nur noch 40 Tage zu leben. Vor lauter Kummer über ihr nahes Ende konnte die Frau nicht mehr essen. Als sie nach 40 Tagen statt zu sterben ein nie gekanntes Wohlbehagen empfand und nach des Rätsels Lösung fragte, gestand der weise Arzt, dass er sie zur Enthaltsamkeit und körperlich-seelischen Reinigung habe zwingen wollen. Nun sei sie genesen und könne auch Kinder zur Welt bringen. Dieses Märchen erzählte ein Therapeut beim autogenen Training in einer Klinik am Bodensee.

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Zwar hatte mein Arzt mir nicht mein baldiges Dahinscheiden prophezeit, seine ernsten Sorgen um meinen Gesundheitszustand waren aber unverkennbar. Bis auf den Blutdruck waren meine Testwerte erhöht; einige sogar erheblich. Obwohl ich, von Geburt an blind, den dadurch bedingten Bewegungsmangel vor allem durch morgendliche Gymnastik auszugleichen versucht hatte, war mir doch ein ansehnlicher Wohlstandsbauch gewachsen. Zudem hatten mich, als Bürgerbeauftragter und Presse-Sprecher des Hessischen Landesamtes für Versorgung und Soziales in Frankfurt tätig, beruflicher Stress  und andere Probleme seelisch aus dem Gleichgewicht gebracht. Notwendig erschien eine Therapie, die Körper und Seele guttun sollte. Der Arzt empfahl mir in diesem speziellen Fall Heilfasten.

Es blieb nicht beim Fasten allein

Die weltweit als Fastenheilstätte renommierte Klinik Buchinger in Überlingen am Bodensee nahm mich als blinden Patienten aus Frankfurt  auch ohne eine Begleitperson auf. Was ich dort erlebte, übertraf alle meine Erwartungen. So geruhsame, zufriedene, ja glückliche Tage habe ich selten erlebt. Deshalb schwärme ich auch heute noch immer von meinen ganz individuellen Eindrücken beim zeitweiligen, völlig freiwilligen Entsagen von lukullischen Genüssen!

Nach einem vorbereitenden Obsttag - man kann stattdessen auch einen Reis-, Kartoffel- oder Quark-Tag einlegen - begann am zweiten Tag das Fasten mit einer gründlichen Darmreinigung mit Hilfe von Glaubersalz. Es folgten 25 Tage mit ungesüßtem Kräutertee am Morgen, einem Glas Gemüsebrühe am Mittag, einem Tee mit einem - für die Fastenden "Höhepunkt des Tages" - Esslöffel Honig am Nachmittag und einem Glas Fruchtsaft am Abend sowie literweise Mineralwasser.

Doch es blieb nicht beim Fasten allein: Morgens und nachmittags wurde in verschieden schnellen Gruppen gewandert, es gab Gymnastik, Meditationen, Atem- und Entspannungsübungen, Wasser-, Wirbelsäulen- und Fußgymnastik, dazu autogenes Training. Massagen, Bäder und einzelgymnastische Behandlungen gingen individuell gegen Verspannungen und andere Beschwerden an, Fachärzte und Ernährungswissenschaftler klärten uns in Vorträgen auf. Ein buntes Angebot von kulturellen Veranstaltungen kämpfte Langeweile nieder.

Der Hunger schwand am dritten Tag

Spätestens nach dem dritten Fastentag plagte mich kein Hungergefühl mehr. Gelegentlich verspürte ich zwar noch Gelüste nach bestimmten Leckereien; sie verloren sich jedoch mit meiner zunehmenden Hinwendung zu mir selbst. Ja, so unglaublich es klingen mag, gegen Ende wähnte ich mich gegen alles gefeit. Nichts störte mich, niemand brachte mich aus der Ruhe. Und als beim fortgeschrittenen autogenen Training eines Tages bei mir Glückstränen flossen, deutete sie der Doktor als Zeichen für die völlige Seelenreinigung und die erstrebte Einheit von Körper und Geist.

Nach und nach fühlte ich bei den Entspannungsübungen und der Lösungstherapie jede Körperstelle. Durch das Fasten hatte ich mich selbst entdeckt. Eine um 25 Jahre ältere Frau jüdischen Glaubens, die in den 1933er Jahre vor den NS-Schergen aus Deutschland geflohen war und nun abwechselnd in Israel und der Schweiz lebte, führte mich bei den Wanderungen und schilderte mir die Landschaft so eindrücklich, dass ich sie vor meinem geistigen Auge erlebte.

Das subjektive Wohlbefinden bei mir wurde objektiv durch deutliche Besserung der Befunde bei der ständigen Labor-, EKG- und Gewichtskontrolle sowie den ausgiebigen ärztlichen Untersuchungen untermauert. Die Freundlichkeit, mit der sich die Patienten untereinander begegneten und auch den Blinden miteinbezogen, tat ein Übriges. Das Hungern verband Menschen unterschiedlicher Herkunft und Interessen: Friedlich fasteten Araber und Israelis miteinander. Gemeinsam.

Wie ich einmal eine dicke Dame den Berg hinauf schob

Mit dem Gefühl, ein ganz anderer Mensch geworden zu sein, kehrte ich nach viereinhalb Wochen um zehn Kilo erleichtert nach Hause in den Alltag zurück. Zweimal wiederholte ich das Heilfasten, das mir solche Glücksgefühle beschert hatte. Besonders ein Erlebnis beim letzten Aufenthalt in der Fasten-Klinik wird mir immer im Gedächtnis bleiben.

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An den lauen Sommerabenden bin ich mit zwei Fasten-Schwestern in ein Café am Bodensee-Strand gewandert, wir tranken dort ein Glas Kräutertee kamen rechtzeitig vor "Toresschluss" um 23.00 Uhr in die Klinik zurück. Eines Abends wollte eine 1,63 m große Dame, die 144 Kilo wog, uns in die Stadt begleiten. Da sich die Klinik auf einem Hügel befinde und sie den Berg nicht hoch kommen könne, würde sie mit einem Taxi zurückfahren.

Wir nahmen sie mit. Im Café erfuhr sie, dass das einzige Taxi nach Konstanz gefahren sei und nicht vor Mitternacht zurückkehre. Die dickleibige Fastenschwester begann zu weinen: "ich schaffe den Weg zu Fuß nie!", klagte sie. Ich bot an, sie zu schieben. Rasch verließen wir das Café. Ich stellte mich hinter sie, legte meine Hände auf ihre wohl gepolsterten Lenden und schob sie den Berg hinauf. Meine anderen Begleiterinnen gingen rechts und links. Den ganzen Weg mussten wir lachen. Als wir oben ankamen, war die Nacht-Schwester dabei, die Eingangstür zu schließen. "Sind Sie ins Wasser gefallen, Herr Dahesch?" So hatte ich geschwitzt.

Bis zu meinem 65. Lebensjahr versuchte ich zuhause, mit einem Obst-, Reis- oder gar Fastentag pro Woche mein Gewicht zu halten. Dies alles kann ich guten Gewissens jedem empfehlen, dem es der Arzt erlaubt. Fastenkuren sollten aber nie ohne ärztlichen Beistand und Kontrolle gemacht werden.