"Wissen Sie, ich bin ganz ehrlich", setzt Frank Schröter zu sprechen an. Er macht eine Atempause. Als er seinen Satz vollenden will, verändert sich sein Gesichtsausdruck: "Was wollte ich denn jetzt sagen?", fragt er verunsichert. Es fällt ihm nicht mehr ein. Frank Schröter hat Demenz. Er ist 48 Jahre alt, die Krankheit ist eine Folge seiner HIV-Infektion.
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Das HI-Virus wurde 1999 bei Schröter festgestellt. Für den damals 35-Jährigen war es der Beginn einer Leidensgeschichte. Er magerte auf 33 Kilo ab, noch heute ist er sehr dünn. Seit dieser Zeit sitzt er im Rollstuhl, wurde zum Pflegefall, konnte nicht mehr arbeiten. Vor seiner Erkrankung war Schröter Koch und hatte sein eigenes Bistro. Und heute? "Ich kann gar nichts mehr, nicht mal mehr kochen", sagt er.
Nach der Diagnose lernt Schröter seinen Lebensgefährten kennen: Er zieht mit dem heute 47-jährigen Michael Karge, der ihn von da an tagtäglich pflegt, in eine gemeinsame Wohnung. "Sonst war keiner da", erklärt Karge, der in seine Rolle als Pfleger erst hineinwachsen musste. "Es hat sich dann langsam so eingependelt." Frank Schröter nimmt die Hand seines Lebensgefährten und sagt: "Er hat mich wieder aufgebaut damals. Ich bin froh, das ich ihn habe."
Dass die beiden heute noch zusammen sind, ist nicht selbstverständlich. Der behandelnde Arzte prognostizierte Schröter 2007 eine Lebenserwartung von vier Jahren. "Durch unseren Zusammenhalt haben wir schon viele geschenkte Jahre", sagt Karge. Das verdankt Schröter auch seiner Behandlung: Durch eine antiretrovirale Therapie gelang es, das HI-Virus unter Kontrolle zu bringen.
"Er ist ein Kämpfer"
Doch die aggressive Therapie kann nicht verhindern, was das Virus in Schröters Körper anrichtet. Es ist eigentlich zu viel für einen Menschen: Der 48-Jährige wird im Laufe der Erkrankung inkontinent, bekommt epileptische Anfälle und eine leichte Spastik. Eine Hepatitis schädigt seine Leber, eine Niere ist nicht mehr funktionsfähig. Schröter ist zittrig, ein leichter Tremor deutet sich an. Und doch: In seinen guten Momenten ist er lebhaft und lacht viel. "Er ist ein Kämpfer", sagt Karge.
Im Alter von 41 Jahren, 2006, wird bei Schröter Demenz festgestellt. Sie ist auf den kontinuierlichen Verlust von Nervenzellen zurückzuführen. Diese HIV-Enzephalopathie, also die krankhafte Schädigung des Gehirns durch die HI-Viren, ist nur bedingt einzudämmen. Es kommt zu Konzentrationsstörungen, das Erinnerungsvermögen ist eingeschränkt, die motorischen Fähigkeiten nehmen ab.
Schröter nimmt seine Demenz zwar bewusst wahr, aber über den konkreten Verlauf der Krankheit kann er nichts sagen. "Na ja, mein Gehirn, das ist kaputt", sagt er. "Weil es sich über so einen langen Zeitraum erstreckt, kann man gar nicht mehr sagen, was wann anfing", sagt auch Karge. Bemerkt er seine Krankheit bewusst, wird Schröter sehr unsicher und emotional, bezeichnet sein Leiden als "grausam".
Die häufigste Form von Demenz bei unter 40-Jährigen
Frank Schröter ist froh, wenn er sich ein bisschen Eigenständigkeit bewahren kann. Er weigert sich, neurologische Untersuchungen zu machen, weil ihm dann vor Augen geführt würde, wie weit die Demenz genau vorangeschritten ist. Die vierteljährige Kontrolle seiner Blutwerte wiederum ist für ihn selbstverständlich: "Also mit dem HIV komme ich gut klar. Ehrlich jetzt. Mit der Demenz nicht, die ist ekelhaft", fasst er zusammen.
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Demenz bei HIV-Patienten ist ein wachsendes Problem: Sie tritt öfter auf, auch weil die Betroffenen mittlerweile eine höhere Lebenserwartung haben. Wissenschaftler gehen davon aus, das die HIV-assoziierte Demenz, wie sie auch Schröter hat, die häufigste Form von Demenz bei unter 40-Jährigen ist.
Doch an Bewusstsein mangelt es laut Schröter bei den potenziell Betroffenen: "Die meisten wollen das nicht wahrhaben, besonders Leute mit HIV. Die ignorieren es." So schwer es für Schröter auch ist, mit seiner Krankheit zu leben - er redet darüber: "Es kann jeden treffen. Alle, die das abstreiten, machen sich lächerlich."