Volker Kohlschmidt fährt mit seinem Auto langsam durch das winterlich verschneite Örtchen Wewelsburg. An einem schmucken hölzernen Hinweisschild drosselt er die Geschwindigkeit weiter und biegt rechts ab. "Zum Mahnmal" ist dort eingraviert. Um das Schild habe man lange kämpfen müssen, erzählt der Diplompädagoge. Den meisten Menschen in dem Stadtteil von Büren, ein paar Kilometer südwestlich von Paderborn gelegen, war jede Erinnerung an das ehemalige Konzentrationslager lästig. Dessen Gelände liegt mitten im Ort, ein paar Gebäude stehen noch. Das ehemalige KZ-Torhaus wird heute als Wohnhaus genutzt. Als wäre nie etwas gewesen.
Die Wewelsburg, Anfang des 17. Jahrhunderts im Stile der Weserrenaissance errichtet, ist eine der wenigen Dreiecksanlagen in Deutschland. Foto: Kreismuseum Wewelsburg
In Wewelsburg, hoch über dem Tal der Alme gelegen, einem Nebenfluss der Lippe, liegen Schrecken und Schönheit eng beieinander. Die Burg, die dem Ort seinen Namen gab, ist eigentlich keine Burg, sondern ein Schloss - der Paderborner Erzbischof Dietrich von Fürstenberg ließ es zwischen 1603 und 1609 als Nebenresidenz errichten. Vorgängerbauten gab es bereits in der Karolingerzeit sowie im 12. Jahrhundert. Diese wiesen aber noch nicht die charakteristische Dreiecksform auf, für die die Wewelsburg bis heute berühmt ist. Im 19. Jahrhundert kam die Anlage in preußischen Besitz, ehe der Landkreis Eigentümer wurde und unter anderem eine Jugendherberge einrichtete.
###mehr-artikel###Dann kam Heinrich Himmler. Der "Reichsführer SS" und enge Hitlervertraute "hat Ostwestfalen als germanisches Stammland gesehen", erläutert Kohlschmidt. Er pachtete 1934 die Wewelsburg, um sie zum ideologischen Zentrum seiner Schutzstaffel auszubauen. Nach Plänen des Architekten Hermann Bartels (1900-1989), der sich nach dem Krieg nicht einmal an die Existenz eines KZ erinnern wollte, wurde die Schlossanlage zur SS-Ordensburg umgestaltet, in der Nähe entstanden zudem zwei Verwaltungsgebäude, Bartels ließ sich eine eigene Villa errichten. Auf der Wewelsburg sollten regelmäßig die SS-Gruppenführertreffen stattfinden – doch nur ein einziges Mal fand die Begegnung der Generäle tatsächlich hier statt, im Juni 1941 kurz vor Beginn des Russlandfeldzuges.
Arbeit, Hunger, Folter, Tod
Für die Bauarbeiten waren Arbeitskräfte notwendig. Sie hatten in zwei Steinbrüchen unterhalb der Wewelsburg Steine zu klopfen. Zunächst wurde der Reichsarbeitsdienst eingesetzt. 1939 richtete man vor Ort ein eigenes Konzentrationslager ein – übrigens das einzige im heutigen Nordrhein-Westfalen. Benannt wurde das KZ nach dem Flurnamen Niederhagen, um den Begriff "Wewelsburg" zu umgehen. Es war zunächst ein Außenlager von Sachsenhausen, dann selbstständig. Rund 3.900 Männer waren hier inhaftiert, mindestens 1.285 von ihnen starben: Tod durch Arbeit, Hunger, Folter, Erhängen - oder durch die Gewehre der SS-Männer am Schießstand am Rande Wewelsburgs. Die meisten Opfer stammten aus der Sowjetunion und Polen.
Volker Kohlschmidt (51) arbeitet als Diplompädagoge für den evangelischen Kirchenkreis Paderborn und ist Vorsitzender des Vereins "Gedenktag 2. April in Wewelsburg". Foto: Verein
In der Dauerausstellung "Ideologie und Terror der SS" lassen sich die Leidensgeschichten der Häftlinge nachvollziehen. Bei eisigen Temperaturen mussten sie in dünner Sträflingskleidung zum Morgen- und Abendappell antreten. "Das war ungefähr wie eine Schafherde", berichtet ein KZ-Insasse namens Gerhard Claus. "Jeder wollte in die Mitte rein." Und bei Zbigniew Jaworski stockt die Erinnerung, wohl aus Selbstschutz: "Ich sehe alles wie im Nebel. Wenn ich lange überlege, bewegen sich Gestalten in diesem Nebel. Weiter komme ich nicht." Die beeindruckende Schau mit zahlreichen historischen Dokumenten und Zeitzeugenberichten ist seit 2010 völlig neu konzipiert in einem Wachgebäude neben dem Schloss zu sehen.
Burg zerstört, Häftlinge befreit
"Jene, die in mehreren Lagern waren, sagten: Wewelsburg war das härteste", berichtet Volker Kohlschmidt. Der 51-Jährige arbeitet als Jugendreferent für den evangelischen Kirchenkreis Paderborn und ist Vorsitzender des Vereins "Gedenktag 2. April in Wewelsburg – Verein wider das Vergessen und für Demokratie". Am 2. April 1945 befreiten US-Soldaten die verbliebenen KZ-Häftlinge. Zwei Tage zuvor hatte ein SS-Scherge auf Befehl Himmlers Feuer in der Wewelsburg gelegt, Schloss und umliegende Gebäude brannten vollständig aus. Wenige Jahre später begann der Wiederaufbau, in der Anlage wurde erneut eine Jugendherberge eingerichtet.
Das Mahnmal für die Opfer des KZ Niederhagen, nur wenige hundert Meter von der Wewelsburg entfernt. Von den knapp 4.000 Häftlingen starben mindestens 1.285. Foto: Verein
Wie andernorts auch, ruhte die Geschichte in Wewelsburg viele Jahre lang – erst um 1975 begann eine Diskussion um eine mögliche Gedenkstätte für die Opfer des Terrors. 1982 entstand eine erste Dokumentation im Wachgebäude mit dem Titel "Kult und Terror der SS". 1997 gründeten Jugendliche aus dem Dorf eine Arbeitsgruppe und organisierten im Jahr darauf eine erste Gedenkfeier, zu der auch mehrere Überlebende kamen. Auf deren Wunsch hin wurde ein Mahnmal entworfen und im Jahr 2000 eingeweiht. Ein Rasenstück auf dem ehemaligen KZ-Appellplatz birgt ein Steinmosaik, das von Leisten mit Inschriften eingefasst ist. "Der Stein ähnelt jenem, den die Häftlinge abbauen mussten", so Kohlschmidt. Das Mosaik hat die Form eines Dreiecks – wie die nahegelegene Wewelsburg, aber auch wie das Stoffdreieck, das zur Kennzeichnung der Häftlinge verwendet wurde.
###mehr-links###Im Kampf um die Erinnerung stieß der Verein immer wieder vor Hürden. So sollte eine Straße in einem Neubaugebiet, das an das ehemalige KZ-Gelände grenzt, nach Günter Ransenberg benannt werden – der 15-jährige jüdische Junge hatte einen Schneeball auf ein "arisches" Mädchen geworfen und war dafür im April 1942 auf der Wewelsburg hingerichtet worden. Doch die Anwohner wollten keine Günter-Ransenberg-Straße. Sie wurde schließlich nach Dietrich Bonhoeffer benannt. Die alljährliche Gedenkveranstaltung am Mahnmal ist aus der örtlichen Erinnerungsarbeit inzwischen aber nicht mehr wegzudenken. Prominente Redner werden jeweils am 2. April eingeladen – in diesem Jahr spricht der ehemalige westfälische Präses Alfred Buß.
Josef Glahé: Todesgrauen im KZ ("Gefesselt"), um 1950, nach der Restaurierung. Das Bildnis spielt im ZDF-Fernsehgottesdienst am Sonntag eine wichtige Rolle. Foto: Hellmeier/Friedenberger, Kreismuseum Wewelsburg
Der Gottesdienst am Sonntag findet nicht in einer Kirche statt, sondern im Burgsaal der Wewelsburg, einem großen, festlichen Raum, der sonst für Ausstellungen und Konzerte genutzt wird. Der Holocaust-Gedenktag erinnert an die Befreiung des KZ Auschwitz am 27. Januar 1945. Die Feier auf der Wewelsburg, die im ZDF live von 9.30 bis 10.15 Uhr übertragen wird, wurde seit März vergangenen Jahres in Zusammenarbeit mit Elke Rudloff von der evangelischen Rundfunkarbeit vorbereitet. Das Leitwort: "Verwandelt und frei" – ein Ort wagt trotz seiner schrecklichen Vergangenheit erinnernd einen neuen Anfang. Es geht nicht um Schuld, aber: Die Verantwortung bleibt. Dieser Satz, von Jugendlichen in Buchstaben dargestellt, stand im Mittelpunkt einer der Gedenkfeiern der vergangenen Jahre.
Die Predigt beim Gottesdienst hält die Paderborner Superintendentin Anke Schröder. Zu den Mitwirkenden gehört auch Volker Kohlschmidt – das Bild "Gefesselt" des Bürener Malers Josef Glahé, so viel verrät er vorab, wird in der Feier eine wichtige Rolle spielen. Es zeigt einen gefesselten Sträfling vor dem Hintergrund der Wewelsburg. Eine Kopie des Bildes hängt heute im Gedenkraum unter dem Obergruppenführersaal im Nordturm des Schlosses. Für den musikalischen Rahmen ist die Abdinghof-Capella unter Leitung von Martin Hoffmann zuständig, Solisten sind Yang Hee Cho (Sopran) und Judith Hoffmann (Flöte). Nach dem Gottesdienst besteht für die Zuschauer ein telefonisches Gesprächsangebot unter der Nummer (01803) 67 83 76.
Buchhinweise:
Volker Kohlschmidt/Robert Gündchen (Hg.): so fern und doch so nah... Wider das Vergessen (Veröffentlichungen des Vereins "Gedenktag 2. April in Wewelsburg - Verein wider das Vergessen und für Demokratie e.V.", Bd. 1), 2012.
Jan Erik Schulte (Hg.): Die SS, Himmler und die Wewelsburg (Schriftenreihe des Kreismuseums Wewelsburg, Bd. 7), Paderborn 2009.