Das tragische Ende eines Internet-Freiheitskämpfers

Foto: dpa/Sage Ross
Aaron Swartz.
Das tragische Ende eines Internet-Freiheitskämpfers
Der Tod von Aaron Swartz hat die Internetgemeinde aufgewühlt. Der 26-jährige US-Amerikaner galt als einer der genialsten Programmierer des World Wide Web - und agierte dabei oft am Rande oder jenseits der Legalität. Kurz vor einem Strafprozess, bei dem ihm eine hohe Haftstrafe drohte, nahm sich Swartz das Leben.

Ihre Tränen mochten die meisten Trauergäste am Dienstagmorgen in einer Synagoge im Örtchen Highland Park im US-Bundesstaat Illinois nicht verstecken. Ebensowenig machten sie aus ihrer Wut einen Hehl. "Aaron hat sich umgebracht, die Behörden haben ihn in den Selbstmord getrieben." So lässt sich die Stimmung zusammenfassen, die auf der Begräbnisfeier herrschte.

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Der engste Familienkreis von Aaron Swartz – seine Eltern, seine beiden jüngeren Brüder und seine Lebenspartnerin – hatten schon am Wochenende mit einer Erklärung auf die Lebensumstände des Verstorbenen verwiesen: "Aarons Streben nach sozialer Gerechtigkeit war tiefgründig und definierte sein Leben", hieß es da. "Er trug entscheidend zur Niederlage eines Internetzensurgesetzes bei. Er kämpfte  für ein demokratischeres, offeneres  und durchsschaubareres politisches System." Sein Tod sei keine einfache persönliche Tragödie gewesen, sondern "das Produkt eines Strafrechtssystems voller Einschüchterung und staatsanwaltschaftlichem Übereifer". Entscheidungen, die Staatsbeamte und Universitätsangestellte getroffen hatten, seien mitverantwortlich für den Tod von Aaron Swartz.

Schon kurz nach Bekanntwerden des Freitods des 26-jährigen Swartz in seiner Brooklyner Wohnung am Freitag hatte sich die Nachricht in der Onlinewelt und nicht nur dort wie ein Lauffeuer verbreitet. Der junge Mann hatte sich erhängt. Er war eine treibende Kraft für den freien Zugang zu Informationen im Internet. Als Hacker stand er im Visier der US-Bundesbehörden. Und ihm drohten jahrzehntelange Haft sowie eine gigantische Geldstrafe. Der Prozess gegen ihn sollte am 1. April beginnen. Gleichzeitig litt Swartz an Depressionen.

Zerzaustes Haar, gewinnendes Lächeln

Der gut aussehende Aaron mit dem oft zerzausten Haar und einem gewinnenden Lächeln war vor allem der jungen Generation in den USA und darüber hinaus kein Unbekannter. Denn wer schon als Kind mit dem Internet aufgewachsen ist und sich ein wenig mit der Politik und den technischen Möglichkeiten des WWW befasst hat, dem ist der Name des jungen Mannes nicht entgangen. Schon mit 14 Jahren war er als neugieriger Teeanger daran beteiligt, den technischen Standard RSS ("Really Simple Syndication") mitzuschreiben, eine Art Gratis-Nachrichtenticker mit Updates von Webseiten. Sein Vater, ein Erfinder eines IBM-Betriebssystems, hätte seinen Sohn gerne an der kalifornischen Eliteuniversität Stanford reüssieren sehen – doch der brach nach einem Jahr ab, um seine eigenen Wege zu gehen.

Seit gut zehn Jahren gehörte der Programmierer zu den festen Größen in der Netzwelt. Vor sechs Jahren stieß er zu den Gründern der Social-News-Webseite Reddit und half, sie zu verfeinern.  Darauf geben Nutzer Hinweise auf Interessantes und Lesenswertes.  Durch sein kurzes Leben zog sich offenbar die Überzeugung, Informationen müssten frei zugänglich sein. Er arbeitete an dem Lizenzmodell "Creative Commons". Mit der gemeinnützigen Organisation, die für  freie Inhalte sorgen will, können Autoren von Text, Bild und Ton der Öffentlichkeit Nutzungsrechte einräumen.

Ein Einzelkämpfer

Dabei fühlte sich das Wunderkind des Internet auch zum Einzelkämpfer berufen, der seine eigene virtuelle Befreiungsbewegung darstellt. Swartz hackte sich illegal in die Justizdatenbank Pacer ein und "befreite" sie. Er stellte die Dateien nach Umgehung der Bezahlschranke ins Internet. Vor zwei Jahren "befreite" Swartz fast fünf Millionen wissenschaftliche Artikeln der digitalen Bibliothek  JSTOR mithilfe eines eingeschmuggelten Laptops im Bostoner Massachusetts Institute of Technology (MIT) – was ihm zum Verhängnis wurde.

Denn obwohl das MIT nach längerem Zögern von einer Klage absah, ließ die Bundespolizei FBI, die sich schon im JSTOR-Fall an die Fersen von Swartz gehängt hatte, nicht ab. Die Justiz wollte ihn unbedingt hinter Gitter bringen, unter anderem wegen Betrugs und Datendiebstahls in besonders schweren Fällen. Laut seinen Anwälten hätte Aaaron Swartz mit einer drakonischen Gefängnisstrafe von bis zu 35 Jahren und einer Strafzahlung von einer Million Dollar rechnen müssen.

Hacker legen aus Protest Webseiten lahm

Die Vorwürfe seien "außerordentlich harsch“ für eine Straftat ohne Opfer gewesen, kritisierten die Angehörigen in ihrer Erklärung. Die Reaktionen der Netzgemeinde reichen von Betroffenheit über Empörung bis hin zur Ankündigung von Rache. Das Hackerkollektiv "Anonymous" geißelte in einer Online-Erklärung die Klage als "groteske Verdrehung von Justiz" und legte mehrere MIT-Webseiten lahm. Aus Solidarität und zum Gedenken an Aaaron Swartz stellten am Sonntag und Montag hunderte von Wissenschaftlern ihre Forschungsberichte über den Nachrichtendienst Twitter unter dem hashtag #pdftribute online.

Die Reaktionen von amtlicher Seite ließen nach dem Proteststurm im Internet die Sorge um Imageschäden und möglichst schnelle Schadensbegrenzung aufkommen. MIT-Präsident Rafael Reif gelobte am Sonntag eine umfassende Untersuchung und sprach sein Beileid aus. Während das US-Justizministerium und das FBI Kommentare ablehnten, ließ die Staatsanwaltschaft von Massachusetts sämtliche Anklagepunkte gegen Swartz am Montag einfach fallen – so, als wäre nichts gewesen.