Leben, Liebe, Freude, Hass, Eifersucht und Todesangst: Dies waren für den im Frühjahr 2010 verstorbenen Werner Schroeter "die wenigen total vertretbaren Gefühle". Und weil er diese Gefühle "in ihrer Totalität" entsprechend radikal auf die Leinwand übertragen hat, galt er zwar einst gemeinsam mit Fassbinder, Herzog und Wenders als aufregendster Vertreter des Jungen deutschen Films, kam aber nie über jenen Stellenwert hinaus, den ein extremer Kunstanspruch zwangsläufig mit sich bringt: Auf Festivals wurden sein Werk ("Palermo oder Wolfsburg", "Malina") vielfach preisgekrönt, in den Feuilletons fast hymnisch gefeiert; nennenswerte Zuschauerzahlen aber hat er nie erreicht.
Handlungsauslöser ist die Liebe
Bei Schroeters letztem Drama, einer Verfilmung des Romans "Para esta noche" des uruguayischen Schriftstellers Juan Carlos Onetti, mischt sich ins staunende Unbehagen angesichts einer mitunter exzessiv vorgeführten Gewalt auch Ärger. Die opulente, ungemein kraftvolle Bildgestaltung (Kamera: Thomas Plenert) wird konterkariert durch eine Tonspur, die die Wirkung der sorgfältig komponierten Optik fast zerschmettert: Eigentlich dürfte man die Qualität der Synchronisation nicht mal für ein Kinderhörspiel akzeptieren. Die Stimmen klingen durchgehend, als gehörten sie nicht zu den Figuren (was ja auch stimmt). Die Sprecherinnen und Sprecher übertreiben zudem mitunter derart, als wollten sie die Bilder an Plakativität noch übertreffen. Wenn Schroeter selbst die Übertragung seines Films ins Deutsche überwacht hat (wovon auszugehen ist), muss er diesen Effekt gewollt haben. Ein tieferer Sinn erschließt sich allerdings nicht.
Die Geschichte selbst hingegen ist eine grimmige Parabel. Onettis Nähe zum Existenzialismus etwa eines Camus ist unübersehbar; Kafka stand ebenfalls Pate. Immerhin verpasst Gilles Taurand, der den Roman adaptiert hat, der Hauptfigur ein Motiv. Bei Onetti stolpert der Held ohne Sinn und Verstand durch die fiktive Hafenstadt Santa Maria, die von einem anonymen Feind belagert wird. Taurands Handlungsauslöser ist die Liebe: Der einst gefeierte Widerstandskämpfer Ossorio (Pascal Greggory) kehrt eines Abends in die Stadt zurück, um seine Freundin zu retten. Im Hafen liegt ein Schiff, das allerdings nur eine handverlesene Anzahl von Passagieren am nächsten Morgen in die Freiheit bringen wird.
Auch wenn es Ossorio gelingt, zwei der begehrten Tickets zu bekommen: Schroeter lässt nie einen Zweifel daran, dass hier keiner lebend raus kommt. Die einen werden von der Cholera dahingerafft, die anderen zerfleischen sich beim Kampf um das Machtvakuum gegenseitig. Fein säuberlich unterscheidet der Film dabei zwischen Männern um Frauen: Erstere sind grundsätzlich bewaffnet und schießen auf alles, was sich bewegt, Zweitere ergeben sich resigniert ihrem Schicksal und werden daher ausschließlich als Opfer dargestellt. Die entsprechenden, mit Musik von Mozart, Liszt und Rossini unterlegten Bilder sind in ihrer Drastik zumindest fragwürdig: Es gibt diverse Folterszenen, und die Schauspielerinnen laufen im späteren Verlauf der Handlung vorwiegend halbnackt und blutbesudelt durch die Szenerie. Eine Frau wird erschossen, indem ihr der Mörder eine Pistole in den Mund steckt; das Bild des zerplatzenden Schädels könnte auch aus einem umstrittenen "Splatter"-Film stammen.
Aber Werner Schroeter wandelte schon immer auf einem schmalem Grat zwischen totalem Kunstanspruch auf der einen und grotesken opernhaften Übertreibungen auf der anderen Seite. Die Jury der Filmfestspiele von Venedig sah bei "Diese Nacht" vor allem die Kunst und ehrte den Regisseur für sein "innovatives, kompromissloses und oft provokantes" Werk mit dem Spezialpreis.