Es ist schon seltsam, dass ausgerechnet über Konrad Adenauer, immerhin der prägende Politiker der jungen Bundesrepublik, noch nicht ein langer Film gedreht worden ist. Ein Grund dürfte sein, dass sein ereignisreiches Leben jedes filmische Format sprengen würde. Eine der größten Herausforderungen für Drehbuchautor Werner Biermann dürfte daher die Frage gewesen sein, wie er diese Biografie, in deren Höhen und Tiefen sich auch die Geschichte des Landes spiegelt, innerhalb von nur neunzig Minuten erzählen kann. Er bedient sich eines dramaturgischen Kniffs, mit dem Dokudramen dieser Art, Mischungen also aus Interviews, zeitgenössischem Material und Spielszenen, gern arbeiten: Der Film beginnt mit den "Stunden der Entscheidung" aus dem Titelzusatz, dem Tag des Mauerbaus, als Adenauer unerklärlich lange zögert, nach Berlin zu reisen, und blendet dann 28 Jahre zurück.
Adenauer weigert sich, Hitler zu empfangen
Biermann und Regisseur Stefan Schneider ignorieren die ersten beiden Lebensdrittel des 1876 geborenen Politikers und setzen im Jahr 1933 an: Als die Nationalsozialisten die Macht ergreifen, wird Adenauer umgehend seines Amtes als Oberbürgermeister der Stadt Köln enthoben; er hatte sich geweigert, Adolf Hitler zu empfangen. Nach dem Krieg wird er von den Amerikanern wieder eingesetzt, um kurz drauf von den Briten erneut entlassen zu werden. Wenige Jahre später wird er als erster Bundeskanzler die Geschicke der jungen Republik lenken.
Es gab viele "Stunden der Entscheidung" während Adenauers Zeit im Bonner Palais Schaumburg, aber das Jahr 1961, als er aus Wahlkampfgründen nicht nach Berlin reiste, ist ein klug gewählter Einschnitt, denn er markiert den Anfang vom Ende einer großen Politikerkarriere. Nicht zuletzt auch dank der souveränen und eindrucksvollen Verkörperung durch Joachim Bißmeier vermeiden es Biermann und Schneider tunlichst, Adenauer zu verklären. Sein Machtkalkül ließ ihn durchaus über Leichen gehen, wenn es sein musste; auch in der eigenen Partei. Gegenentwurf zum Machtmenschen sind die privaten Szenen, in denen Carolina Vera als Auguste "Gussie" Adenauer ähnlich bemerkenswert gut spielt wie Bißmeier. Dritter im Bunde der prominenten Darsteller ist Johannes Zirner als Adenauers großer Widersacher, "Spiegel"-Chef Rudolf Augstein ("Der Alte muss weg"), der den Kanzler immer für gefährlich gehalten hat, am Ende aber anerkennen muss, dies sei der größte Politiker gewesen, dem er je begegnet sei.
Die Erinnerungen der mittlerweile hochbetagten Nachkommen Adenauers runden das Bild perfekt ab. Gerade diese sehr persönliche Ebene sorgt zudem dafür, dass man auch dann Anknüpfungspunkte findet, wenn es keinen eigenen biografischen Bezug gibt; schließlich muss man mindestens sechzig sein, um sich politisch bewusst an die 1963 durch seine Parteifreunde beendete Ära Adenauer zu erinnern. Trotzdem fasziniert der Film, und das auf allen Ebenen, weil Biermann und Schneider die denkbar spannendste Form von Geschichtsunterricht bieten; immerhin betrafen die einschneidenden Momente der deutschen Historie damals, zur Zeit des Kalten Krieges, immer gleich auch die ganze Welt.