Eigentlich war 2012 für die Muslime in Deutschland ein gutes Jahr: Die vom Staat geförderten Islamischen Zentren an den Hochschulen nehmen Gestalt an. In Nordrhein-Westfalen gibt es mit dem neuen Schuljahr islamischen Religionsunterricht als reguläres Lehrfach. Und in Hamburg haben Senat und muslimische Gemeinschaften erstmals einen Staatsvertrag abgeschlossen. Anders allerdings die öffentliche Wahrnehmung, die weiter von Stereotypen und Feindbildern geprägt ist.
Insbesondere die Reaktionen auf den im Internet veröffentlichte Mohammed-Schmähfilm, der Ausschreitungen in zahlreichen islamischen Ländern zur Folge hatte, hat Ressentiments gegen Muslime geschürt. Der Mord am US-amerikanischen Botschafter in Libyen, gewalttätige Proteste in Pakistan und die brennende deutsche Botschaft im Sudan erschütterten das Verhältnis zwischen Muslimen und der westlichen Welt.
Politischer Wille zur Integration
"Die allgemeine Wahrnehmung der Muslime in Deutschland hat sich 2012 verschlechtert, die Islamophobie hat zugenommen", sagt der Geschäftsführer des Erlanger Zentrums für Islam und Recht in Europa EZIRE, Jörn Thielmann. Nach einer aktuellen repräsentativen Erhebung des Instituts für Demoskopie Allensbach assoziierten rund 70 Prozent der Befragten mit dem Islam Fanatismus und Radikalität. Nur sieben Prozent der befragten Deutschen verbanden den Islam mit Offenheit und Toleranz.
Die radikale Splittergruppe der Salafisten, die laut Verfassungsschutz rund 3.800 Anhänger in Deutschland hat, hat das Bild der Muslime in Deutschland geprägt. Wochenlang hatten sie in deutschen Innenstädten Koranausgaben verteilt und missioniert. Bei einer Demonstration in Bonn gegen die rechtsextreme Splitterpartei Pro NRW kam es schließlich zu Ausschreitungen zwischen Salafisten und Polizei. Mehrere Beamte wurden teils schwer verletzt.
Demgegenüber steht der politische Wille zur Integration. Im Januar 2012 ging in Tübingen das erste von vier Zentren für Islamische Theologie offiziell an den Start. Die Zentren in Erlangen-Nürnberg sowie am Doppelstandort Osnabrück-Münster folgten. Insgesamt stellt der Bund für den Aufbau der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Islam sowie der Ausbildung von Lehrern für islamischen Religionsunterricht rund 20 Millionen Euro zur Verfügung.
Islamische Feiertage im Staatsvertrag
Auch im Blick auf den islamischen Religionsunterricht war 2012 ein erfreuliches Jahr: In Nordrhein-Westfalen wird seit Beginn des Schuljahres islamischer Religionsunterricht an mehreren Grundschulen unterrichtet - mit Noten und auf Deutsch, dem katholischen und evangelischen Religionsunterricht vergleichbar. Modellversuche gibt es darüber hinaus in fast allen westdeutschen Bundesländern. In Bayern besuchten 2012 etwa rund zehn Prozent aller muslimischen Kinder einen islamischen Religionsunterricht. In Hessen wurden Verhandlungen mit der türkischen DITIB und dem Ahmaddiyya-Verband als Kooperationspartner für ein reguläres Schulfach abgeschlossen, im Sommer 2013 soll es losgehen.
Als erstes Bundesland überhaupt unterzeichnete 2012 der Senat Hamburg mit der den muslimischen Verbänden DITIB, Schura und dem Islamischen Verband der Kulturzentren sowie den Aleviten einen Staatsvertrag. Darin geregelt sind unter anderen die Gleichstellung von islamischen mit christlichen Feiertagen sowie die Bestattung nach islamischem Ritus. Bremen will im kommenden Jahr mit einem ähnlichen Vertrag nachziehen. Und in Baden-Württemberg will die Landesregierung den Muslimen einen Sitz im SWR-Rundfunkrat geben.
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Unterdessen blieb die Deutsche Islamkonferenz, die unter den früheren Bundesinnenministern Wolfgang Schäuble und Thomas de Maizière (beide CDU) wichtige Akzente setzte, 2012 ein zahnloser Tiger. Die Spannung zwischen Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) und den muslimischen Verbänden war kaum übersehbar. In einem "Bild"-Interview hatte Friedrich viel Porzellan zerschlagen. Seine Aussage, 20 Prozent der Muslime seien integrationsunwillig, wurde heftig kritisiert. Grund für die Verstimmungen war aber auch eine vom Innenministerium initiierte Plakataktion gegen islamistische Radikalisierung von Jugendlichen.
Wie falsch Friedrich liegen sollte, zeigen in diesem Zusammenhang wohl auch die Reaktionen auf das islamfeindliche Mohammed-Video in Deutschland. Die Diskussion über ein mögliches Verbot verlief in demokratischen Bahnen. Zwar gingen auch in Freiburg, Münster und Cuxhaven zahlreiche Muslime gegen den Schmähfilm auf die Straße. Die Proteste blieben jedoch allesamt friedlich. Gewaltbereite Salafisten sind in Deutschland nach wie vor eine kleine Minderheit.