"Antisemitismus wird salonfähig"

Foto: epd/Daniel Peter
Der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern, Josef Schuster.
"Antisemitismus wird salonfähig"
Der Vize-Präsident des Zentralrates der Juden, Josef Schuster, befürchtet, dass antisemitische Ressentiments in der Breite der Bevölkerung wieder salonfähig werden. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) kritisierte der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern zudem die Ermittlungsbehörden: Auch wenn sie auf dem rechten Auge vielleicht nicht blind seien, so sei eine Verbesserung der Sehschärfe doch dringend nötig.
27.12.2012
epd
Daniel Staffen-Quandt

Angela Merkel hat gesagt, es gebe ein großes Maß Antisemitismus in Deutschland. Sehen Sie das auch so?

Josef Schuster: Diese Aussage der Bundeskanzlerin fand ich bemerkenswert. Dass es Antisemitismus in Deutschland und in anderen Ländern gibt, das ist eine Tatsache. Dass einer Studie zufolge 20 Prozent der Deutschen antisemitische Vorurteile haben, ist ebenfalls bekannt. Und trotzdem war ich teilweise erschrocken, was während der Beschneidungsdebatte so zwischen den Zeilen und in Internetforen alles zutage getreten ist. Das war ein Umfang und eine Vehemenz an antisemitischen Äußerungen, den ich mir bis dahin in Deutschland nicht vorstellen konnte.

Es gab mehrere antisemitische Übergriffe in diesem Jahr. Sind die Täter immer aus dem rechtsextremen Spektrum?

Schuster: Es ist nicht überraschend, dass solche Übergriffe meistens Menschen begehen, die rechtsradikal oder antijüdisch eingestellt sind. Der Nährboden für diese Übergriffe ist Antisemitismus - und der geht quer durch die ganze Bevölkerung. Antisemitische Äußerungen wie "Man wird doch mal sagen dürfen ..." in der Beschneidungsdebatte haben einmal mehr gezeigt, dass Antisemitismus keine Frage von Status oder Bildung ist. Er wird auch auf den Champagner-Empfängen zunehmend wieder salonfähig. Das ist gefährlich und sehr erschreckend.

"Zunächst ist es Erschrecken, dann Unverständnis."

Dazu zählt sicher auch der Fall des Berliner Taxifahrers ...

Schuster: ... der sich geweigert hat, Fahrgäste zu einer Synagoge zu fahren. Klar, man kann sagen, das tut einem ja nicht weh, das ist keine physische Gewalt. Aber die Vorstellung, dass ein Taxifahrer - der einer Beförderungspflicht unterliegt - sich weigert, augenscheinlich jüdische Fahrgäste zu fahren, ist für mich mehr als nur schlimm ...

Was kann man gegen diesen fest verwurzelten Antisemitismus in der Breite der Bevölkerung tun?

Schuster: Wenn ich ein Allheilmittel kennen würde, hätte ich schon alles dafür getan, die Verbreitung des Antisemitismus zurückzudrängen. Ich denke, das A und O ist, schon im schulischen und vorschulischen Bereich mit Aufklärung zu beginnen. Kein Mensch wird als Antisemit oder Rassist geboren. Solche Vorurteile entwickeln sich erst irgendwann im Laufe des Lebens. Je früher man hier gegensteuert, desto wirksamer.

Der Tiefpunkt der Übergriffe war der Überfall auf Rabbiner Daniel Alter in Berlin. Was geht in Ihnen vor, wenn Sie so etwas hören?

Schuster: Zunächst ist es Erschrecken, dann Unverständnis. Gerade in diesem Fall bin ich besonders irritiert, weil es auch Monate nach dem Überfall noch keine definitiven Hinweise auf die Täter gibt. Es gibt vage Hinweise auf Täter arabischer Herkunft, aber das ist nicht gerade viel. Man muss sich schon fragen, ob hier mit dem notwendigen Nachdruck ermittelt wird und wurde.

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Sind die Ermittlungsbehörden aus Ihrer Sicht nicht nur auf dem rechten Auge blind, sondern auch auf dem antisemitischen?

Schuster: Dass Ermittlungen im rechtsradikalen Spektrum offenbar nicht mit der gleichen Konsequenz betrieben wurden wie in anderen Milieus, das hat ja leider die Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) gezeigt. Die Ermittlungen sind dort ganz gezielt in eine Richtung gelenkt worden, es gab massive Versäumnisse beim Verfassungsschutz in den Ländern. Insofern: Es bedarf zumindest einer Verbesserung der Sehschärfe auf dem rechten und antisemitischen Auge.

Die Aufgeregtheit der Beschneidungsdebatte ist spätestens seit der Abstimmung im Bundestag vorbei. Was hat Sie daran am meisten gestört?

Schuster: Die zum Teil unsachliche Argumentation - auch von Leuten, von denen ich es nicht erwartet hätte. Es gibt selbstverständlich auch Argumente, die gegen eine Beschneidung sprechen. Dass dieses Für und Wider abgewogen wird, das ist in Ordnung. Eine solche abwägende Stellungnahme hat etwa der Deutsche Kinder- und Jugendschutzbund abgegeben. Damit kann ich gut leben, auch wenn sie sich tendenziell gegen eine Beschneidung gewandt hat.

Auf der anderen Seite habe ich erlebt, wie der Verband der Kinder- und Jugendärzte teilweise ziemlich unsachlich debattiert hat. Da wurde Juden vorgeworfen, sie würden Kinder bewusst verletzten, schädigen und quälen - das war daneben.

"Alles spricht für eine gefestigte Demokratie."

Hatte die Debatte eher antijüdische Untertöne - oder ging es im Kern nicht vielmehr gegen die Religionsfreiheit an sich?

Schuster: Primär ging es gegen einen Brauch des Islam - aber damit auch automatisch gegen ein Religionsgesetz der Juden. Die christlichen Kirchen in Deutschland haben allerdings schnell erkannt, dass es bei der Diskussion um viel mehr geht als nur um die Beschneidung, sondern um die Religionsfreiheit an sich. Die laizistischen Gruppen in den einzelnen Parteien haben sich gegen die Freiheit der Religionsausübung gestellt. Dass sich die christlichen Kirchen hier mit den Juden und den Moslems solidarisiert haben, war eine gute und notwendige Entscheidung.

Haben Sie generell das Gefühl, dass die christlichen Kirchen den jüdischen Gläubigen genug Rückendeckung geben?

Schuster: Das ist von Region zu Region und von Thema zu Thema sehr unterschiedlich. Aus meiner Erfahrung heraus würde ich sagen, dass die christlichen Kirchen in Deutschland diesbezüglich in den letzten Jahren eine sehr gute Entwicklung gemacht haben. Sie haben uns heute mehr im Blick und positionieren sich deutlicher als früher.

Das Eis, auf dem sich das neue jüdische Leben nach der Schoah in Deutschland entwickelt hat, ist aber doch sehr dünn, oder?

Schuster: So weit würde ich nicht gehen - allerdings habe ich mir vor einem Jahr auch noch nicht vorstellen können, dass so eine Debatte wie bei der Beschneidung auf uns zurollt. Natürlich gibt es noch mehrere Themen, die uns Juden die Ausübung unserer Religion erschweren könnten. Aber wir wollen jetzt mal keine schlafenden Hunde wecken ...

Manch einer zieht angesichts der Euro-Krise Parallelen zur Weimarer Republik. Haben Sie ähnliche Befürchtungen?

Schuster: Nein, keinesfalls. Die Situation heute mit der Weimarer Zeit zu vergleichen, das ist schon noch sehr weit hergeholt. Die deutsche Politik ist vielfältiger geworden, aber trotzdem stabil - das sieht man auch an neuen Parteien, die immer mal wieder aus dem Nichts auftauchen und schnell wieder verschwinden. Das alles spricht für eine gefestigte Demokratie - und nicht für irgendwelche Parallelen zur Weimarer Republik.

Wie ist das für Sie als jüdischer Repräsentant, wenn griechische Demonstranten Angela Merkel auf Plakaten mit Hitler vergleichen?

Schuster: Das finde ich schon problematisch, weil es historisch falsch und unangemessen ist. Dass man die heutige deutsche Regierung in irgendeiner Form mit der Regierung des Dritten Reiches vergleicht - das ist schlicht Blödsinn.