Im Ofen brutzelt eine Gans, auf dem Herd dampft ein Topf voller Rotkraut, und die Klöße warten darauf, ins siedende Wasser geworfen zu werden. Vorweihnachtszeit ist Gänsezeit. Wer im Advent zum Essen lädt, will etwas besonderes auf den Tisch bringen.
In vielen Haushalten ist das allerdings nicht möglich, kostet doch eine Gans nicht gerade wenig. Und wer kann sich schon leisten, andere zum Essen einzuladen, wenn das Geld gerade reicht, um alle im Haushalt satt zu machen und die nötigsten Anschaffungen zu tätigen. Menschen, die in solchen "prekär" genannten Haushalten leben, sind oft Kunden einer "Tafel". In ganz Deutschland werden an solchen Ausgabestellen gespendete Lebensmittel für wenig Geld oder kostenlos abgegeben. Doch nicht alle Tafelkunden können etwa mit frischem Gemüse etwas anfangen. "Es gibt Kunden, die hilflos vor einem Kilo Möhren stehen und nicht wissen, wie man sie zubereitet", sagt Astrid Schlumprecht, ehrenamtliche Helferin bei der Tafel in Bad Schwalbach (Rheingau-Taunus-Kreis/Hessen).
Etwas von dem zurückgeben, was man bekommen hat
Dass nun an diesem Donnerstag im Advent aus der Küche der Tafel in Bad Schwalbach der leckere Geruch einer bratenden Gans dringt, hat mit dieser Tatsache zu tun. Koch Martin Z. (alle Namen der Tafelkunden von der Redaktion geändert) leitet Interessierte an, wie man mit den Lebensmittelspenden der Tafel schmackhafte Mahlzeiten zubereitet.
So sieht es bei der Bad Schwalbacher Tafel aus, wenn die Kunden mit Martin Z. kochen. Foto: Lieselotte Wendl
"Seit über fünf Jahren bin ich Tafelkunde und möchte etwas von dem zurückgeben, was ich hier bekommen habe", begründet er sein Engagement. Die Zutaten für jedes Essen, das er plant, schreibt er ebenso wie die Anleitung zum Kochen auf. Jeder in der Gruppe bekommt den Plan, so dass er auch zu Hause danach kochen kann. Doch am liebsten kochen alle gemeinsam in der Gruppe. Denn aus dem Kurs hat sich längst eine Art Kochclub entwickelt, der sich wöchentlich trifft.
Und weil das Engagement, das auch einem Rollstuhlfahrer und einem Herrn in hohem Alter zu Kochkenntnissen verholfen hat, so groß ist, gibt es zum Adventsessen eine gespendete Gans, die normalerweise nicht in den Regalen der Tafel liegt.
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"Eigentlich koche ich nicht so gerne", gibt Andrea T. zu. Doch die Anregungen, die sie hier bekommt, und vor allem die Gemeinschaft in der Gruppe veranlassen sie immer wieder hierherzukommen. Zur Tafel kommt sie, weil "mich mit 63 ja niemand mehr nehmen wollte", nachdem sie ihre Tätigkeit im Marketingbereich verloren hatte. Das Ersparte hat sie aufgebraucht, nun reicht Hartz IV kaum, um die Kosten für Wohnung, Kleidung und Nahrung zu decken.
Auch der 57-jährige gelernte Metzger kocht nicht so gerne, schneidet aber mit Hingabe große Mengen Zwiebeln für die Soße und unterhält die ganze Gruppe mit kleinen Witzen. Ein 59-jähriger Mann ist dagegen eher der stille Typ. Er sitzt am Tisch und pult Krabben für die festliche Vorspeise, eine Krabbensuppe mit Dill und Gurke.
Gisela L. ist das Kochen für viele Menschen vertraut, ihre Eltern hatten eine Gaststätte. Sie selbst hat große Pläne, die sie mit ihrem derzeitigen Einkommen allerdings kaum verwirklichen kann: Einen Treffpunkt für Arbeitslose und alte Menschen zu gründen, wo man – ähnlich wie bei der Tafelgruppe – gemeinsam kocht und Geselligkeit findet. Doch sie gibt nicht auf. Eine Ausbildung zur Altenbegleiterin wird ihr demnächst hoffentlich eine Arbeitsstelle in einem Pflegeheim verschaffen.
Nur zehn Prozent der Anspruchsberechtigten kommen zur Tafel
In Bad Schwalbach im Taunus, wo die Tafel vom Diakonischen Werk Rheingau-Taunus verantwortet wird, werden derzeit 184 Haushalte versorgt. Dahinter verbergen sich 239 Erwachsene und 145 Kinder und Jugendliche. An zwei Tagen in der Woche erhalten sie bei der Tafel Lebensmittel, die in Supermärkten oder anderen Einzelhändlern aus verschiedenen Gründen aussortiert werden, aber noch zu verwenden sind.
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"Höchstens zehn Prozent derjenigen, die Anspruch hätten, kommen zu uns", sagt Claudia Kohlhaas, Leiterin des Diakonischen Werkes Rheingau-Taunus. Die Scham, diese Hilfe anzunehmen sei vor allem bei älteren Menschen groß, sagt sie. Die Nachkriegsgeneration schnalle lieber "den Gürtel enger", als um Hilfe zu bitten.
Die Tafel in Bad Schwalbach ist wie andere Tafeln auch ein professioneller Betrieb. In einem früheren Übernachtungsheim der Bahn hat das Diakonische Werk Rheingau-Taunus Räume ausgebaut, die eine lebensmittelgerechte Lagerung erlauben. Zirka 50 ehrenamtliche Helferinnen und Helfer sind eingesetzt, um die Waren bei den Händlern abzuholen, sie zu sortieren und schließlich an die Kunden auszugeben. Einige engagieren sich darüber hinaus, wie etwa bei der Kochgruppe, in einem Sprachcafé für Migranten oder bei Freizeiten für Kinder von Tafelkunden.
Der Tisch wird zum Adventsessen festlich gedeckt. Foto: Lieselotte Wendl
"Eigentlich", sagt Claudia Kohlhaas, "soll die Tafel eine Nothilfe sein". Doch die Not dauert an und ein Ende scheint nicht abzusehen. So sieht sie eine neue Generation verarmter Menschen heranwachsen, die durch unterbrochene Berufsbiografien und prekäre Arbeitsverhältnisse mit geringer Bezahlung keine Möglichkeiten zu eigener Vorsorge haben. Und solange dies so sei, seien auch die Tafeln weiterhin notwendig. Und so lange und vielleicht darüber hinaus wird sich auch die Kochgruppe treffen.
Die Gans ist fertig, die Klöße sieden im Wasser. Vor dem Essen wird der Tisch festlich gedeckt: Ein Adventsgesteck schmückt die Mitte, die Servietten sind liebevoll in Falten gelegt. "Da arbeitet man stundenlang, und dann ist alles in zehn Minuten aufgegessen", scherzt Andrea T. Doch es bleibt ja noch das Aufräumen der Küche. "Da drückt sich niemand drum", sagt Astrid Schlumprecht. Schließlich wird auch das gemeinsam gemacht, und solange alle helfen, ist immer auch Spaß dabei.