Der Talar: Abstandshalter oder Schutzkleidung?

Was spricht für - und was gegen das Tragen eines Talars?
Foto: Dirk Freder/iStockphoto
Was spricht für - und was gegen das Tragen eines Talars?
Der Talar: Abstandshalter oder Schutzkleidung?
Zwei Meinungen zum liturgischen Gewand
Im Schwerpunkt "Schöne Pfarrer" beschäftigt sich evangelisch.de ausnahmsweise mit den 'Äußerlichkeiten' des Pfarramts: Körper, Kleidung, Mode und Amtstracht. Wie schön darf eine Pfarrerin oder ein Pfarrer sein? Zum Talar als liturgischer Kleidung im Gottesdienst gibt es durchaus unterschiedliche Meinungen. Wir stellen zwei davon vor: Anja Neu-Illg trägt keinen - und findet das auch gut so. Klaus Raschzok steht zum schwarzen Talar, sieht ihn aber gerne auch mal kontrastiert von der weißen Albe mit farbiger Stola.
05.12.2012
Anja Neu-Illg und Klaus Raschzok

Der Talar schafft Abstand

von Anja Neu-Illg, Pastorin

Anja Neu-Illg ist Pastorin an der Kreuzkirche Hamburg-Eimsbüttel (Baptisten) und Trainerin für Bibliolog, Partnerschaftliche Kommunikation (EPL) und Seelsorge und Beratung.

Manchmal wünschte ich, ich könnte mir am Sonntagmorgen einfach einen Talar überwerfen und gut wäre es. Dann wäre diese ewige Frauenfrage endlich vom Tisch: Was ziehe ich bloß an? Ich hab' nichts im Schrank! Andererseits, wenn ich das wirklich tun würde, mir einen Talar überwerfen, dann würde meine Gemeinde aber ganz schön Augen machen. Was ist das denn jetzt? Will sie was Besseres oder was ganz Anderes sein als wir?

Talar schafft Abstand. Abstand zwischen Laien und Klerikern wollen wir in unserer Freikirche aber nicht betonen. Ja, wir benutzen nicht mal das Wort 'Laien', den Begriff 'Kleriker' erst recht nicht. Und obwohl es ordinierte Pastorinnen und Pastoren gibt, wird das Priestertum aller Glaubenden sehr stark betont. Alle Gemeindemitglieder sind Geistliche.

Ich ziehe auch am Anfang des Gottesdienstes nicht feierlich ein, ich gehe zusammen mit den Gottesdienstbesuchern rein und wenn der Gottesdienst beginnt, bin ich schon da. Wenn die Gemeinde betet - sie tut das laut und frei - stehe ich meist nicht vorne, sondern in der Gemeinde, bei den anderen. Dass ich keinen Talar anziehe, bedeutet: Ich bin eine von euch. Auch wenn ich auf der Kanzel stehe.

Andererseits: Ich bin zwar eine von euch und habe doch besondere Aufgaben und werde auch mehr angeschaut als andere. Also: Was ziehe ich an? Meistens eher gedeckte Farben, oft schwarz-weiß. Ausschnitt? Ja, aber nicht zu tief. Die Leute sollen über meine Worte nachdenken, nicht über mein Dekolleté. Kurze Röcke, kurze Kleider? Auch das. Damit fühle ich mich wohl und man darf ruhig sehen, dass die Pastorin eine Frau ist, die einen Körper hat.

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Für Taufen habe ich ein schwarzes Kleid, das asymmetrisch geschnitten ist. Die Schneiderin sagte, das würde oft von Dirigentinnen gekauft. Das passt ganz gut, finde ich. Bei Hochzeiten? Jedenfalls sollte die Pastorin nicht schöner als die Braut sein. Beerdigungen?  Da ziehe ich dann auch mal einen Talar an, einfach damit mich alle Beteiligten als die Kirchenfrau erkennen und sich klar an meinen Bewegungen orientieren können. Einmal kam ich im Talar in die Friedhofskapelle und wollte mich dem Bestatter vorstellen: "Guten Tag, ich bin die Past… .“ Ja, das hatte er dann auch schon gesehen. Das ist ein echter Vorteil des Talars. Aber der Abstand, den er schafft, wäre mir für einen normalen Sonntag zu groß.

Manchen Kollegen hilft er wohl, in die Verkündigungsrolle hineinzugehen und auch wieder herauszufinden. Ich verstehe das Predigen eher als ein Gespräch mit dem Zu-Hörer. Es soll ein Gespräch auf Augenhöhe sein, darum ziehe ich mich nur ein bisschen anders an als meine Hörer.

Der Talar gewährt Sicherheit und Schutz

von Klaus Raschzok, Professor für praktische Theologie

Professor Dr. Klaus Raschzok ist Inhaber des Lehrstuhls für Praktische Theologe an der Augustana-Hochschule Neuendettelsau und ab 2013 Erster Vorsitzender der Marienberger Vereinigung für evangelische Paramentik e.V.

Seit 1811, als König Friedrich Wilhelm III. von Preußen für die protestantischen Geistlichen seines Territoriums den schwarzen Talar mit Beffchen zur Amtskleidung bestimmte, hat sich dieses Gewand in den evangelischen Kirchen des deutschsprachigen Kulturkreises zum Identitätssymbol entwickelt. Der Talar bestimmt bis heute das Erscheinungsbild der evangelischen Kirche in der Öffentlichkeit.

Für ihn spricht der historische Zusammenhang mit der talarähnlichen Schaube als Predigtkleidung der Reformation. Inzwischen ermöglichen die meisten deutschen Landeskirchen ihren Pfarrerinnen und Pfarrern sowohl das Tragen des Talars, als auch der Albe mit Stola.

Liturgische Kleidung gewährt denjenigen, die im Gottesdienst öffentlich die Feier der Gemeinde leiten und ihr bei der Verkündigung und der Austeilung der Sakramente gegenübertreten, Sicherheit und Schutz. Sie macht der Gemeinde gegenüber die liturgische Rolle sichtbar und bestätigt den zur Ausübung erforderlichen kirchlichen Auftrag. Diese Funktion der liturgischen Kleidung wird sowohl vom schwarzen Talar wie auch von der hellen Albe mit darüber getragener Stola erfüllt.

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Während der Talar die Körperbewegungen zurücktreten lässt, Gesicht wie Hände seiner Träger hervorhebt und damit seine spezifische Funktion vor allem in der Predigt erfüllt, unterstützen hellere liturgische Gewänder das Bewegungserleben und gewähren der Körperlichkeit der liturgischen Vollzüge stärkere Aufmerksamkeit. Die vom schwarzen Talar unterstützte Feierlichkeit der gottesdienstlichen Atmosphäre tendiert zur Konzentration und Ruhe, während die hellere liturgische Kleidung eine bewegte Freudigkeit und Fröhlichkeit im Gottesdienst fördert. Nimmt der schwarze Talar mit Beffchen beim geistlichen Amt seinen Ausgangspunkt, so kann die Albe als das mit der Taufe allen Christen verliehene Grundgewand verstanden werden.

Gottesdienstliche Funktionsträger tragen dann als Zeichen ihrer Taufe beim öffentlichen gottesdienstlichen Handeln die Albe, zum geistlichen Amt Ordinierte darüber hinaus als Zeichen ihres besonderen Auftrages zusätzlich die Stola. Durch die Albe gelangt somit deutlicher das Priestertum aller Getauften wie die in ihm begründete Einheit der verschiedenen liturgischen Dienste im Gottesdienst zur Darstellung. Die wesentliche Differenz zwischen Talar und Albe besteht für den evangelischen Gottesdienst im Wechsel von der stärker lehrmäßigen zur körperbezogenen Christus-Darstellung durch die Liturginnen und Liturgen. Der Talar ist ein Gewand für die solistisch wahrgenommene Predigerrolle. Überall dort, wo es stärker auf die Bewegungsdimension wie Interaktion der menschlichen Körper im Gottesdienst ankommt, erweist er sich als eher hinderlich.

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Von daher empfiehlt sich, bei der liturgischen Kleidung zwischen Gottesdienstformen, Kirchenjahreszeit und Anlässen zu unterscheiden: Klassisches Gewand für die normalen predigtbezogenen Sonntagsgottesdienste, für die Bestattung und für ökumenische Anlässe sollte der schwarze Talar bleiben. Zu Taufen, an den Christusfesten Weihnachten und Ostern und zur Feier des Abendmahls legt sich dagegen die helle Albe mit der farbigen Stola nahe, um die Festlichkeit und Fröhlichkeit des evangelischen Glaubens sichtbar zum Ausdruck zu bringen.