Sterbehilfe bei Tacheles: Es fehlt der Grundkonsens

EKD-Ratsvorsitzender Nikolaus Schneider im Gespräch mit den Teilnehmern der Tacheles-Sendung zu Sterbehilfe.
Foto: epd-bild/Jens Schulze
Sterbehilfe bei Tacheles: Es fehlt der Grundkonsens
Voll war's in der Marktkirche in Hannover, wo sich Moderator Jan Dieckmann mit seinen Gästen in der Talkshow "Tacheles" über Sterbehilfe unterhielt. "Organisierte Sterbehilfe – Segen für Leidende oder tödlicher Kommerz?" war das Thema, das die Meinungen spaltete.
18.11.2012
evangelisch.de

EKD-Ratsvorsitzender Nikolaus Schneider positionierte sich klar gegen Sterbehilfe, Niedersachsens Justizminister Bernd Busemann stellte sich zumindest gegen "geschäftsmäßige" Sterbehilfe. Auf der anderen Seite sprachen der Gründer der Sterbehilfe-Organisation "Dignitas" Ludwig Minelli und der Schweizer Theologe und Freitodbegleiter Walter Fesenbeckh, Mitglied von des Schweizer Sterbehilfevereins "Exit".

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Fesenbeckh machte den Anfang und schilderte den Fall einer gläubigen Frau, die freiwillig aus dem Leben schied. "Wir fragen nicht 'wollen sie jetzt endlich sterben'?" verdeutlichte Fesenbeckh, der als Freitodbegleiter das tödliche Gift brachte. Die Entscheidung zum Freitod müsse vom Menschen selbst kommen, vom ersten Schritt bis zum letzten. Zweimal fragte Fresenbeckh die Frau, ob sie wirklich sterben wolle. Dies bejahte sie, im Kreis ihrer Familie, nahm das Glas mit dem Gift selbst in die Hand und trank es. "Sie war innerhalb von anderthalb Minuten eingeschlafen, der Tod trat nach sieben, acht Minuten ein", schilderte Fesenbeckh.

"Gott überlassen, das Leben wieder zurückzunehmen"

Es war ein Auftakt zur Sendung, den das Publikum in Hannover still in Gedanken quittierte, eine Stille, die auch die Antwort von EKD-Ratschef Schneider nicht aufbrach. Er plädierte für das Leben, für das Vertrauen in das Geschenk Gottes, und dafür, Gott zu überlassen, das Leben wieder zurückzunehmen. "Es geht damit weiter, dass wir ja auch glauben, dass das Leben mit dem Tod nicht zu Ende ist, sondern dass Leben unsere Bestimmung ist. Also ist auch unsere Freiheit eine Freiheit zum Leben", erklärte der Ratsvorsitzende und widersprach seinem Theologen-Kollegen Fesenbeckh: "Ich würde es nicht so machen wie sie, dass ich dann ein Medikament besorgen würde."

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Nur zu einem erklärte sich Schneider bereit: Zur Seelsorge – auch in einer Situation, in dem jemand etwas tut, "was ich nicht für richtig halte". Denn: "Ich akzeptiere jeden Menschen, und ich kann auch in dieser Konstellation Vertrauen aufbauen und Menschen begleiten."

Nicht für richtig halten konnte man als Zuschauer auch die Tirade von "Dignitas"-Gründer Minelli. Der begann seinen Auftritt mit dem Vorwurf, die Kirche würde aus ökonomischen Gründen gegen die Selbsttötung argumentieren. Krankenhäuser und Hospize hätten schließlich ein Interesse an der Belegung ihrer Betten.

Die Verschwörungstheorien des Herrn Minelli

"Auf diese Idee würde niemand von uns kommen", antwortete ein sichtlich entrüsteter Schneider und bekam dafür dann Applaus vom Publikum. Kliniken und Hospize seien aus einem ganz anderen Motiv heraus gegründet worden: Aus dem Wunsch nach der Hilfe des Menschen.

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"Sie spekulieren über unsere Motive", warf Schneider den Verschwörungstheorien von Herrn Minelli entgegen – der ließ sich allerdings nicht abhalten. Seiner Meinung nach entstünden auch 500.000 Infektionen durch Krankenhauskeime in Deutschland aus wirtschaftlichen Gründen, und die Ärzte und Pharma-Industrie seien ohnehin grundsätzlich korrupt.

Auch Busemann war entrüstet über den Angriff auf die Kirche und sagte das deutlich. "Exit"-Vertreter Fresenbeckh brachte die Diskussion zurück auf die sachliche Ebene und bat darum, auf beiden Seiten keine unlauteren Absichten zu unterstellen. Auf der sachlichen Ebene ergab sich dann im Lauf der Sendung, dass "Dignitas" rund 5.000 Euro (6.000 Schweizer Franken) für die Sterbebegleitung verlangt.

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Die Tacheles-Sendung machte deutlich, dass die Vereinsstruktur von "Exit" und die kommerzielle Lösung von "Dignitas" zwei sehr unterschiedliche Modelle des begleiteten Suizids darstellen. Sterbebegleiter Fresenbeckh gab aus seiner Erfahrung zu bedenken, dass viele Angehörige auch bei einem eindeutigen Sterbewunsch dankbar seien, dass jemand anders das tödliche Mittel bringe. Er erklärte aber auch, dass ein begleiteter Suizid bei "Exit" nicht in kommerziellen Strukturen geschieht, die nur dafür da sind.

Wer soll die Verantwortung tragen?

In Deutschland, ergab eine Umfrage der Evangelischen Zeitung, meinen 65 % der Menschen, nur Ärzte sollten Sterbehilfe leisten – eine Meinung, der sich die Diskussionsrunde nicht anschließen wollte, um die Ärzte nicht mit dieser Verantwortung zu belasten. Aber wen soll man mit dieser Verantwortung betrauen? Kann es am Ende jemand anderes sein als der Mensch, der mit seinem Leid nicht mehr leben will?

Nur: Ob der freiwillige Tod – neben Palliativmedizin und Hospizbetreuung – eine akzeptable Form ist, das Ende des eigenen Lebens zu gestalten, darüber gibt es noch keinen gesellschaftlichen Konsens. Der christliche Glauben, das machte EKD-Ratsvorsitzender Nikolaus Schneider ganz deutlich, vertraut auch am Ende des Lebens auf Gott. Ganz prägnant formulierte es auch die Braunschweiger Hospizhelferin Karla Hergesell, die am Ende der Sendung über ihre Erfahrung berichtete: "Wenn sie nicht alleine sind, brauchen sie keine Angst haben vor dem Sterben."