Der Titel klingt kräftig nach Melodram, und damit tut man dem Film gewiss nicht Unrecht: In den falschen Händen hätte diese Geschichte viel Arbeit für die Tränendrüsen bedeutet. Aber die Regie oblag Matthias Tiefenbacher, und der hat schon oft bewiesen, dass er Gratwanderungen meisterhaft beherrscht: Er erzählt Weihnachtsgeschichten ohne Kitsch ("Oh Tannenbaum"), seine Komödien haben Tiefgang ("Freilaufende Männer"), und Dramen pflegt er ohne Anleihen beim Melodram zu inszenieren ("Das Haus ihres Vaters"). Selbst jene seiner Werke, die womöglich eher dem Broterwerb als der Selbstverwirklichung dienten, zeichnen sich durch ihre exzellente Führung der Darsteller aus, und deshalb ist auch "Und dennoch lieben wir" dem Titel und der zuweilen vorhersehbaren Handlung sehenswert.
Das Drehbuch (Martin Kluger und Maureen Herzfeld) ordnet den Film klassisch in drei Akte. Alles beginnt mit dem Anfang einer Freundschaft: Ärztin Anne (Claudia Michelsen) und die Chilenin Carolin (Melika Foroutan), Enkelin deutscher Auswanderer, verstehen sich auf Anhieb prächtig. Carolin hat ein halbes Jahr lang beruflich in München zu tun, die Söhne der beiden Frauen gehen in dieselbe Klasse. Früh ahnt man, wie die Geschichte weitergehen wird: Selbst wenn "Und dennoch lieben wir" nicht im Rahmen der ARD-Themenwoche "Leben mit dem Tod" ausgestrahlt würde, wäre klar, dass die Bauchkrämpfe, über die Carolin immer wieder klagt, Vorboten eines schlimmen Schicksals sind. Und als sie erfährt, wie Annes Gatte heißt, sagt sie: "Dein Mann heißt Peter? Das ist ja lustig." Tatsächlich sind beide, Carolin und Peter (Mark Waschke), wie vom Donner gerührt, als Anne sie einander vorstellt: Die beiden hatten eine Affäre, als Peter vor Jahren in Chile war; und damit endet Akt eins. Der Film nimmt den Mann zwar in Schutz, der Ehe ging’s damals offenbar nicht so gut, aber das ändert nichts an der nächsten Tatsache, die man selbstredend ebenfalls umgehend vermutet und die sich in Akt zwei offenbart: Peter ist der Vater von Carolins Sohn.
Das ist alles ein bisschen Zufall zu viel: von allen deutschen Metropolen landet Carolin ausgerechnet in München, von allen Schulen wählt sie die eine, auf die auch Annes Sohn geht, von allen Jungs freundet sich David mit Tommie an. "Es gibt keine Zufälle", sagt Anne, und setzt erst mal den Mann vor die Tür. Aber die Söhne tragen den Zwist der Eltern untereinander aus, die Mütter werden in die Schule gerufen, Carolin bricht zusammen, die düstere Vorahnung, die einen schon früh beschlichen hatte, wird wahr: Bauchspeicheldrüsenkrebs, Lebenserwartung minimal; Ende des zweiten Akts. Nun müssen sich die beiden Familien irgendwie wieder zusammenraufen.
Trotz aller Konstruiertheit ist der Film gerade im Detail ausgesprochen sorgfältig und plausibel. Für Dinge, über die anderswo großzügig hinweggegangen oder die als selbstverständlich vorausgesetzt werden, nimmt sich Tiefenbacher Zeit. Außerdem, und das ist bei diesem Sujet alles andere als selbstverständlich, hat er auch die jungen Darsteller ausgezeichnet geführt. Und trotz des enormen melodramatischen Potenzials gleitet der Film nie ab, sondern vermittelt im Gegenteil sogar Lebensmut.