Virginia Felipes Augen strahlen, sie ist geschmackvoll geschminkt. Die Fingernägel sind modisch lackiert, jeder in einer anderen Farbe. Ihre einnehmende Art nimmt einem alle Berührungsängste, man könne der behinderten Frau zu nahe treten. Die 31-Jährige leidet an spinaler Muskelatrophie, ohne Korsett könnte sie nicht einmal aufrecht im Rollstuhl sitzen. Sie hat als einzige Spanierin mit dieser degenerativen Muskelkrankheit zwei gesunde Kinder zur Welt gebracht.
Gegen leere Kassen hilft allerdings auch der größte Lebensmut nichts. Virginia ist eine von 1,5 Millionen Pflegebedürftigen in Spanien, die im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise mit harten Sozialkürzungen zu kämpfen haben und nicht mehr wissen, wie es mit ihrer Pflege weitergehen soll.
Die öffentlichen Kassen sind leer
Neben ihrem Mann Hilario kümmert sich vor allem Dora aus Bolivien um Virginia. Sie wäscht sie, hilft ihr auf die Toilette, legt ihr das Korsett an. "Sie ist nicht meine Partnerin, aber sie ist ein Teil von mir", sagt Virginia. Der Staat unterstützt diese Rundum-Pflege seit 2007 mit 600 Euro im Monat. Für die Pflege in Heimen zahlte er bisher maximal 1.650 Euro. Inzwischen sind die Sätze um 15 Prozent reduziert worden.
Viel Geld kann sie Dora nicht zahlen, im Grunde sei das Arbeitsverhältnis sogar illegal, weiß auch Virginia. Dora lebt bei Virginia. "Sie hat nicht mal Urlaub. Aber ich kann nicht einfach so einen Monat auf sie verzichten und eine Urlaubsvertretung bezahlen", erklärt die Mutter im Rollstuhl. Dora versichert, wichtiger als das Geld sei ihr die Erfahrung. Nur wenn Virginia gar nichts mehr zahlen könne, müsste sie sich nach Alternativen umsehen oder nach Hause fliegen.
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Und genau das droht jetzt. Denn die öffentlichen Kassen sind leer, die Staatseinnahmen sinken und die Zinsen für Staatsanleihen steigen, während gleichzeitig die EU vorschreibt, das Haushaltsdefizit in diesem Jahr von 8,5 auf 5,6 Prozent und im nächsten Jahr auf 4,5 Prozent zu senken. Da haben die Behörden schon mal einmal ein halbes Jahr lang gar nichts gezahlt, erzählt Virginia.
Der Staat trägt die gesamten Kosten
Mit dem jüngsten Sparpaket hat die spanische Regierung bei der Pflege zudem rund eine halbe Milliarde Euro gekürzt. Und im nächsten Jahr will sie in dem Bereich noch einmal 1,3 Milliarden Euro weniger ausgeben. Das entspricht 30 Prozent der Gesamtausgaben für die Pflege in Spanien. Die Pflege wird wie auch das Gesundheitssystem anders als in Deutschland nicht durch eine Versicherung finanziert, sondern aus den öffentlichen Haushalten. Die 17 autonomen Regionen Spaniens sowie der Zentralstaat teilen die Kosten unter sich auf.
Dabei war das Pflegegesetz vor fünf Jahren unter großem Beifall fast einstimmig vom Parlament verabschiedet worden. Aus der Pflege sollte einmal ein richtiger Wirtschaftszweig werden, der auch den Niedergang in der Bauindustrie auf dem Arbeitsmarkt abfedern sollte. Tatsächlich habe die Branche seit der Einführung des Pflegegesetzes 250.000 Arbeitsplätze geschaffen, berichtet der Sozialökonom Juan Manuel Ramírez vom Verband der Direktoren der Wohlfahrtsorganisationen, der auch an der Universität in Málaga unterrichtet.
"Das Heim wäre mein Tod"
In den folgenden beiden Jahren sollten noch einmal 150.000 Fachkräfte hinzukommen. Von den Gesamtkosten in der Pflege von zuletzt rund sechs Milliarden Euro fließen rund 45 Prozent an den Staat zurück, in Form von Steuern und Sozialabgaben und Investitionen. Statt dessen schaffe die Regierung die Pflege nun ab, meint Ramírez nüchtern.
Virginia Felipe hat einen Brief erhalten. Die Behörden wollen die Einstufung der Schwerstbehinderten in die höchste Pflegestufe überprüfen. Den Behindertenverbänden zufolge werden alle Pflegefälle pauschal zurückgestuft, um Geld zu sparen. Virginia befürchtet, mit solchen Maßnahmen wollten die Behörden die Pflegefälle in Heime drängen. Das Modell der Integration werde aufgegeben. "Was soll ich in einem Heim, ohne meine Familie, meine Kinder?", fragt Virginia eindringlich und warnt: "Das wäre mein Tod."