Wenn sich Sat.1 und ORF zusammentun, sind die Ergebnisse regelmäßig sehenswert, oft herausragend und teilweise sogar spektakulär. "Verfolgt – Der kleine Zeuge" setzt diese Linie nahtlos fort: Andreas Senn hat einen Thriller gedreht, dessen Spannung sich auf eindrucksvoll hohem Niveau bewegt. Wenn der Film mal kurz inne hält, dann nur, um anschließend noch mehr Gas zu geben. Das ist natürlich auch eine Frage der Inszenierung, also des Zusammenspiels von Bildgestaltung, Musik und Schnitt (allesamt bemerkenswert). Aber letztlich ist es die Geschichte und das Bangen um die beiden Hauptfiguren, die den großen Nervenkitzel des Films ausmachen: Ein kleiner Junge ist einziger Überlebender eines Massakers an einer chinesischen Großfamilie. Er kann fliehen und sucht Hilfe bei einer Frau, die ähnlich hilflos ist wie er: Ester (Marie Zielcke) ist vor einigen Monaten erblindet, weshalb sie auch gar nicht merkt, wie der Kleine in ihre Wohnung schlüpft; erst sein nächtliches Weinen macht sie auf ihn aufmerksam.
Flucht eines ungleichen Paares
Da Tao kein Wort deutsch spricht, kann er sich ihr nicht mitteilen. Was beide zudem nicht ahnen: Die Killer, die Taos Verwandten auf dem Gewissen haben, arbeiten fürs Bundeskriminalamt. Decker (Fritz Karl) gilt sogar als große Nummer, seit er die örtliche Filiale der russischen Mafia quasi im Alleingang zerschlagen hat. Als Ester mit Hilfe des Lieferanten eines China-Restaurants endlich erfährt, was dem kleinen Tao widerfahren ist, und der Junge die Mörder wiedererkennt, während sie Esters Wohnung ansteuern, beginnt eine abenteuerliche Flucht, in deren Verlauf das ungleiche Paar immer wieder in größte Gefahr gerät.
Mit großem Geschick reiht Autor Christoph Darnstädt ("Die Grenze") Höhepunkt an Höhepunkt, ohne dabei je die Charaktere zu vernachlässigen. Die Figuren offenbaren im Gegenteil regelmäßig verblüffende Fähigkeiten, auch die Handlung ist alles andere als gradlinig und durchsichtig, und am Ende sorgt ausgerechnet der eiskalte und korrupte Killer vom BKA für die größte Überraschung des Films.
Doch bei allem Respekt für die ausgezeichnete Leistung Fritz Karls, der ja schon oft hassenswerte Gangster gespielt hat, sowie für das glaubwürdige Spiel Marie Zielckes: Star des Films ist der kleine Kevin Fang, ein gebürtiger Wiener, den man mit seinen Knopfaugen und den Pausbacken auf Anhieb ins Herz schließt. Und am Ende wird auch schlüssig geklärt, warum Tao ausgerechnet bei Ester Schutz gesucht hat.