"Vielleicht ist das auch eine gute Zeit für uns"

Foto: Øyvind H. Sæthre
Der Gemeindesaal der Norwegischen Seemannskirche in Hamburg.
"Vielleicht ist das auch eine gute Zeit für uns"
Vidar Svarva, Pfarrer der Norwegischen Seemannskirche über Norwegen ein Jahr nach Utøya
Ein Jahr nach dem Terror in Oslo und in Utøya findet in der norwegischen Seemannskirche in Hamburg ein Gedenkgottesdienst statt. Evangelisch.de hat mit dem Pfarrer der Gemeinde, Vidar Svarva, auch über Vergebung gesprochen.

Wird sich der Gottesdienst am Sonntag von anderen unterscheiden?

Vidar Svarva: Ja, es wird einen Gedenkgottesdienst für die Menschen geben. Außerdem werden neben den normalen Besuchern auch Mitglieder des Hamburger Senats und Mitarbeiter der norwegischen Botschaft in Berlin daran teilnehmen. Sie alle werden kommen. Übrigens findet in Berlin auch ein Gottesdienst der dort ansässigen norwegischen Kirche statt.

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Wie wird ihre Predigt aussehen?

Svarva: Johannes 14, 1-6 – ich werde über das Herz sprechen, dass sich nicht von der Angst einnehmen lässt.

Ist es schwieriger diesen Gottesdienst vorzubereiten, verglichen mit dem regulären Sonntagsgottesdienst?

Svarva: Nicht schwieriger sondern einfach nur sehr unterschiedlich. Alles muss miteinander verbunden sein. Die Musik, das Wort, die anderen Lesungen und der Blick auf die Zukunft. Trotz all der schrecklichen Ereignisse vom letzten Jahr glaube ich, dass wir nach vorne blicken müssen. Das Leben muss weiter gehen.

"Solche Dinge passieren nicht in Norwegen"

Wie war das im letzten Jahr, wie haben Sie die tragischen Ereignisse in Oslo und Utøya erlebt?

Svarva: Ich war damals noch nicht in Hamburg als Pfarrer tätig sondern in den USA, in New Orleans. Das war ein ganz spezieller Sonntag. In Hamburg war es wohl genau so, wie man mir erzählte: Viele Leute kamen an diesem Sonntag in die Seemannskirche.

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Was ging Ihnen als erstes durch den Kopf ging als Radios und Fernsehstationen anfingen zu berichten?

Svarva: Das erste was ich dachte war, das kann nicht wahr sein. Solche Dinge passieren nicht in Norwegen. Und da hörte ich erst nur von der Bombe im Hauptquartier. Eine halbe Stunde später gab es dann neue Nachrichten über die Schießereien in Utøya. Das schien so jenseits der Realität. Es war einfach nicht möglich zu verstehen, dass das gerade in Norwegen passiert.

Als Pfarrer sind Sie Seelsorger und damit auch Tröster. Ist es möglich, so etwas den Menschen zu erklären?

Svarva: Nein, es ist eigentlich nicht möglich. Dazu kommt, dass es so wenige Norweger gibt, dass fast jeder jemanden kannte, der betroffen war. Das ist es, was es so persönlich gemacht hat, warum es so nah war.

"Breivik ist auch ein Geschöpf Gottes"

Kamen im Anschluss an die Anschläge und die Morde mehr Menschen in die Kirche und wer waren diese Gemeindebesucher?

Svarva: In der Hamburger Seemannskirche waren es 400 bis 500 Norweger fast jeden Tag in der Woche direkt nach der Katastrophe. Auch die Deutschen kamen. Die Menschen schickten Blumen und Postkarten mit Kondolenzbekundungen aus der ganzen Welt. Dasselbe habe ich auch in New Orleans erlebt, wo ich damals arbeitete. Die Amerikaner fragten, ob sie uns irgendwie unterstützen können. Diese Welle der Anteilnahme durch die Menschen war beeindruckend.

Seit 1907 sind norwegische Seelsorger in Hamburg tätig. Foto: Øyvind H. Sæthre

Ist der Täter Anders Breivik jemand über den man in der Kirche sprechen kann?

Svarva: Ich glaube daran, dass auch er ein Geschöpf Gottes ist. So wie jeder andere Mensch. Jeder ist von Gott kreiert. Aber was er getan hat, das ist nicht von Gott. Ich glaube wir müssen unterscheiden, zwischen der Person Breivik und dem Fall Breivik.

Das scheint eine recht schwierige Aufgabe zu sein. Wie kann man das jemandem erklären, der vielleicht ein Familienmitglied verloren hat?

Svarva: Tja, wie kann man das erklären …

Haben sich die Menschen ihrerseits mit ihrer Fassungslosigkeit an die Kirche gewandt?

Svarva: Ein Kollege von mir war nur Stunden später auf Utøya, um dort als Seelsorger für die Jugendlichen da zu sein. Die Kirche war schnell involviert. Sie war vor Ort in dem Hotel, in das sie all die jungen Leute brachten. Dieser Kollege erzählte, dass die Jugendlichen nicht nur einfach fragten „wo ist Gott gewesen“, sondern sie fragten, „kann ich jetzt zu ihm gehen mit all meiner Angst, mit all meiner Wut“.

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Kann es Vergebung für dieses Verbrechen geben oder ist es zu früh, um überhaupt davon zu sprechen?

Svarva: In Norwegen sprechen wir über Vergebung. Wir können der Person vergeben aber nicht das, was er getan hat. Das ist unmöglich. Es ist unmöglich zu vergeben und zu sagen, alles auf Anfang. Aber der Person Breivik müssen wir vergeben, denn wenn nicht, wird es einfach unmöglich für uns weiter zu leben. Haben Sie Bilder von der Verhandlung in Norwegen gesehen? Also das ist wichtig, dass man sehen kann, dass Breivik gut behandelt wurde, so fair wie eben möglich behandelt wurde. Diese Sache ist so schlimm, sie wird die norwegische Gesellschaft auf Jahre begleiten.

Kann es in Norwegen irgendwann wieder Normalität geben?

Svarva: Ja, ich glaube daran, dass die Norweger irgendwann wieder zurück zur Normalität kehren können. Und was ich in norwegischen Zeitungen lese ist, dass sie ein Jahr nach Utøya glücklicher und stolzer sind, Norweger zu sein. Und vor allen Dingen offener für Fremde, die nach Norwegen kommen. Vielleicht, ganz vielleicht ist das auch eine gute Zeit für uns.