"Ich las die Bibel nicht, ich träumte sie"

Foto: epd-bild/John Hedgecoe
Marc Chagall 1958 in seinem Atelier.
"Ich las die Bibel nicht, ich träumte sie"
Vor 125 Jahren wurde Marc Chagall geboren
Poetische Bildsprache, intensive Farben: Die Kunst Marc Chagalls übt auf viele einen besonderen Zauber aus. Mit seinen biblischen Motiven wurde er zum Vermittler zwischen Judentum und Christentum.
07.07.2012
epd
Andreas Rehnolt

Der Maler Marc Chagall (1887-1985) gilt als einer der faszinierendsten Künstler des 20. Jahrhunderts. Weltweiten Ruhm und Bewunderung erwarb er sich vor allem mit seinen Illustrationen zur Bibel, die er als "reichste poetische Quelle aller Zeiten" bezeichnet hat. Ihre Gestaltung fesselte ihn vor allem seit den 50er Jahren. In seinen Zeichnungen, Gemälden, Lithographien, Gouachen, Glasfenstern, Mosaiken und Wandmalereien begegnet der Betrachter vor allem Figuren aus dem Alten Testament wie Erzvätern, Königen, Propheten und Engeln.

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Vor 125 Jahren, am 7. Juli 1887, wurde Marc Chagall im russischen Witebsk geboren. Er war das älteste von neun Kindern einer orthodox-jüdischen Familie. Als kleiner Junge schon besuchte er in seiner Heimatstadt die Malschule. Von 1906 an lebte er im kulturellen Zentrum Russlands, in St. Petersburg. Schon damals war er tief religiös und heimatverbunden. Als Motive wählte Chagall in dieser Zeit vor allem einfache Menschen: "Russische Hochzeit, "Die Dorfstraße" oder "Frau mit Blumenstrauß" heißen einige seiner frühen Bilder.

1910 reiste der junge Maler erstmals nach Paris, das für ihn zur zweiten Heimat werden sollte. Kontakte mit den Impressionisten, später den Kubisten veränderten sein Verständnis von Malerei, Farbe und auch seine Malweise. Sein Ölbild "Das Modell" etwa zeigt eine junge Frau, die selbst zum Pinsel greift. Das Gemälde "Ich und das Dorf" steht quasi als Beginn seiner poetischen Malerei, die sein Dichterfreunde Guillaume Apollinaires als "übernatürlich" bezeichnete. Chagall selbst betonte in dieser Zeit: "Kunst scheint mir vor allem ein Seelenzustand zu sein."

Der Weltkrieg als Hindernis

Chagall galt damals als Poet, Träumer, Exot und künstlerischer Eigenbrötler. 1914, als er in Berlin seine erste große Einzelausstellung hatte, verhinderte der Ausbruch des Ersten Weltkrieges seine Karriere als Maler. Zurück in Russland heiratete er Bella Rosenfeld.

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Aus einem geplanten Kurzaufenthalt wurden wegen des Krieges acht Jahre, in denen Chagall seine Kunst für die Revolution einsetzte. Dann trieb ihn die politische Gleichschaltung in seinem Heimatland zurück nach Paris. Notre Dame, der Eiffelturm und die Seinebrücken finden sich in seinen Werken immer wieder.

1931 reiste er wegen des Auftrags, Illustrationen zur Bibel anzufertigen, nach Palästina, 1935 nach Polen. Im Warschauer Ghetto erlebte er erstmals Judenfeindlichkeit mit. Der Zweite Weltkrieg und die Pogrome gegenüber den Juden verändern seine Bilder erneut. Chagalls Antwort auf Picassos Historienbild "Guernica" von 1937 ist sein Andachtsbild "Weiße Kreuzigung" von 1938, das sich in das Leiden einfühlt. Inmitten aller Gewalt, aller Brutalität und allen Leidens hängt Christus am Kreuz, unversehrt. Die Spuren seines Leidens sind getilgt, ein heller Strahl beleuchtet ihn.

Flucht nach New York

1941 emigriert der Jude Chagall auf der Flucht vor den Nazis nach New York. Sieben Jahre später zog er schließlich zurück nach Frankreich, wo er sein Gemälde "Der Engelsturz" beendete, in dem jüdische Vision, individuelle Geschichte und christliche Erlösungsmotive sich vereinen. In den Jahren, die dann folgten, schuf Chagall sein bildnerisches wie geistiges Vermächtnis. 100 Pastelle entstanden zwischen 1954 und 1967: Die biblische Botschaft.

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"Ich las die Bibel nicht, ich träumte sie", beschrieb der Maler sein Verhältnis zur Heiligen Schrift. Chagall malte wunderbare Bilder zur Erschaffung des Menschen, zu Noah, dem Paradies, dem Hohelied, Abraham, Jakobs Traum, Moses vor dem brennenden Dornbusch oder zur Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies. Glasmalereien schuf der Künstler etwa in den Kathedralen von Metz, Reims und Chichester, in der Mainzer Pfarrkirche St. Stephan, in der Synagoge der Jerusalemer Hadassah-Klinik und im evangelisch-reformierten Fraumünster in Zürich.

Das Alltägliche wunderbar gemacht

In seinen Werken wird ein lyrischer Zauber deutlich, dem sich der Betrachter nur schwer entziehen kann. Ingo F. Walther und Rainer Metzger schrieben 1993 in ihrem Buch "Malerei als Poesie" über den Künstler, er habe "das Alltägliche wunderbar" gemacht. Als "Wanderer zwischen den Welten" sei es Chagall gelungen, mit seiner Malerei jahrhundertealte Differenzen zwischen Religionsgemeinschaften, Weltanschauungen und künstlerischen Ideologien zu überbrücken.

Er arbeitete bis kurz vor seinem Tod. Am 28. März 1985 starb Marc Chagall im Alter von 97 Jahren im südfranzösischen Saint-Paul-de-Vence.