In der Regel werden Drehbücher durch Ereignisse oder Zeitungsnotizen zu ihren Ideen inspiriert. In diesem Fall war es anders: Am Anfang stand eine halb verfallene Molkerei irgendwo im oberbayerischen Hinterland, umgeben von einem unwirtlichen Moorgebiet. Gebäude und Landschaft, sagt Autorin Annika Tepelmann, seien "voller Geschichten und Geheimnisse" gewesen. Der perfekte Schauplatz also für einen Film, der sich die gespenstische Kulisse weidlich zunutze macht. Allerdings erzählt "Die Tote im Moorwald" mehr als bloß eine Geschichte, bei der man sich mit Hingabe gruseln kann. Geschickt verwebt das Drehbuch mehrere Ebenen miteinander. Den Rahmen bildet die Erkenntnis einer jungen Münchener Künstlerin (Maria Simon), dass sie nach dem Tod der Mutter ihr Leben neu ordnen muss. Da ist zum Beispiel die Frage, was aus der Beziehung zu ihrem Freund wird, einem Arzt (Felix Klare), der sich nicht von seiner Frau trennen kann oder will. Also beschließt Josefine, sich für eine Weile in das Dorf zurückzuziehen, in dem ihre Mutter gelebt hat, bis sie schwanger wurde. Vielleicht, hofft sie, lassen sich dort auch Hinweise auf ihren unbekannten Vater finden.
Boulevardzeitung wittert Serienmörder
Und dann ändert sich die Tonart des Films rapide und durchaus auch buchstäblich, denn ganz entscheidenden Anteil an der Wirkung der Bilder hat ab jetzt das Sounddesign. Wenn außerhalb des Bildes Türen ins Schloss fallen oder der Wind bedrohlich um die Molkerei heult, erzeugt das eine Stimmung, die perfekt zum Zustand Josefines passt. Später, als ihr Schicksal besiegelt scheint, tobt ein Unwetter rund um das Gemäuer. Damit spiegelt die Tonspur perfekt Josefines Gemütslage wider: Kaum ist die junge Frau in dem Dorf eingetroffen und hat sich in besagter Molkerei eingemietet, in der ihre Mutter früher gearbeitet hat, sorgen diverse Ereignisse dafür, dass sie sich zunehmend unsicher fühlt.
Die Atmosphäre im Ort ist angespannt, weil kürzlich eine junge Frau verschwunden ist. Eine Boulevardzeitung wittert schon einen Serienmörder: Sie ist nicht die erste, die wie vom Erdboden verschluckt ist. Zutrauen fasst Josefine allein zu ihrem Nachbarn, einen etwas verschrobenen, aber nicht unsympathischen alten Kauz (Franz Xaver Kroetz). Auch wenn sie nicht recht schlau aus dem Alten wird, der offenbar großen Gefallen an ihr findet: Er kann ihr immerhin etwas über ihre Mutter erzählen, denn sie war einst seine Kollegin. Am Ende entdeckt Josefine nicht nur ihre eigene Wurzeln, sie findet auch Hinweise auf eine Halbschwester; aber der Preis dafür könnte ihr eigenes Leben sein.
Dank der Regie von Hans Horn ändert der Film kaum merklich sein Vorzeichen. Zu den Mystery-Elementen gesellen sich Krimiaspekte, bis sich die Geschichte schließlich auch mit Hilfe der Bildgestaltung (Torsten Breuer) komplett zum Thriller wandelt, in dem der Nachbar eine zunehmend düstere Rolle spielt. Kroetz, der den freundlichen alten Zausel faszinierend verkörpert, wurde für seine Darstellung beim diesjährigen Fernseh-Krimi-Festival in Wiesbaden mit einem "Sonderpreis für herausragende Einzelleistung" ausgezeichnet. Maria Simon ist ihm allerdings eine kongeniale Partnerin.