Amerikaner in Berlin: "Wir singen yeah!"

Foto: Jonathan Sachse
Fast prominenter Besuch auf der Berliner Wahlparty: Obama- und Biden-Doubles bei Bier und Zigarette.
Amerikaner in Berlin: "Wir singen yeah!"
Über 12.000 US-Bürger leben in Berlin. Die Mehrheit stimmte erneut für Obama und es wird viel gejubelt. Die "Obamania“ von 2008 wiederholt sich allerdings nicht: Eine lange Nacht in Mitten der amerikanische Wähler.

Abpfiff in der Fußball Champions League. Eine Analyse wird es nicht geben. Kurz nach 22:30 Uhr wechselt der Wirt auf allen acht Bildschirmen das Programm: Die US-Wahlnacht im Hostel "Belushi" am Rosa-Luxemburg Platz hat begonnen.

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CNN schaltet live zu Obama, ein letztes Mal, bevor die ersten Auszählungen bekannt gegeben werden. Keine Ahnung, was er sagt. Der anschließende Spot dramatisiert: "Der Kampf. Die Schlacht. Die Probleme." Die Besucher im "Belushi" scheinen nicht zu bemerken, dass es nun losgeht. Vielleicht interessiert es sie auch nicht. Kaum läuft kein Fußball mehr, leert sich der Laden rasant. Die Wahl wird hier nur auf den Bildschirmen thematisiert. Zeit, aufzubrechen und nach der Wahlparty zu suchen.

"Democrats Abroad" mit Wahlparty im Kino

Auf der anderen Straßenseite - etwa 100 Meter entfernt - zelebrieren die "Democrats Abroad” die Wahlnacht im Kino Babylon. Vor vier Jahren feierten die in Berlin lebenden US-Demokraten die größte Party der Stadt, ihr zukünftiger Präsident hatte noch wenige Monate vorher in ganz Europa um Stimmen geworben. Über 200.000 Menschen feierten 2008 Obama wie einen Rockstar auf einer deutsch-amerikanischen Fanmeile vor der Siegessäule.

Auch 2012 ist es voll, es kommt keiner mehr rein, der nicht im Vorfeld Tickets reserviert hat. Auch mein Kollege und ich müssen warten. Vor vier Jahren standen hier hunderte Obama-Anhänger und kamen nicht rein, erzählt mir Matthias, der vor dem Eingang in einem Zelt Glühwein verkauft. Die Polizei hätte die Straße freisperren müssen, erinnert er sich weiter. Dieses Mal warten nicht mehr als 20 Leute vor dem Eingang.

Wahlparty im Kino, stilecht mit Popcorn. Foto: Jonathan Sachse

Dann betritt Barack Obama das Zelt, lobt den Glühwein, klopft auf die Schulter seines Vizepräsidenten Joe Biden. Zwei Studenten mit den Masken der US-Politiker, aber keine Amerikaner. Der eine studiert Jura, sein Freund zog aus Österreich nach Berlin und büffelt hier Filmwissenschaften. Wir lernen den Betreiber vom Kino Babylon kennen, kommen ins Gespräch. Ein Türöffner. "Tobias, lass die beiden gleich mal rein", ruft er dem Ticketverkäufer zu. Eine halbe Stunde später bezahlen wir fünf Euro und betreten die Wahlparty der Demokraten.

Haben wir uns bislang nur via Twitter über die aktuellen Wahlergebnisse informiert, erhalten wir drinnen - es ist kurz vor 1 Uhr - minütlich neue Informationen. Auf der Bühne sitzen zwei Personen, die an diesem Abend als demokratischer Liveticker fungieren. Sobald es neue positive Ergebnisse aus Sicht der Demokraten gibt, werden sie direkt verkündet. "Als nächstes der großartige Staat Massachusetts. Yeah, auch das ist Obama", ruft ein Sprecher. Jubel. Die Band jamt, gibt Phrasen vor: "Unser Präsident Obama wird heute Abend gewinnen. Wir singen yeah. Ihr singt…" Und alle so: "Yeah", aus ihren Kinosesseln. Anschließend die nächste Prognose aus einem der "swing states": "Obama aktuell mit 60 Prozent. Nur 40 Prozent für den anderen Typen."

Religion als reine Privatsache

Ich komme mit Michael ins Gespräch. Seit 40 Jahren gibt er seine Stimme aus Berlin ab, immer für die Demokraten. In Zeiten des Vietnam-Krieges verpflichtete die Regierung auch Kriegsdienstverweigerer zum Dienst für die Armee. Michael konnte dem Einzug entkommen, indem er sich den Freiwilligen des "Peace Corps" anschloss und in Indien half. Auf dem anderen Kontinent wurde er "mit einem anderen Bild von Amerika konfrontiert. Die Außenperspektive hat das Bild von meinem Land komplett verändert", meint er. Seit vier Jahrzehnten unterstütze er nun vor jeder Wahl aktiv die Demokraten. Begonnen hat er zu Zeiten John F. Kennedys, als er in den USA von Haus zu Haus zog und für den demokratischen Wechsel warb.

"Die Religion ist reine Privatsache", antwortet er mir, als ich in frage, ob ihn in seiner Wahlentscheidung religiöse Motive beeinflussen. Er schiebt nach, sicherlich spiele der Glauben der Präsidenten für viele Amerikaner eine größere Rolle. Viel wichtiger sei ihm, dass der Präsident in Zukunft im Kongress nicht mehr durch die Republikaner "in seiner Handlungskraft eingeschränkt" werde.

Bei der Dekoration haben sich die Auslands-Demokraten Mühe gegeben. Überall hängen rot-weiß-blau Luftballons im dazu passenden Licht. Nur die Obama-Hüte und -Anstecker sind kurz nach 3 Uhr schon vergriffen. Zur Farbgestaltung des Kinos passt Renita Felton, ein ehemaliges Mitglieder der Band "Family Affair". An ihr Oberteil hat Felton eine amerikanische Flagge gebastelt. Etwa auf Höhe des Herzens lächelt Obama auf einem Button. Eine kurze Frage, und sie beginnt ausführlich zu antworten. Ihre Meinung zu den Kandidaten ist eindeutig: "Romney wäre der Untergang", und "Obama hat sich jedes einzelne graue Haar hart verdient."

Wo sind die ganzen Amerikaner?

Eine Frage beschäftigt Felton: "Wir haben in Berlin etwa 12.000 US-Wahlberechtigte. Ich frage mich, wo die alle geblieben sind." Eine gute Frage. Die anderen Gäste sagen uns, es gebe noch weitere Wahlveranstaltungen in Berlin. Uns werden Kneipen am Hackeschen Markt empfohlen. Kurz vor 4 Uhr ziehen wir weiter. Zu diesem Zeitpunkt verheißen die Prognosen in den "swing states" Ohio und Florida einen knappen Sieg für Obama. Eine Tendenz in Richtung Wiederwahl, aber noch ist nichts entschieden.

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Die Suche im Regen und durch leere Straßen verläuft ernüchternd. Im Irish Pub stehen die Stühle schon auf  den Tischen. Alle anderen Kneipen in der Umgebung haben bereits geschlossen. Wir wagen einen letzten Versuch im Radisson-Hotel, auch dort wird bereits gewischt. So langsam kommen wir in Sorge, die entscheidenden Auszählungen doch zu verpassen - also ab nach Hause, der heimische Fernseher ist verlässlicher als die Berliner Kneipenlandschaft. Als um etwa 5:30 Uhr die Wiederwahl von Obama gemeldet wird, haben wir gerade erst eingeschaltet. In Berlin ist die Party für diese Nacht vorbei. In Washington geht sie gerade erst los.